Grosswetterlage bringt SNB in die Zwickmühle

Das oberste Ziel der SNB-Geldpolitik – die Preisstabilität – erfüllt sich derzeit fast von selbst. Bei der Frankenstärke ist die Lage aber komplizierter. Unter den Volkswirten gehen die Meinungen über den kommenden Zinspfad in der Schweiz auseinander.

Am vergangenen Montag hatte das Bundesamt für Statistik (BFS) für den Monat April einen Stillstand bei der Preisentwicklung ausgewiesen. Die Teuerung der Konsumgüter lag bei 0,0 Prozent, sowohl im Vergleich zum Vormonat als auch zum Vorjahreswert.

Die Volkswirte, die im Vorfeld eine leichte Steigerung erwartet hatten, sehen damit für die SNB einen erweiterten Spielraum für weitere Zinssenkungen. Doch ob das Direktorium unter SNB-Präsident Martin Schlegel bereits im Juni den Leitzins auf dann Null von aktuell 0,25 Prozent senken wird, ist laut den Ökonomen noch keine ausgemachte Sache.

Die Inflation in der Schweiz ist seit Monaten auf dem Rückzug. Seit September 2024 liegt sie unter 1 Prozent. Derzeit spielen dabei vor allem die durch den Zollstreit und Rezessionssorgen gefallenen Öl- und Gaspreise eine Rolle. Und während die in der Schweiz hergestellten Güter weiter Preissteigerungen sehen, sinken die Preise bei den Importgütern.

«Die jüngsten Daten zur Inflation haben klar gemacht, dass weiterhin erhöhte Abwärtsrisiken für die Inflation bestehen», sagt etwa Fredy Hasenmaile, der Chefvolkswirt von Raiffeisen Schweiz. «Die Argumente für weitere Leitzinssenkungen haben mit der Ausweitung der US-Strafzölle zugenommen.»

Tiefere Energiepreise in Kombination mit einem starken Franken könnten in der Schweiz sogar in den nächsten Monaten sogar zu Deflation führen. «Wir rechnen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer weiteren Zinssenkung im Juni auf 0 Prozent», sagt der Ökonom. «Bei stärkeren negativen Zolleffekten sind auch Negativzinsen nicht auszuschliessen.»

Negativzinsen würden Banken belasten

Mit Blick auf den Franken sieht jedoch Christopher Koslowski, Senior Fixed Income und FX Strategist bei Vontobel, bei den Zinssenkungen nur einen geringen Spielraum. Negativzinsen seien ein Gebiet, dass die SNB erst kürzlich verlassen hat und das sie lieber nicht wieder betreten wolle. «Eine Rückkehr in diese Zone könnte die Rentabilität der Banken stark belasten, Sparer verunsichern und die politische Debatte über die breiteren Kosten neu entfachen», schreibt er in einem Kommentar.

Der starke Frankenkurs zum Euro und insbesondere zum Dollar werde getrieben von der Nachfragewelle nach einem «sicheren Hafen», den Anleger angesichts der weltweiten Marktturbulenzen suchen, sagt Koslowski. Zum Dollar ist die Schweizer Währung in diesem Jahr um mehr als 10 Prozent gestiegen.

Die enge Verflechtung der Schweizer Wirtschaft mit der EU und den Ländern der Eurozone sorgt dafür, dass auch die Geldpolitik der EZB bei der SNB genau beobachtet wird. Hier dürfte der Zinssenkungszyklus noch nicht vorbei sein.

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Der Sitz der EZB in Frankfurt (Bild: Shutterstock)

«Die Europäische Zentralbank sieht den Deflationsprozess in Europa auf einem guten Kurs», heisst es von Fredy Hasenmaile weiter. «Die tieferen Energiepreise, die schwächere Konjunktur und allfällige Umlenkungen von Güterströmen aufgrund der US-Zollpolitik dürften zusätzlich desinflationär wirken.»

Der Zollschock dürfte sowohl das Wachstum als auch den Lohn- und Preisdruck in der Eurozone schwächen. «Wir rechnen in unseren Prognosen mit weiteren Zinsschritten bei den nächsten ordentlichen Sitzungen und einem Leitzinsniveau von 1,5 Prozent zum Jahresende.» Aktuell liegt der Einlagensatz der EZB bei 2,25 Prozent.

Fed wartet ab – und schaut was kommt

Dass der Offenmarktausschuss der Federal Reserve am vergangenen Mittwoch die Zinsen unverändert in der Spanne von 4,25 bis 4,5 Prozent belassen hat, hat die Experten nicht überrascht. Mehrheitlich war mit der abwartenden Haltung gerechnet worden.

«Die amerikanische Notenbank sieht wegen der höher als erwarteten Zölle sowohl höhere Abwärtsrisiken für die Konjunktur als auch höhere Aufwärtsrisiken bei den Preisen», heisst es hierzu von Raiffeisen. «Damit besteht ein stärkerer Zielkonflikt für die Geldpolitik.»

Angesichts des weiterhin recht robusten Arbeitsmarkts würden die US-Notenbanker derzeit keinen Anlass sehen, die noch restriktive Zinspolitik anzupassen. «Solange die Unsicherheit über die Ausgestaltung der US-Zollpolitik und deren Auswirkungen so gross ist, erachtet die Fed Abwarten als die beste Strategie.» Die Raiffeisen-Experten rechnen mit der Wiederaufnahme von Zinssenkungen in der zweiten Jahreshälfte, wenn sich die Zeichen für eine Abkühlung der US-Konjunktur verdichten dürften.

Fed-Chef Jerome Powell rechnet damit, dass das derzeitige Niveau der Zölle – wenn es denn wie angekündigt beibehalten wird – wahrscheinlich zu höherer Inflation, geringerem Wachstum und höherer Arbeitslosigkeit führen wird.

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Fed-Chef Jerome Powell. (Bild: Shutterstock)

Laut DWS-Volkswirt Christian Scherrmann müssten zwei Bedingungen erfüllt sein, bevor die Fed ihre «falkenhafte Pause» beendet. «Erstens, dass die Zölle tatsächlich keinen Zweitrundeneffekt abseits der erwarteten Preisniveauverschiebung haben und zweitens, dass sich Nachfrage und Arbeitsmärkte ausreichend abschwächen, um disinflationäre Erwartungen zu formulieren.»

Powell unter Beschuss

Doch in den USA haben die Zinsen seit der Amtsübernahme durch Präsident Donald Trump auch eine stärkere politische Dimension bekommen. Seine Kritik an Jerome Powell, die bis hin zu Gedankenspielen zu einer Absetzung reichte, dürfte auch in den kommenden Monaten weitergehen.

Die Fed müsse nun ihre Unabhängigkeit von den Wünschen des Weissen Hauses wahren und ihren abwartenden Kurs fortsetzen, während zollpolitische Nachrichten die Märkte weiterhin aufwühlen, schreibt etwa Susan Hill von Federated Hermes.

Die EZB trifft den nächsten Zinsentscheid am 5. Juni, das Fed FOMC am 17./18. Juni und die SNB am 19. Juni.