Der Social-Media-Sturm, der die Credit Suisse Milliarden an Vermögen kostete, könnte sich wiederholen. Die Schweizer Banken sind dabei weitgehend auf sich selber gestellt. finews.ch hat nachgefragt, wie eine effektive Abwehr aussehen könnte.

«Ich bin froh, dass wir das hinter uns haben», sagte Axel Lehmann vergangenen Dezember im Schweizer Fernsehen «SRF». Der Präsident der Credit Suisse (CS) meinte damit den Sturm in den Sozialen Medien, der letzten Oktober über die Schweizer Grossbank hinwegfegte und wesentlich dazu beigetragen hat, dass bei der Bank bis im November fast 85 Milliarden Franken abgeflossen sind.

Doch für ein Aufatmen ist es zu früh. Denn erstens ist nicht klar, wie viele CS-Kunden seither ihr Geld abgezogen haben – und wie sehr der Schock vom Herbst noch nachwirkt. Zum Zweiten warnen Experten, dass es sich bei diesem Phänomen nicht um einen Einzelfall gehandelt haben dürfte.

Nicht mehr zugänglich für rationale Argumente?

Für diese Beobachter sind die Vorgänge bei der CS Beweis dafür, dass der Finanzplatz mit einem neuen Risiko ins Jahr 2023 startet. «Der Fall bei der Credit Suisse zeigt, wie viel Geschäftswert innerhalb von kürzester Zeit durch Social Media zerstört werden kann», sagt Clarissa Haller auf Anfrage. Laut der Senior Partnerin der Schweizer Kommunikations- und Beratungsfirma Dynamics Group kann sich ein solches Phänomen jederzeit wiederholen: «Was bei der Bank geschah, ist als Weckruf zu werten.»

Wie Recherchen zeigen, gibt es keine Vorschriften, wie sich Finanzfirmen in einem solchen Sturm verhalten sollen. Bei der CS wie auch andernorts herrscht eine gewisse Hilflosigkeit gegenüber der neuen Gefahrenquelle. Dies liess Bankpräsident Axel Lehmann im TV-Interview durchblicken, als er einräumte: «Wenn ein Social-Media-Sturm losgeht, sind die Leute fast nicht mehr zugänglich für rationale Argumente.»

Bots mischen sich ein

Ob die Bankführung damit für die Vorgänge an jenem fatalen Wochenende Anfang Oktober entschuldigt ist, sei dahingestellt. Zur Erinnerung: Damals hatten Gerüchte über eine Kapitalerhöhung, ein geleaktes internes Schreiben von CEO Ulrich Körner und Hinweise auf die hohen Preise von Kreditversicherungen von CS-Anleihen dafür gesorgt, dass die CS in den Sozialen Medien zum Grossereignis wurde.

Zu Hunderttausenden wurden Posts verschickt, die einen nahen Untergang der Bank prophezeiten – obschon dieser offensichtlich nicht bevorstand. Wie es heisst, mischten im Stimmengewirr auch zahlreiche automatische «Bots» mit.

Mächtige asiatische Plattformen

Es ist anzunehmen, dass die Aktivitäten auf den Sozialen Medien bei der Bank routinemässig erfasst wurden und rasch aufgefallen sind. Die zuständigen Stellen wurden benachrichtigt. Die Reaktion der Bank war danach aber konventionell: Kolportiert wird die Kontaktaufnahme mit institutionellen Kunden übers Wochenende. Das Unternehmen versuchte ausserdem, über traditionelle Medien die Deutungshoheit zurückzugewinnen.

Dennoch zogen über den ganzen Oktober bis Mitte November vorab reiche Einzelpersonen liquide Mittel bei der Bank ab und verschoben das Geld zu anderen Instituten. Bankintern wird dies seither als eine der Folgen des Social-Media-Sturms betrachtet. Dem Vernehmen nach holten besonders reiche Asiaten Vermögen aus der CS heraus; in der Region sind Soziale Medien wie der Dienst WeChat besonders einflussreich.

Die Liquidität im Blick

Dass jener Sturm ohne faktische Grundlage entstehen konnte, darüber zerbricht man sich bei der Grossbank noch heute den Kopf. Dies umso mehr, als die Abflüsse im Nachgang so gravierend waren, dass der Konzern für gewisse Einheiten Liquiditätspuffer einsetzen musste. Damit geriet die CS auf den Radar der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma), die derartige Massnahmen überwacht.

Tatsächlich ist die Liquidität aus der Perspektive der Aufsicht einer von drei Pfeilern für das Funktionieren einer Bank – dies neben der Kapitalisierung und der Gewähr einer einwandfreien Geschäftstätigkeit. «Es gehört zur üblichen Aufsichtstätigkeit, sich regelmässig mit Beaufsichtigten über die Liquidität-Situation und das Liquidität-Management auszutauschen», hält die Finma auf Anfrage fest. Erkennt die Behörde besondere Risiken in diesem Bereich, dann verlangt sie von den Instituten Gegenmassnahmen.

Kommunikation muss kontern

Von der Aufsicht gibt es jedoch keine Weisungen, wie Banken potenziellen Liquiditätsrisiken vorbeugen sollen. Ebenfalls sieht die Finma die Verteidigung der Reputation als Sache der Marktteilnehmer an. Mit anderen Worten: Beim Kampf gegen schädliche Social-Media-Posts sind die Finanzfirmen im Wesentlichen auf sich allein gestellt.

An vorderster Front sind hier die Kommunikationsabteilungen gefordert. Doch die Bedeutung der Sozialen Medien muss auch von höherer Stelle verstanden werden. «Social Media und Online-Plattformen sind heute aus Unternehmenssicht genauso ernst zu nehmen wie die etablierten Medien», betont Dynamics-Partnerin Haller. Sinnigerweise leitete sie bis Ende 2015 anderthalb Jahre lang die Kommunikationsabteilung der CS; zu ihren Karrierestationen zählen zudem die Industriekonzerne ABB und Siemens. Dynamics hat aktuell kein Mandat von der Grossbank.

Lauschen statt senden

Haller zufolge müssen Unternehmen dazu ein eigenes Dispositiv aufbauen. «Es braucht unternehmensintern oder extern Personen, welche die Funktionsweise jener neuen Kanäle verstehen», rät die Expertin für strategische Kommunikation. Keinesfalls sollte die Aufgabe an die Youngster im Betrieb delegiert werden, weil diese als Social-Media-affin gelten. Ebenfalls sei ein Echtzeit-Monitoring aufzusetzen, das die Aktivitäten auf den diversen Kanälen nicht nur quantitativ, sondern auch inhaltlich überwacht und ein rasches Eingreifen ermöglicht.

Allerdings stellt Haller fest, dass Social Media von vielen Firmen vorab als zusätzlicher Vertriebskanal von PR genutzt werde. «Anstatt primär zu senden, sollten Unternehmen das Zuhören lernen», sagt sie. Es gelte, die Diskussionen zu verstehen, mit den Meinungsführern in Kontakt zu treten, um anschliessend für dieses Umfeld relevante Beiträge zu erstellen. «Im Notfall verfügt ein Unternehmen so am ehesten über die Glaubwürdigkeit und die Hebel, um einem Social-Media-Sturm entgegenzutreten», so die Kommunikationsexpertin.

Wer hört die Signale?

Auch andere PR-Profis gehen sich darin einig, dass eine Bank auf zahlreichen Ebenen und Kanälen Signale sendet – und dass diese Signale in Wechselwirkung zueinander stehen. So kaufte die CS angesichts des Social-Media-Sturms vergangenen Oktober eigene Anleihen zurück. Das Signal, das die Bank damit aussandte: Seht her, wir sind weiterhin liquide. Während dies Investmentprofis sofort verstanden, kam die Botschaft bei den reichen Privatkunden im Wealth Management aber offensichtlich nur begrenzt an.

Experten verweisen deshalb auf die Bedeutung der Bankberater, die sich direkt an der Schnittstelle zu den Einzelkunden befinden. Diese «Relationship Manager» wären die ersten, welche ein Social-Media-Gerücht zerstreuen könnten. Dass dies bei der CS augenscheinlich nur bedingt gelungen ist, spricht für sich selbst.

Die wichtigsten Botschafter der Marke

«Bei einer Bank sind die Kundenberater die wichtigsten Botschafter der Marke, sie schaffen das Vertrauen beim Kunden», erklärt auch Haller. Entsprechend zentral sei es, dass die Mitarbeitenden als Botschafter eingesetzt würden. Dazu müssten aber die Strategie des Unternehmen für deren Bedürfnisse verständlich gemacht werden. «Dies ist eine zentrale Aufgabe der internen Kommunikation, aber auch der Geschäftsleitung», sagt die einstige Managerin.

Wie CS-Präsident Lehmann gegenüber «SRF» erklärte, hat die Bank seit der Ankündigung der neuen Strategie im Herbst rund 8’000 Grosskunden weltweit und 24’000 Kunden in der Schweiz kontaktiert – eine neuerliche Herkulesarbeit für die Frontleute. Dass diese nach Jahren der Skandale sichtbar müde sind, sich gegen Anwürfe von aussen zu wehren, erweist sich nun als weiteres Risiko für die Grossbank.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.03%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.72%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.42%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.47%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.36%
pixel