Geduld ist ihre Strategie: Evelyne Pflugi und der Mut, anders zu investieren

Es war nie ihr grosser Traum, eine Firma zu gründen. Evelyne Pflugi studierte Lebensmittelwissenschaften an der ETH Zürich und war fasziniert von der Research Arbeit im Studium – ein Denken, das sie schliesslich auch in die Finanzwelt führte. Sowohl bei Capital Group als auch bei GAM hatte sie das Gefühl, Portfolios liessen sich besser managen. Im Bereich Ressourcen & Energie, wo Pflugi tätig war, ging es vor allem darum, Wertschöpfungsketten zu verstehen, die Gewinne generieren. Diese Logik, glaubte sie, liesse sich auch auf Investments im Bereich Technologie und Innovation übertragen.

«Ich wollte nie Unternehmerin werden. Ich hatte einfach die Überzeugung, dass man Aktienfonds besser managen sollte», sagt sie rückblickend.

Bei ihren früheren Arbeitgebern stiessen Pflugis Ideen jedoch auf wenig Offenheit. Dort galten Fundamentalanalysen als unantastbar und regelbasierte Ansätze als zu starr. Also gründete sie 2017 gemeinsam mit Tobias Reichmuth ihre eigene Firma: «The Singularity Group».

Regeln statt Bauchgefühl

Während viele Banken ihre eigenen Fonds aufgegeben und sich passiven ETFs zugewandt haben, bleibt Pflugi überzeugt, dass aktives Management funktioniert – wenn man es richtig macht – und die Zahlen aus den letzten acht Jahren geben ihr Recht.

«In der Finanzindustrie entscheiden manchmal Leute, die – oft aufgrund falscher Anreize – gar nicht merken, was sie ihren Kunden verkaufen», erklärt Pflugi. In der Tech-Industrie sei das anders. «Wenn das iPhone schlecht wäre, käme sofort etwas Neues, wofür die Kunden auch bereit wären, mehr zu zahlen. In Finance passiert das nicht.»

The Singularity Group verfolgt deshalb einen streng regelbasierten Investmentprozess. Nur zweimal im Jahr werden Entscheidungen gefällt – nicht über Markttrends, sondern über die tatsächliche Innovationskraft einzelner Unternehmen.

Evelyne Pflugi 1

Evelyne Pflugi. (Bild: zVg)

Unterstützt wird das Team von einem Netzwerk aus über 40 Unternehmerinnen und Unternehmern aus innovativen Branchen, die helfen, neue Technologien wirklich zu verstehen.

«Wir fragen nicht, ob wir Nvidia kaufen sollen oder nicht», erklärt Pflugi. «Wir wollen verstehen, wie die Wertschöpfungskette funktioniert und wo echte Transformation stattfindet, wo Wachstum unterschätzt wird und Preisgestaltungskraft liegt.»

Regelbasierter Prozess mit KI-Unterstützung

Zweimal jährlich organisiert The Singularity Group sogenannte Round Tables, an denen Expertinnen und Experten bewerten, welche Innovationen realistisch und umsetzbar sind. Alle Innovationen werden in drei Kategorien eingeteilt:

  • Am Massenmarkt angekommen
  • Im Fokus
  • Zukunft

Was im Fokus ist, kommt ins Portfolio. Seit 7 Jahren pflegt die Firma eine stetig wachsende Datenbank, in der sämtliche analysierten Innovationen erfasst werden. Diese Wissensbasis bildet das Rückgrat des Investmentprozesses. Seit eineinhalb Jahren wird die Datenbank zusätzlich durch eine KI-Anwendung unterstützt, die Zusammenhänge schneller erkennt und komplexe Fragen automatisiert aufbereitet. Damit können nicht nur interne Analysen beschleunigt, sondern auch Kundenfragen präziser und fundierter beantwortet werden.

Evelyne Pflugi 2

(Bild: zVg)

Das positive Echo bestärkt Pflugi und ihr Team in ihrem Ansatz. «Viele Kundenberater sagen uns, dass sie so etwas bei anderen Asset Managern und Banken noch nie gesehen haben», sagt Pflugi zufrieden.

Die Industrie hat eine Krankheit

Der Aufbau der Firma war allerdings kein Selbstläufer. «Viele sagten uns, niemand wird etwas kaufen», erinnert sich Pflugi. Grosse Banken hätten schlicht kein Interesse gehabt, weil ihre Vertriebsstrukturen bereits liefen.

«Die Industrie hat eine Krankheit», kritisiert Pflugi.  «Wir müssen erst selbst gross werden, bis die Grossen zu uns kommen.»

Heute setzt sie die Hoffnung neben der Schweiz und Deutschlang unter anderem auch auf den US-Markt, wo das Interesse an innovativen, aktiven Ansätzen grösser sei als in Europa.

Der Gewinn des Bold Woman Award habe The Singularity Group zusätzlichen Rückenwind gegeben. «Es ist eine externe Bestätigung, dass das, was wir machen, anerkannt und gesehen wird.»

Pflugi und der Bold Woman Award

Für Pflugi und ihr Team kam der Preis völlig überraschend. «Wir dachten, wir trinken ein Glas Champagner und feiern einen schönen Abend», erzählt sie lachend. Umso grösser war die Freude, als ihr Name fiel – Tränen inklusive. Die Auszeichnung habe nicht nur Aufmerksamkeit für The Singularity Group gebracht, sondern auch alte Kontakte reaktiviert. «Man merkt gar nicht, wer einen alles beobachtet – plötzlich haben sich viele gemeldet, auch aus der Branche.»

Gewinnerinnen Bold

Evelyne Pflugi wurde mit dem Bold Woman Award 2025 by Veuve Clicquot ausgezeichnet (Bild: zVg)

Für Pflugi ist der Preis vor allem eines: eine Bestätigung dafür, dass sich Beharrlichkeit auszahlt.

Als Frau in der Finanzbranche

Der Award hat auch gezeigt, wie wichtig weibliche Vorbilder in der Finanzwelt sind – ein Thema, das Pflugi zwar nie bewusst gesucht hat, aber inzwischen verkörpert. Ihre Firma beschäftigt heute mehr Frauen als Männer. Trotz der männlich dominierten Branche sieht Evelyne Pflugi das Thema mit Gelassenheit: «Ich habe viele Männer erlebt, die mich unterstützt haben.» Das Geschlecht spiele bei «The Singularity Group» keine Rolle. «Wir wollen einfach etwas Neues richtig gut machen – das hat eher mit unserer Neugier und dem Drang zu tun, etwas Einzigartiges auf die Beine zu stellen, nicht damit, dass wir mehr Frauen sind.»

Dennoch beobachtet sie Veränderungen: Der Frauenanteil bei Bewerbungen steige, und das Bewusstsein für Diversität wachse. Ganz verschwunden seien unbewusste Vorurteile aber noch nicht. «Männer sind im Rekrutierungskontext oft besser im Sich-Präsentieren – und Geld gibt man eher dem, der selbstbewusst auftritt.»

Geduld und harte Arbeit als Schlüssel zum Erfolg

Jungen Menschen, die in die Finanzbranche wollen, rät Evelyne Pflugi vor allem eines: Geduld. «Ich spüre bei jüngeren Generationen einen starken Karrieredrang. Man muss sich aber erst reinknien, oft auch mal am Wochenende an etwas arbeiten, um es wirklich zu verstehen und Mehrwert zu bringen. Der Drang sollte sein, wirklich gut zu werden.» Intuition und Können entstünden nur durch Erfahrung, sagt sie. Dann sehen die richtigen Leute, was man kann und honorieren es.