Peter Kraus: «Europäische Nebenwerte nehmen weiter Fahrt auf»
Herr Kraus, europäische Nebenwerte – insbesondere Micro Caps – scheinen derzeit eine Outperformance gegenüber Large Caps zu zeigen. Was sind die Hauptgründe dafür?
In der Tat sehen wir eine spürbare Belebung im Small- und Micro-Cap-Segment. Die Hauptgründe sind meines Erachtens eine sich verbessernde Konjunktur, der anhaltende Zinssenkungszyklus sowie die historisch günstigen Bewertungen von Nebenwerten im Vergleich zu Large Caps.
Welche Rolle spielt das konjunkturelle Umfeld bei dieser Entwicklung?
Eine grosse. Historisch haben Nebenwerte in Phasen der konjunkturellen Erholung regelmässig outperformt. Einige Frühindikatoren deuten derzeit auf eine Erholung im Industriesektor hin. Da der Dienstleistungssektor bereits expandiert und die Lagerüberhänge weitgehend abgebaut sind, spricht vieles für eine breit abgestützte Konjunkturerholung.
Europäische Aktienmärkte verzeichnen erstmals seit 2022 wieder deutliche Zuflüsse.
Kehren auch die Investoren in das Segment zurück?
Ja, das ist ein weiterer wichtiger Punkt. Nach einer langen Phase anhaltender Mittelabflüsse verzeichnen europäische Aktienmärkte erstmals seit 2022 wieder deutliche Zuflüsse. Das Vertrauen institutioneller Investoren scheint zurückzukehren. Dies ist auch ersichtlich an der wieder zunehmenden Marktbreite. Während in den letzten Quartalen vor allem Bank-, Versicherungs- und Rüstungswerte die Kursgewinne trugen, zeichnet sich zuletzt ein deutlich breiteres Bild ab – über verschiedene Sektoren und Länder hinweg. Davon könnten Small und Micro Caps überdurchschnittlich profitieren.
Welche Nebenwerte sehen Sie aktuell mit dem besten Potenzial?
Langfristig zählen profitable, stark wachsende Small und Micro Caps mit hohen Kapitalrenditen zu den besten Performern. Grundsätzlich finden wir solche Unternehmen vor allem in den Sektoren Technologie, Gesundheit und Industrie.
Wie schlägt sich Ihr Fonds in diesem Umfeld?
Der Berenberg European Micro Cap Fonds konnte sich in diesem Jahr bisher gut entwickeln. Zum Stichtag 30.06.2025 lag die absolute Wertentwicklung vor der Benchmark. Treiber waren sowohl Titel, die nach temporärer operativer Schwäche wieder Tritt fassen, als auch gezielt neu aufgenommene Positionen mit teilweise hervorragender Kursentwicklung.
Können Sie uns konkrete Beispiele nennen?
Gerne. Ein Beispiel ist RaySearch Laboratories, ein schwedisches Unternehmen, das Software für die Strahlentherapie entwickelt. Das Unternehmen kann seit über zehn Jahren durchschnittliches organisches Umsatzwachstum von über 15 % pro Jahr erzielen und hat eine treue, stark wachsende Kundenbasis. Das operative Tempo hat sich zuletzt sogar noch beschleunigt: Im ersten Quartal 2025 stiegen die Auftragseingänge um über 70 % im Jahresvergleich, das bereinigte EBIT verdoppelte sich gegenüber dem Vorjahr und lag damit rund ein Drittel über den Erwartungen.
Ein weiteres Beispiel ist STIF SA. Der französische Spezialist für Sicherheitstechnik in Batteriespeichern profitiert vom weltweiten Ausbau stationärer Energiespeicher und Batteriesysteme. Kunden wie Tesla, Fluence und Sungrow setzen auf ihre Technik. 2024 konnte das Unternehmen sein operatives Ergebnis vervierfachen. Diese Entwicklung spiegelt sich auch im Aktienkurs wider.
In der Schweiz zählen wir beispielsweise stark wachsende Nischenanbieter wie das Medizintechnikunternehmen Kuros, den Transformatoren-Hersteller R&S oder das Technologieunternehmen Comet – allesamt Unternehmen, in die wir investiert sind – zu den interessanten Nebenwerten.
Eine sorgfältige Einzeltitelauswahl und ein langfristiger Blick sind entscheidend.
Was bedeutet das konkret für Anlegerinnen und Anleger – lohnt sich jetzt der Einstieg in Nebenwerte?
Vieles spricht aus unserer Sicht dafür, dass europäische Nebenwerte weiter an Fahrt aufnehmen und vor einer nachhaltigen Erholung stehen könnten. Entscheidend ist jedoch eine sorgfältige Einzeltitelauswahl und ein langfristiger Blick. Für aktive Anleger eröffnet sich damit ein interessantes Feld – in einem Marktsegment, das trotz seiner Chancen häufig noch immer unterschätzt wird.
Peter Kraus ist seit Oktober 2017 Head of Small Cap Equities bei Berenberg. Er war ab dem Jahr 2000 zunächst für 3 Jahre als Aktienanalyst für eine Corporate Finance Beratung in München tätig, bevor er in 2003 zu Deka Investment nach Frankfurt wechselte. Dort war er als Analyst für europäische Nebenwerte tätig. In 2006 wechselte er zu Allianz Global Investors als Fondsmanager für europäische Micro und Small/Mid Caps, wo er in den Folgejahren massgeblich zum Erfolg des Nebenwerte-Teams beigetragen hat. Peter Kraus zeigte sich verantwortlich für das Management von diversen europäischen Nebenwerte-Fonds sowie für die Akquisition und die Betreuung internationaler institutioneller Mandate. Er studierte an der Universität Mannheim Betriebswirtschaftslehre und ist CFA Charterholder.