Die Schweiz-Chefin der Société Générale war in der Coronakrise mit verschollenen Schiffen, geplatzten Krediten und Eltern am Rande des Nervenzusammenbruchs konfrontiert. Im Banking kommen entbehrungsreiche Zeiten auf die Männer zu, sagt Anne Marion-Bouchacourt im Interview mit finews.ch.


Frau Marion-Bouchacourt, 2018 schrieb finews.ch, Sie hätten wohl einen Kulturschock erlitten. Damals waren Sie nach sechs Jahren in China in die Schweiz gewechselt und hatten hier die Rolle der Länderchefin übernommen. Lagen wir richtig?

Jedes Land hat seine eigene Kultur. Aus meiner Sicht gibt es da nur dies: offen sein, sich anpassen und lernen. Die Schweiz und China sind natürlich extrem verschieden. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten.

Die wären?

Es braucht in China sehr viel Zeit, um bei Geschäftspartnern Vertrauen aufzubauen. Alles funktioniert dort nur über persönliche Netzwerke, weil die Chinesen die Erfahrung gemacht haben, dass sie im Ernstfall keinen Schutz bei den Institutionen finden können. Als Ausländer muss man da sehr viel Beziehungsarbeit leisten – und das ist ähnlich wie in der Schweiz. Ich stelle fest, dass es hierzulande ebenfalls sehr lange dauert, bis einem vertraut wird.

Darin sind die Schweizer ein wenig chinesisch?

Das mag sein. Aber auch in Frankreich sagen wir: Man muss erst ‹gemeinsam in die Schlacht gezogen sein›, um sich zu vertrauen.

Die Coronakrise ist möglicherweise auch so eine Ausnahmesituation, die dazu Gelegenheit bietet. Wie meisterten Sie die letzten Monate bei der Société Générale in der Schweiz?

Wir waren an verschiedenen Fronten gefordert. Da war einerseits die Verlegung aller Mitarbeitenden ins Homeoffice, die wir rein technisch problemlos meisterten. In der Tat sind wir es gewohnt, jedes Jahr Krisensimulationen durchzuführen, um auf jede Situation vorbereitet zu sein. Wir haben auch auf die menschlichen Aspekte geachtet, die manchmal komplex zu bewältigen waren.

«In der zweiten Welle arbeiten wir mehr als je zuvor»

Da waren die Mitarbeitenden mit Kleinkindern: ein Alptraum. Und da gab es die Alleinstehenden, die zuhause eingesperrt waren: ebenfalls ein Alptraum. Das konnten wir unmöglich vorhersehen.

Wie konnten Sie als CEO helfen?

Wir führten Webinare mit Psychologen durch, die den Angestellten erklärten, was mit ihnen geschieht. Wir veranlassten auch, dass sich Kollegen regelmässig bei Mitarbeitenden meldeten, denen es nicht gut ging. Ebenfalls bildeten sich Gruppen, die sich trafen und etwa draussen Sport trieben. Das half – doch nun haben wir eine neue Problematik.

Welche?

Während des ersten Lockdowns in der Schweiz war alles in Schockstarre, und die Arbeit lief langsamer. In der zweiten Welle arbeiteten wir mehr als je zuvor. Weil die Leute daheim vor ihrem Computer sitzen, wird angenommen, dass sie rund um die Uhr erreichbar sind. Ich selber werde mit Calls vom Hauptquartier in Paris eingedeckt, weil kaum jemand mehr in die Schweiz reisen und mich persönlich sprechen kann.

Sie sagen also als Chefin: Arbeitet nicht zu viel!

Wir gaben den Mitarbeitenden Ratschläge zu einer guten Work-Life-Balance: Nehmt eine Stunde Mittag, esst nicht vor dem Computer, macht Kaffeepausen – solche Dinge. Mittlerweile haben wir die entscheidenden Punkte und bewährten Verfahren für effektives Homeoffice klar festgehalten. Ausserdem haben wir beschlossen, das Homeoffice auf zwei Tage pro Woche zu vereinheitlichen.

Haben Sie auch eine Gebrauchsanweisung, wie man eine Handelsfinanzierung vom Küchentisch aus abwickelt? Ihre Ländereinheit dreht in diesem Geschäft ein grosses Rad.

Ich erinnere mich lebhaft an einen Fall im vergangenen Jahr, als einer unserer Kunden in der internationalen Handelsfinanzierung Pleite ging. Mehrere Schiffe waren auf hoher See mit der Ladung, die faktisch uns gehörte, und wir mussten die Kontrolle sicherstellen.

«2020 war schwierig für den Sektor Private Banking»

Wir mussten in Häfen in Afrika und Asien jemanden finden, der uns bei der Abwicklung helfen würde – eine Destination in Asien war damals auch noch von einem Taifun getroffen worden. Versuchen sie mal, das vom Küchentisch aus zu organisieren!

Ihre Leute haben es geschafft?

Ja, mit viel Engagement und einem Bisschen Glück. Was ich feststellte ist, dass wildfremde Menschen sich in Ausnahmesituationen mit grossem persönlichen Einsatz zu Hilfe eilen. Wir konnten einen Verlust für alle Beteiligten vermeiden.

Gilt das auch fürs Gesamtgeschäft der Ländereinheit im letzten Jahr?

Genaue Zahlen dürfen wir als Niederlassung leider nicht bekannt geben. Trotz eines volatilen Marktumfelds und der Covid-Krise haben wir das Jahr 2020 positiv abgeschlossen. Das ist die Stärke unseres diversifizierten Modells, das es uns ermöglicht, die Auswirkungen der wirtschaftlichen Situation auf das eine oder andere unserer Geschäfte auszugleichen. Zum Beispiel erzielten wir gute Ergebnisse in den Bereichen Handelsfinanzierung und Kapitalmärkte.

Und in allen unseren Geschäftsbereichen tragen unsere nachhaltigen Angebote ebenfalls zu unserer Entwicklung bei. Die Kunden sind viel mehr an diesem Thema interessiert als früher.

Und wie ist der Start ins 2021 geglückt?

Gut. Sehr gut, sogar.

Wie hat sich das Private Banking geschlagen? 2019 sorgte ja Zürich für Aufsehen, weil Standortleiter Tobias Wagner die Bank mitsamt einem Team verlassen hatte.

Das Jahr 2020 war schwierig für diesen Sektor, insbesondere aufgrund des «Deleveraging» bestimmter Kunden-Portfolios. Der positive Faktor ist die Dynamik unseres Anlagebestandes, und wir sind auf dem besten Weg zur Profitabilität.

«Eine Zeitlang müssen wir die knappen Top-Posten ausschliesslich an Frauen vergeben»

Um unseren Kunden innovative Lösungen anbieten zu können und die Effizienz unseres operativen Systems zu stärken, haben wir uns im vergangenen Januar ausserdem für die Zusammenarbeit mit der Lausanner Firma Azqore entschieden. An diese lagern wird unsere digitalen Lösungen und das Backoffice aus.

Auf die ganze Ländergesellschaft gesehen: Müssen Sie Personal entlassen – oder stellen Sie ein?

Das hängt von der Aktivität ab. Im Kapitalmarkt-Geschäft bauen wir definitiv aus. Ich bin der Meinung, dass wir hier vor Ort rekrutieren müssen. Ich will mit den Leuten Zeit verbringen und einen Kaffee trinken können – so gleist man meiner Meinung nach Projekte auf. Möglicherweise rekrutieren wir auch noch in der Handelsfinanzierung. In den übrigen Bereichen fühlen wir uns gut aufgestellt.

Anfang 2020 hat in der hiesigen Rohstoffhandels-Finanzierung mit Deia Markova eine erfahrene Metallhandel-Expertin die Leitung übernommen. Der Bankkonzern Société Générale strebt im oberen Management eine Frauenquote von mindestens 30 Prozent bis 2030 an. Schafft die Bank das?

CEO Frédéric Oudéa meint es sehr ernst damit, insofern habe ich Hoffnung, dass wir dieses Ziel auf Konzernstufe erreichen. Aber die Zielvorgabe ist nur zu erreichen, wenn wir eine Zeitlang die knappen Top-Posten ausschliesslich an Frauen vergeben. Ich erlebte das in meiner Zeit als HR-Chefin der gesamten Gruppe: Ich konnte mich noch so sehr für die Förderung von Frauenkarrieren stark machen – aber auf einer gewissen Hierarchiestufe stagnierte die Anzahl Frauen.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Sicher nicht daran, dass Männer keine Frauen fördern wollen. Eher hat es mit Führung an sich zu tun. Manager ziehen am ehesten Untergebene nach, die ähnlich ticken wie sie und effizient zu führen sind.

«Anfänglich war ich total gegen Quoten»

Und da die Führungskräfte noch oft Männer sind, gibt es noch nicht genug Platz für Frauen. Andererseits können Frauen emotionaler oder aggressiver wahrgenommen werden, obwohl sie eigentlich nur engagiert bei der Sache sind. Und es stimmt: wenn Männer ehrgeizig sind, heisst es, sie seien ambitioniert. Während man vielleicht über Frauen hört, dass sie unangenehm sind. Es ist wichtig, diese Vorurteile zu erkennen, und wir haben viel getan, um das Bewusstsein dafür zu fördern.

Deshalb braucht es Quoten?

Anfänglich war ich total dagegen. Aber als ich begriffen habe, wie Beförderung im oberen Kader funktioniert, gelangte ich zur Einsicht, dass wir ohne Quoten die angestrebte Diversität nie erreichen. Mit dannzumal 30 Prozent gibt es genug Frauen auf der Ebene, dass sich Männer an sie gewöhnen und ihre Sichtweise ändern können.

Wie ist denn die Quote bei der Ländergesellschaft in der Schweiz?

Die Geschäftsleitung setzt sich zur Hälfte aus Männern und zur anderen Hälfte aus Frauen zusammen. Weiter zugunsten des Frauenanteils möchte ich aber nicht gehen. Bei der Diversität geht es um Balance – der Sinn ist ja gerade, dass sich verschiedene Sichtweisen und Persönlichkeiten die Waage halten. Denn die Welt ist komplex, und nur so lassen sich verborgene Probleme rechtzeitig erfassen. Nur so werden wir besser.

Sie haben es im Banking geschafft. Sie waren Teil der Konzernspitze, auf wichtigem Posten in Asien und nun am Finanzplatz Schweiz. Was raten Sie Bankerinnen, die ihre Karriere noch vor sich haben?

Aus meiner eigenen Erfahrung würde ich sagen: sich trauen, ehrgeizig zu sein. Ich hatte das Glück, dass mich vorgesetzte Männer unbedingt auf dem Posten der HR-Chefin haben wollten. Ich war eigentlich zufrieden mit meiner damaligen Rolle, aber sie nötigten mich fast, die Hand zu heben und mich zu melden. Vielleicht ist es das, was Frauenkarrieren am meisten brauchen: mehr männliche Unterstützung.


Anne Marion-Bouchacourt ist seit 2018 CEO der Auslandsbank Société Générale (Switzerland). Davor war sie sechs Jahre lang als Länderchefin in China stationiert. Sie steht seit 2004 im Dienst der französischen Grossbank, wo sie als Personalchefin zeitweilig auch in der Geschäftsleitung sass.

Société Générale (Switzerland) geht im Wesentlichen vier Aktivitäten nach. Das in Zürich basierte Corporate- und Investmentbanking bietet Handelsfinanzierung, Kapitalmarkt-Geschäfte, Depotdienste und Cash-Management an. Hinzu kommt das Firmenkunden-Geschäft. Zusammengenommen erwirtschaftet die Schweizer Investmentbank fünfmal mehr Ertrag als die übrigen Sparten: Das Private Banking mit Basis in Genf und Niederlassung in Zürich sowie die kleineren Zweige Maschinen-Leasing und Flottendienste.

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