Pictet-Mann Olivier Monti: «Die Zukunft des Asset Managements»
Wie finews.ch bereits vermeldet hat, haben Pictet Asset Management und die SIX ein Pilotprojekt abgeschlossen, das einen neuen Ansatz für die Fondsindustrie bereithält. Statt, wie teilweise bereits üblich, ganze Fonds zu tokenisieren, konzentrierte sich die Initiative darauf, die zugrundeliegenden Wertpapiere zu fraktionieren und zu tokenisieren – ein Novum im Schweizer Markt. Damit sollen die Vorteile von Grösse und Diversifikation erhalten bleiben, Investoren aber deutlich mehr Einfluss auf die Zusammensetzung ihrer Portfolios erhalten.
Durch die Verlagerung der Fraktionierung auf Instrumentenebene öffnet sich die Tür zu einer skalierbaren Individualisierung von Fonds – etwas, das die traditionelle Fondsstruktur nicht bieten kann. Das Konzept hat bereits die Aufmerksamkeit von Branchenverbänden wie der Asset Management Association Switzerland (AMAS) geweckt, die es als Basis für ein neues Paradigma im Asset Management prüft: Am Ende könnte ein Markt für fraktionierte Wertpapiere stehen.
Im Gespräch mit Olivier Monti, Senior Quantitative Analyst und Investment Manager bei Pictet Asset Management, ergründet finews.ch die Ursprünge der Idee, was den Piloten einzigartig macht und warum die zweite Phase – nun mit AMAS und weiteren Teilnehmern – zu einem neuen Branchenstandard werden könnte.
Herr Monti, ganz einfach gefragt: Worum ging es bei diesem Tokenisierungsprojekt?
Die Idee war sehr einfach: Wir wollten die Anleger wieder ans Steuer setzen und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Präferenzen auszudrücken. Heute nutzen die meisten Investoren Fonds. Das sind fantastische Instrumente – sie bringen Effizienz, Skaleneffekte und Diversifikation. Aber es gibt ein Problem: Alle Investoren in einem Fonds investieren in das exakt gleiche Portfolio. Wer investiert, bekommt einen Bruchteil dieses einen Portfolios. Die einzige Entscheidung besteht darin, ob man dessen Zusammensetzung mag oder nicht. Es ist ein «Take-it-or-leave-it»-Ansatz. Mit unserem Projekt wollten wir die Vorteile einer Fondsstrategie erhalten, den Anlegern aber zusätzlich Optionen geben – die Möglichkeit, sich bei bestimmten Fonds-Bestandteilen ein- oder auszuklinken, also bestimmte Elemente anzupassen.
War dieses Pilotprojekt rein auf institutionelle Kunden ausgerichtet?
Ja, der anfängliche Fokus lag auf institutionellen Kunden. Aber genauso wie Retail-Anleger heute Zugang zu Fonds haben, kann ich mir gut vorstellen, dass die Lösung – sobald sie ausgereift ist – auch für Privatkunden interessant werden kann. Auch hier besteht das Bedürfnis, eigene Investment-Präferenzen umzusetzen.
«Mit unserem Projekt wollten wir die Vorteile einer Fondsstrategie erhalten, den Anlegern aber zusätzlich Optionen geben – die Möglichkeit, sich bei bestimmten Fonds-Bestandteilen ein- oder auszuklinken.»
In Ihrer Kommunikation zum Projekt nannten Sie dieses «pionierhaft». Angesichts der vielen Tokenisierungsprojekte – was ist konkret neu?
Die meisten sprechen heute noch vom Tokenisieren der Hülle – also des Fonds selbst. Mit diesem Ansatz kann man wahrscheinlich schneller abwickeln oder einfacher vertreiben – aber das war es dann auch. Wir haben einen anderen Weg gewählt: Wir haben die zugrundeliegenden Wertpapiere tokenisiert. Das verändert die Perspektive völlig. Man erhält weiterhin die Skaleneffekte, liefert das Produkt aber so, wie es der Kunde wünscht. Um das zu ermöglichen, tokenisiert man ein bestehendes Wertpapier – das ist nichts Neues – und fraktioniert es anschliessend. Soweit ich weiss, wurde das zum ersten Mal so gemacht. Man verändert die Natur des Instruments, indem man es in Bruchteile aufteilt. Phase eins des Piloten hat bewiesen, dass das Konzept funktioniert. Phase zwei wird sich um Skalierung und Automatisierung drehen – dank Smart Contracts und einem programmierbaren Ledger. Damit können wir nicht nur die Buchhaltung, sondern vor allem das Rebalancing automatisieren – also den wirklich zeitaufwendigen Teil. Asset Manager definieren weiterhin die Strategie, aber die Umsetzung und Anpassung an die Kundenpräferenzen werden automatisiert. So erreicht man Mass-Customization.
Wie haben Sie das getestet?
Wir hatten zwei institutionelle Kunden, die an das Projekt glaubten. Es war kein Proof-of-Concept, sondern ein echtes Investment. Wir kauften zwei Unternehmensanleihen, eine in Franken und eine in Euro, und fraktionierten sie. Die Kunden erwarben diese Bruchteile. Sie machten sofort mit, weil sie den Ansatz als Zukunft des Asset Managements sehen.
Woher kam die Idee?
Sie kam von uns, vor etwa vier Jahren. Wir stellten uns die Frage: Wie könnte die Blockchain – respektive die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) – die Fondsindustrie verändern? Zunächst haben wir (wie alle anderen auch) die Hülle tokenisiert. Wir machten einen Proof-of-Concept. Er funktionierte – aber als wir genauer hinschauten, merkten wir, dass wir lediglich eine zusätzliche Kostenschicht auf die bestehende Struktur gelegt hatten. Wir hatten kein Problem gelöst. Also gingen wir zurück zu den Grundlagen: Der Fonds dient dazu, Geld vieler Anleger zu bündeln, um Diversifikation und Skaleneffekte zu erreichen – Dinge, die ein Einzelner nicht hinbekommt. Das funktioniert extrem gut, erlaubt den Anlegern aber nicht, eigene Präferenzen auszudrücken. Unsere Lösung war es, den Zeitpunkt der Fraktionierung zu verlagern. Beim Fonds geschieht das, nachdem das Portfolio gebaut ist. Wir verschoben es davor – auf die Ebene der einzelnen Wertpapiere. Diese kleine Veränderung öffnet eine völlig neue Welt.
«Wir stellten uns die Frage: Wie könnte die Blockchain die Fondsindustrie verändern?»
Und die nächsten Schritte?
Die Arbeiten sind inzwischen Teil einer Arbeitsgruppe bei der AMAS. Ziel ist es, einen Standard zu schaffen und schliesslich einen Marktplatz für Bruchteile – was den Handel erleichtern und eine zusätzliche Liquiditätsschicht ähnlich wie bei Exchange Traded Funds schaffen würde. Dafür braucht es eine gewisse Masse an Teilnehmern. Daher ist AMAS die richtige Partnerin, um weitere Partner einzubinden. Der Branchenverband hat das Projekt auf seine Roadmap genommen. Mit einem ersten anpassbaren Portfolio rechnen wir bis Ende 2026.
Wird die zweite Phase weiterhin nur Pictet und SIX umfassen?
Nein, Phase zwei wird mit AMAS und weiteren Teilnehmern durchgeführt – wir wollen eine kritische Masse erreichen und einen neuen Branchenstandard setzen.
Und die Pilotkunden?
Beide sind sehr zufrieden. Alles funktionierte wie geplant. Sie wollen Phase zwei so schnell wie möglich, und wir werden eng mit ihnen zusammenarbeiten, damit das Ergebnis den Kundenbedürfnissen entspricht.
Olivier Monti, CFA, ist Senior Quantitative Analyst und Investment Manager bei Pictet Asset Management, wo er seit 2005 tätig ist. Er arbeitet in Genf und ist spezialisiert auf Multi-Asset-Strategien, Risk-Premia-Extraction und taktische Asset-Allokation. Damit verbindet er quantitative Forschung mit praktischer Portfolioverwaltung.