Heutige systemrelevante Banken seien nicht der richtige Partner für grundlegende Paradigmenwechsel, schreibt der Schweizer Unternehmer Willy Graf in einem Gastbeitrag auf finews.ch. Vielmehr reizten sie ihr Businessmodell solange aus, bis es nicht mehr gehe. Das könne nicht der richtige Ansatz für die Zukunft sein.

Gibt es in Zukunft die klassische Bank noch, wie wir sie heute kennen? Ich glaube nicht. Ich bin eher der Meinung, dass es künftig keine Unterteilung in Bank (welche Konten und Finanzprodukte brauche ich?), Versicherung (gegen welche Risiken muss ich mich absichern?) und Lebenshilfe (Wie sorge ich auf meinem Lebensweg für finanziell gesunde Verhältnisse?) mehr geben wird.

Banken werden durch Gesamtanbieter verschiedener Dienstleistungen aus all diesen Bereichen ersetzt. Nennen wir diese Gesamtanbieter einmal Vorsorge-Designer. Vorsorge ist seit Jahren gemäss dem Sorgenbarometer der Credit Suisse die grösste Furcht der Schweizer Bevölkerung (derzeit auf dem zweiten Platz, verdrängt nur durch die Angst vor Covid-19). Das klassische Banksystem sieht dem Schicksal der Dinosaurier entgegen.

Vorsorge als Lifestyle-Erlebnis

Die erfolgreiche Bank der Zukunft hingegen hat eine riesige Chance. Sie – oder eben der Vorsorge-Designer – ist der künftige Lebensbegleiter der Kundinnen und Kunden im Bereich der lebenslangen Vorsorge. Vor allem begleitet dieser die Kundschaft nicht nur finanziell im klassischen Sinn, sondern immer dann auch, wenn ein Ereignis im Leben des Kunden finanzielle Auswirkungen auf dessen Vorsorgeplanung hat. So wird Vorsorge zum Lifestyle-Erlebnis.

Das heisst, der Begriff Finanz, auf den die Banken sich bisher konzentrierten, wird ausgeweitet zum Ökosystem «Lebenslange Vorsorge». Heute denken Banken beim Thema Vorsorge meistens nur an ein oder mehrere Bankkonten für die Säule 3a, Versicherungen an den Abschluss eines möglichst lang laufenden Säule-3a-Versicherungsvertrags. Und hoffen, dass der Kunde sich gut beraten fühlt.

Kundenbeziehung neu denken

Meine Erfahrung zeigt jedoch, dass die meisten dieser Kundinnen und Kunden im Nachhinein nicht zufrieden sind und ohne weitere emotionale Bindung das Institut wechseln möchten. Das ist die Realität.

Vor allem bei den Generationen Y und Z bedarf es für eine stärkere Kundenbindung an ein Beratungsinstitut mehr als nur reduzierte Eintrittspreise zu kulturellen Veranstaltungen und zu Fussballspielen. Die Kundenbeziehung muss auch auf dieser Ebene neu gedacht werden.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Es nützt auch nichts, innerhalb des Angebotes Finanzen, sogenannt «neue» Ökosysteme zu erfinden und diese als Innovation zu verkaufen. Das Ökosystem Haus, das Ökosystem Auto – alles alter Wein in neuen Schläuchen.

Auch die Erfindung von Apps innerhalb der alten Aufgabe Finanzen, wie ZAK bei der Bank CLER oder Mutlibanking bei der Aargauer KB oder der CIC – alles so langweilig wie eh und je. Die Dienstleistung Finanzen muss für das Überleben der heutigen Anbieter komplett neu gedacht werden.

Sorge um Vorsorge als Chance

Die Sorge um die Vorsorge ist das, was die Menschen ein Leben lang beschäftigt. Niemand will im Alter in einer Altersarmut leben. Genau das ist die riesige Chance, die sich dem künftigen Vorsorge- und Lifestyle-Designer bietet.

Das Ökosystem lebenslange Vorsorge gilt es, zu erkennen, einzurichten und ein Leben lang den Kundinnen und Kunden anzubieten. Eine gut geplante Vorsorge macht die Menschen für andere Aktivitäten frei. Wenn sie sich gut beraten fühlen, dann können sie sich ihren Stärken widmen und so auch der gesamten Volkswirtschaft mehr bieten.

Wie ein Hochzeitsplaner

In Zeiten, in denen die Menschen einen «Wedding Planner» brauchen, um eine Hochzeit auszurichten, wo es für jeden grösseren Kaufentscheid alle möglichen Vergleichsdienste gibt, wo die Generationen Y und Z von Tausenden von Influencern beeinflusst werden und deshalb den Lehrpersonen und Vorgesetzten immer weniger vertrauen, wo ein Lieferdienst für Pizzas, Salate oder Pasta nicht mehr wegzudenken ist, braucht es offenbar auch einen Planer für das finanzielle Leben jedes Einzelnen.

Anfänglich sprach man oft vom «Finanzcoach» für die finanzielle Gesundheit der Kundinnen und Kunden, ähnlich dem Hausarzt für die körperliche Gesundheit. Aufgrund der Erfahrung aus mehr als 10'000 Vorsorge-Beratungen ist es heute treffender von einem «finanziellen Lifestyle-Coach» für den Kunden zu sprechen. Ein Lifestyle-Coach, der stets für die Vorsorge-Fragen der Kunden da ist und diese fachgerecht beantworten kann, wo nötig durch den Beizug von externen Spezialisten.

Businessmodell ausgereizt

Für die heutigen Banken heisst das: Wenn sie überleben wollen, muss sich das Berufsbild des Kundenberaters verändern. Der künftige Mitarbeiter kennt das Ökosystem lebenslange Vorsorge. Er weiss vieles davon selber und zieht bei Bedarf Kooperationspartner hinzu.

Entscheidend und wichtig ist dabei: Der finanzielle Lifestyle-Coach bietet dem Kunden einen «One-stop-one shop»-Service für dessen Fragen – analog zum Wedding Planner. Einer meiner Freunde hat diese Notwendigkeit erkannt und folgerte daraus: «Heutige systemrelevante Banken sind höchstwahrscheinlich nicht der richtige Partner für grundlegende Paradigmenwechsel; vielmehr sie reizen ihr Businessmodell solange aus, bis es nicht mehr geht.

Beihilfe zum Steuerbetrug

Der erzwungene Businessmodell-Wechsel von der aktiven Beihilfe zum Steuerbetrug hin zur heutigen Weissgeld-Strategie haben diese Banken bis zuletzt bekämpft – letztlich erfolglos. Nun versuchen sie mit letzten Zuckungen, sich von der Verantwortung der Auszahlung von Retrozessionen zu drücken, doch der Strom der Zeit war und ist nicht aufzuhalten: Panta rhei!»

Das Gleiche gilt für ehemalige Mitarbeitende solcher Institute, wenn sie denn nicht gerade wegen dieser Einstellung den alten Arbeitgeber verlassen haben. Es braucht neue Ideen und andere Mitarbeitende für die Kundenberatung der Zukunft.

Sprudelnde Wertschöpfung

Nicht die eigene Geldgier muss der Antrieb für eine kundenorientierte Beratung sein, sondern das Wohlergehen der Kunden. Denn Fürsorge lohnt sich. Für alle. Auch hier gilt «Joy shared is joy doubled». Zur fachlichen Kompetenz kommt der Aufbau einer emotionalen Bindung hinzu, und lebenslange Vorsorge wird zum Lifestyle-Angebot. Doch wie macht man das ungeliebte Thema Vorsorge zu einem Lifestyle-Produkt und damit zu einer ständig sprudelnden Wertschöpfung für alle Beteiligten?

Der Fokus auf den nächsten Quartalsabschluss muss dem langfristigen Wohlergehen aller Beteiligten weichen. Ich zitiere nochmals die Antwort meines Freundes, der von mir einen Link zur südafrikanischen Discovery Bank erhalten hat: «Diese Discovery Bank ist wirklich innovativer als alle Banken, die wir in der Schweiz kennen! Und sie geht konsequenter auf die Idee der finanziellen Gesundheit ihrer Kundinnen und Kunden ein als andere Finanzdienstleister.»

Die erste Behavioral-Bank?

Es ist beeindruckend, wie die Discovery Bank daran arbeitet, zur ersten «Behavioral Bank» der Welt zu werden. Hervorgegangen aus einer Krankenkasse sind die Grundlagen Bankdienstleistungen, diese werden ergänzt mit Versicherungen. So weit, so langweilig.

Der Ansatz, Vitality-Themen mit finanziellen Anreizen zu verknüpfen, ist hingegen hervorragend und ein Schritt in die richtige Richtung. Es sind Belohnungen, die sich auf die ursprünglich langweiligen Finanzprodukte auswirken. Lifestyle-Themen, die meine Finanzen beeinflussen können: ein guter Anfang!

Warum kommen die Kunden?

Doch eigentlich geht es darum, wie das Onboarding der Kundinnen und Kunden funktioniert. Kommen die Kunden wegen der Finanzdienstleistungen zu Discovery oder wegen den Lifestyle-Angeboten? Am Ende wird das keinen Unterschied mehr machen. Die Kunden müssen sich einfach wohlfühlen. Der Erfolg mit mehr als fünf Millionen Kunden spricht für das Konzept der Discovery Bank.

Denkt man den Weg der Discovery Bank weiter, dann kann man bereits heute die Liste um weitere Themenbereiche und Dienstleistungen ergänzen. Am Ende muss sich alles um die lebenslange Vorsorge der Kunden drehen. Es darf keinen Unterschied machen, ob der Kunde sich beraten lassen, oder ob er alles selbst erledigen will.

Selbstplaner wird zum Beratungskunden

Am besten bietet die Bank der Zukunft den Kunden die gesamte Beratung modular an: Da, wo sie sie wollen, erhalten sie Beratung. Und Selbstplaner sind ebenfalls willkommen. Das Angebotsumfeld muss deshalb beiden Kundentypen beides anbieten und gleichzeitig eine Grundlage für eine emotionale Bindung bieten. Ein Selbstplaner kann rasch zu einem Beratungskunden werden.

Das Wichtigste in diesem Kontext ist eine Art Financial Literacy, also eine finanzielle Bildung. Man schult die Kunden in den Grundzügen der Vorsorge, man bezieht sie ein in Workshops und Webinaren. Darauf aufbauend erstellt man eine Grundanalyse, und diese nutzt man dann als Basis für die sich daraus ergebenden Massnahmen.

Aber nur so, wie sie aufgrund der Situation des Kunden angebracht sind und zu seinem finanziellen Wohlergehen in der Zukunft beitragen. So erarbeiten lässt sich das Fundament für eine lebenslange emotionale Bindung zu den Kunden aufbauen.


Willy Graf ist Gründer und Geschäftsleiter der VVK-Gruppe sowie CEO der Firma FinConTec.

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