Grosses Aufrüsten bei der Finma: Höhere Kosten, weniger Vielfalt
Mit einer neuen Super-Abteilung krempelt Direktor Stefan Walter die Schweizer Finanzmarktaufsicht um. Offiziell geht es um «integrierte Risikoexpertise». Kritiker warnen jedoch vor steigenden Kosten, mehr Regulierung und gefährlichen Nebeneffekten.
Im April kündigte die Finma an, sich «organisatorisch für künftige Herausforderungen» neu aufzustellen (finews.ch berichtete). Dreh- und Angelpunkt ist eine neue Abteilung für «integrierte Risikoexpertise» – entworfen als Kraftzentrum für finanzielle und nicht-finanzielle Risiken, das bereichsübergreifend arbeitet und in alle Geschäftsbereiche hineinwirkt.
Nach finews.ch-Informationen soll die Einheit 100 bis 200 Mitarbeitende umfassen. Die Finma nennt keine Zahl, spricht aber von «angemessenem Wachstum» und betont: «Wenn wir weitere Spezialistinnen und Spezialisten rekrutieren, so steht dies in Zusammenhang mit neuartigen Risiken, Aufgaben und Kompetenzen.»
Für die vorliegende Analyse hat finews.ch mit zahlreichen Betroffenen des Bankensektors, Beobachtern des Regulierungs-Umfelds und mit behördennahen Insidern gesprochen. Gerne hätten wir auch die Perspektive der Schweizerischen Bankiervereinigung kennengelernt, aufgrund der Sommerferien war dort niemand zu sprechen.
Bruch mit Tradition
Bislang beaufsichtigte die Finma einzelne Institute, die Schweizerische Nationalbank (SNB) behielt den Blick aufs Gesamtsystem und dessen Risiken. Zudem war die Aufsicht in Geschäftsbereiche wie Banken, Versicherungen und Asset Management gegliedert. Dies verschaffte langjährigen Aufsehern tiefes Institutionswissen über die Beaufsichtigten.
Per Design war die Finma eine zahlenmässig überschaubare Behörde, die aber hohen Wert legte auf eine qualitativ hochstehende klassische Aufsichtstätigkeit im Austausch mit den Beaufsichtigten.
Künftig übernehmen zusätzlich thematische Teams die Führung. Sie sollen Querschnittsthemen wie künstliche Intelligenz, Sustainable Finance, Greenwashing, Geldwäscherei, Crossborder- und Suitability-Risiken oder Cybersecurity zentral bündeln.
Gefahr für die Vielfalt
Genau hier liegt eine grosse Sorge der Branche: Risikomanagement gehört bei Banken wie auch bei Versicherungen zur ureigenen Unternehmens-DNA – und ist ein zentraler Differenzierungsfaktor ihrer Geschäftsmodelle.
Durch den dicht gestaffelten Ausbau neuer Spezialisten-Teams droht ein «gleichmacherisches Hereinregieren» in die Unternehmen, bei dem Unterschiede verschwinden, Geschäftsmodelle vereinheitlicht und Vielfalt reduziert werden – zum Nachteil eines divers aufgestellten Finanzplatzes.
Mehr Vor-Ort-Kontrollen
Pikanterweise ist auch die Zuständigkeit für Vor-Ort-Kontrollen in dieser neuen Einheit angesiedelt. In der Praxis könnte das so aussehen:
- Woche 1: Bankenaufsicht prüft ein Institut vor Ort
- Woche 2: KI-Spezialisten der neuen Einheit untersuchen den Technologieeinsatz
- Woche 3: ESG-Experten kontrollieren Nachhaltigkeitsprozesse
Insider warnen, dass in Trendthemen wie KI oder ESG viele Berufsanfänger ohne Praxiserfahrung zum Einsatz kommen könnten. Und dass Versicherer künftig noch stärker von Aufsehern mit «Banken-Optik» kontrolliert werden – trotz fundamental unterschiedlicher Risiken.
«Prozesse zentralisieren, Expertise bündeln»
Die Finma versucht zu beruhigen: «Für alle Beaufsichtigten bleiben die Hauptansprechpartner auch mit dieser neuen Organisation die gleichen wie früher.» Gleichzeitig verweist sie auf «bereichsübergreifende Risiken», die «sowohl für Finanzinstitute wie auch für Versicherer wichtig sind».
Die Behörde begründet den Umbau auf Anfrage von finews so: Es gehe darum, «Methodik und Prozesse Finma-weit zu harmonisieren, Querschnittsfunktionen und bereichsübergreifend relevante Prozesse zu zentralisieren und Expertise zu bündeln». Damit «fördern wir die Integration und stärken die Effektivität und Effizienz der Aufsicht weiter, um den neuen Risiken und Herausforderungen gerecht zu werden».
Teurer wird es in jedem Fall
Die Branche erwartet steigende Gebühren – und höhere interne Compliance-Kosten. Zwischen 2014 und 2024 wuchs der Finma-Etat von 140 auf 169 Millionen Franken, die Belegschaft von 483 auf 634 Vollzeitstellen. Der durchschnittliche Personalaufwand liegt bei 181’797 Franken pro FTE.
Es wird nun allgemein erwartet, dass des Finma-Chefs neue Initiative das Wachstum deutlich beschleunigen wird.
Stefan Walter, der erst seit April 2024 die Führung der Finma übernommen hat, hat die Devise herausgegeben, wonach die Finma Garantin einer «Best-in-class supervision» werden müsste. Die Neuorganisation zeigt, dass er dafür, wie auch die EZB, verstärkt auf Vor-Ort-Kontrollen anstatt auf klassisches Monitoring setzen wird.
Nähe zur EZB
Das neue Organisationsmodell erinnert stark an die Europäische Zentralbank. Walter war bis zu seinem Wechsel in die Schweiz bei der EZB für den Aufbau der «horizontalen Aufsicht» verantwortlich, was «alle Risikobereiche» umfasste. Über die klassische Aufsichtstätigkeit und das konstante Monitoring einzelner Institute verfügt er weniger Kenntnisse.
Die Finma erklärt: «Andere integrierte Aufsichtsbehörden gehen in Richtung mehr spezialisierte Expertise in Querschnittsbereichen…» Man habe jedoch «gemacht, was für die Finma als Aufsichtsbehörde des schweizerischen Finanzmarktes am meisten Sinn macht».
Zahlreiche Beobachter bezweifeln dies. Sie sind der Meinung, dass die klassische Aufsicht eher zielführend ist als ein Potpourri von separat davon bewirtschafteten Zeitgeist-Themen.
Politisch unabhängig – und kaum zu bremsen
Wie ein solch grundlegender Umbau ohne politischen Auftrag möglich ist? Die Finma ist gesetzlich politisch unabhängig und verfügt über einen sehr weit gefassten Auftrag.
Bei der Wahl ihrer Mittel, insbesondere Finanzierung und Organisation, haben Geschäftsleitung und Verwaltungsrat freie Hand – und können ihre Prioritäten und Praxis tiefgreifend ändern, ohne Beteiligung von Parlament oder Bundesrat.
Selbst in der Behörde ist es vernehmlich an Rumoren: Sowohl die offenbar durch die Reorganisation teilweise entmachteten Leiter der Geschäftsbereiche Banken als auch Versicherungen haben den Dienst quittiert.
Abgänge in der Führungsetage...
Banken-Oberaufseher Thomas Hirschi verlässt die Behörde Ende August in unbekannte Richtung (finews.ch berichtete). Sein Nachfolger ad interim wird Simon Brönnimann. Er war zuletzt Leiter der Aufsicht Kleinbanken und Wertpapierhäuser im Geschäftsbereich Banken. Davor aber, in der kritischen Phase der Credit Suisse, war Brönnimann deren Oberaufseher bei der Finma («Head Credit Suisse»).
Bereits im April hatte Birgit Rutishauser, Versicherungs-Chefin bei der Finma, ihre Demission eingereicht, wie auf finews.ch vermeldet.
Im Juli war weiter bekannt geworden, dass UBS-Chefaufseher Michael Waldburger von der Finma zur SNB gewechselt ist, wo er als Verantwortlicher für Finanzmarktstabilität wirken wird. Dies augenscheinlich in Soft-Konkurrenz zu den neuen, diesbezüglichen Ambitionen seiner ehemaligen Arbeitgeberin.
... und eine Grundsatzfrage
Neuer Chefaufseher über die UBS ist Christian Capuano. Er leitete bislang den Querschnittsbereich Risk Management innerhalb des Geschäftsbereichs Banken. Dieser wird nun ebenfalls in die neue «integrierte Risikoexpertise» integriert. Als «Head UBS» verbleibt Capuano aber im Geschäftsbereich Banken.
Ob Walters Strukturreform die Aufsicht tatsächlich kompetenter und schlagkräftiger macht – oder doch eher die Vielfalt des Finanzplatzes und die traditionelle Schlankheit der Behörde geopfert werden – wird sich erst zeigen, wenn die neue Einheit ihre volle Macht entfaltet.