Ein grosser Teil der börsennotierten Unternehmen berichte noch immer nicht nach etablierten ESG-Standards, sagt Mary Jane McQuillen von Clearbridge Investments im Interview mit finews.ch. Ein globaler Standard dafür könnte zwar effizienter sein – aber die grössere Herausforderung sei die fehlende Berichterstattung.


Frau McQuillen, ist ESG das richtige Kriterium für nachhaltige Investments?

Ja, diese Faktoren decken ein breites Spektrum relevanter langfristiger Überlegungen ab, die in eine Analyse einfliessen sollten. Sie sind aber nicht die einzigen Kriterien, da auch starke Fundamentaldaten dazu beitragen, dass «nachhaltige Investments» tatsächlich nachhaltig sind.

Das «G», das für den Bereich Governance steht, soll der am stärksten vernachlässigte Faktor bei vielen Anlageentscheidungen sein. Richtig?

Dass die Governance-Kriterien steifmütterlich behandelt werden, ist ein Irrglaube. Im Gegenteil: Man könnte argumentieren, dass Governance branchenübergreifend am beständigsten bewertet wird, wobei die Faktoren E (Umwelt) und S (Soziales) typischerweise als ebenso relevant gewichtet werden.

Viele kleinere Unternehmen können sich ein ESG-Reporting aus Kostengründen gar nicht leisten. Ist das nicht ein Nachteil für diese Firmen – und ebenso für Anleger, die attraktive Investments verpassen?

Viele Small-Cap-Unternehmen haben tatsächlich nicht die Ressourcen oder die Erfahrung, um Offenlegungen zu erstellen oder Nachhaltigkeitsberichte zu veröffentlichen. Dies ist jedoch eher eine Chance als ein Nachteil, zumal aktive Manager wie wir bei ClearBridge in diesen Fällen eine besondere Rolle spielen können.

Inwiefern?

Direktes Engagement und gute Beziehungen sind um so dringender erforderlich, um ein fundiertes Urteil über das ESG-Profil eines kleineren Unternehmens und eine Anlageeinschätung zu dieser Firma zu geben.

«ESG-Kriterien gelten für verschiedene Unternehmen in der Tat unterschiedlich»

Der Wert unseres ESG-Ratingsystems zeigt sich möglicherweise am deutlichsten in jenen Fällen, in denen es nicht nur weniger Sell-Side-Coverage über ein kleineres Unternehmen gibt, sondern auch fast keine Offenlegung von ESG-Informationen.

ESG sind sehr subjektive Kriterien. Wäre es nicht besser, einen globalen Standard anzuwenden?

ESG-Kriterien gelten für verschiedene Unternehmen in der Tat unterschiedlich. Das bedeutet aber nicht, dass sie subjektiv sind. Ein Investor sollte die Arbeitsweise eines Unternehmens genau kennen, um objektive Entscheidungen in Bezug auf ESG-Kriterien zu treffen.

Globale Standards sind zwar hervorragende Leitfäden und helfen bei Vergleichen zwischen Unternehmen in verschiedenen Regionen. Sich jedoch ohne ein tiefes Verständnis des Geschäftsmodells, des regulatorischen Systems, der Produkte und der Gesamtentwicklung eines Unternehmens darauf zu verlassen, wäre aus Sicht eines Anlegers jedoch kontraproduktiv.

«Impact Investments und ESG-Investitionen müssen sich nicht gegenseitig ausschliessen»

Darüber hinaus ist es eine Tatsache, dass ein beträchtlicher Teil der börsennotierten Unternehmen immer noch nicht nach etablierten ESG-Standards berichtet. Daher mag ein globaler Standard zwar effizienter sein, die grössere Herausforderung ist aber die fehlende Berichterstattung.

Manche Unternehmen, die die ESG-Kriterien nicht erfüllen, tun viel mehr für eine nachhaltige Wirtschaft oder zur Erreichung der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals). Wie gehen Sie damit um?

Wir prüfen die ESG-Merkmale eines Unternehmens und berücksichtigen dabei sowohl die Fälle, in denen eine Firma zum Beispiel erfolgreich zu den Nachhaltigkeitszielen beiträgt, als auch die Fälle, in denen ihre Praktiken möglicherweise noch verbessert werden müssen.

Unser aktiver Ansatz ist darauf ausgerichtet, partnerschaftlich mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, an denen wir beteiligt sind. Als Partner sind wir in der Lage, Gespräche mit unseren Portfolio-Unternehmen zu führen, Nachhaltigkeitsgewinne auszubauen und den Entscheidungsträgern zu helfen, dort Verbesserungen vorzunehmen, wo diese notwendig sind – beispielsweise im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die Reduzierung von Kohlenstoffemissionen oder bessere Arbeitsplatzrichtlinien.

Wäre ein Impact-Investing-Ansatz nicht viel effektiver?

Impact Investments und Investitionen unter Berücksichtigung von ESG-Kriterien müssen sich nicht gegenseitig ausschliessen. Viele Impact-Anleger glauben, dass die Absicht, Impact zu erzeugen, ein wesentliches Kriterium ist (Intentionalität). Einige wollen sogar nachweisen, dass das Hinzufügen ihrer Investitionsgelder ein Katalysator für die erzeugte positive Wirkung ist (Additionalität).

«Investoren sollten die Unternehmen genau kennen, an denen sie sich beteiligen»

Infolgedessen konzentrieren sich die meisten Impact Investitionen auf Nischenprojekte, die diese Erwartungen an «Intentionalität» und «Additionalität» erfüllen. Während solche Anlagemöglichkeiten das Potenzial haben, eine explizite Wirkung zu erzielen, sind viele, wenn nicht sogar die meisten, nicht wiederhol- oder skalierbar.

Manche Unternehmen geben bloss vor, nachhaltig zu wirtschaften und betreiben Green Washing.

Investoren sollten die Unternehmen genau kennen, an denen sie sich beteiligen. Die explizite Integration von ESG-Research in die Analyse der finanziellen und operativen Stärke eines Unternehmens ermöglicht einen klaren Blick darauf, ob die Behauptungen der Unternehmen bezüglich ihrer Nachhaltigkeitspraktiken realistisch und aussagekräftig sind.

Welche Branchen haben bisher am häufigsten Nachhaltigkeitskriterien erfüllt – und welche am wenigsten?

Auf Basis meiner eigenen Erfahrungen mit dem US Sustainability Leaders Fund verwalten wir ein diversifiziertes Portfolio, das in allen Sektoren mit Ausnahme von Energie (konventionell) investiert ist.

«Grosskapitalisierte börsennotierte Unternehmen haben noch viel Potenzial, die grösste Wirkung zu erzielen»

Daher sind wir in der Lage, branchenübergreifend führende Nachhaltigkeitskriterien zu identifizieren. Unser aktiver Anteil spiegelt sich in unserer Portfolioallokation relativ zu unserer US-Benchmark (Russell 3000 Index) wider, während das Gros unseres Risikos aus der Titelselektion resultiert.

Welche Branchen oder Unternehmen leisten den wichtigsten Beitrag zur Erreichung der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele?

Idealerweise sollten alle Sektoren an den UN-Nachhaltigkeitszielen mitwirken. Grosskapitalisierte börsennotierte Unternehmen haben allerdings noch viel Potenzial, die grösste Wirkung zu erzielen.


Mary Jane McQuillen ist Portfolio Managerin des Legg Mason Clearbridge US Equity Sustainability Leaders Fund und Leiterin ESG Investments, bei ClearBridge Investments, einem Teil des US-Vermögensverwalters Franklin Templeton.

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