Das Interesse der Privatanlager an Startups ist in der Coronakrise deutlich gestiegen. Weil grosse Finanzierungsrunden aufgeschoben sind, profitieren sie von einem Discount, sagt Steffen Wagner von Investiere.ch im Interview mit finews.ch.


Herr Wagner, Fintechs und Startups bekunden in der Coronakrise offenbar Mühe, Liquidität sicherzustellen oder an frisches Kapital zu kommen. Sind das auch Ihre Beobachtungen?

Momentan sind Startups doppelt gefordert. Sie müssen stark wachsen, damit sie auch attraktiv genug sind, um grössere Summen aufnehmen können. Zahlreiche Startups haben aber als Folge der Coronakrise Umsatzeinbussen erlitten, oder ihr Neugeschäft läuft schleppender. Das ist die eine Seite. Die andere sind Investoren, die auf die Bremse treten. Sie kümmern sich zuerst einmal um die Startups, in die sie bereits investiert haben und sind vorsichtig bei neuen Investitionen.

Und was sind die Auswirkungen auf Ihrer Plattform Investiere.ch?

Uns erreichen Anfragen von Startups, denen Investoren abgesprungen sind. Es ist aber nicht durchwegs alles negativ. Es gibt auch viele Startups, deren Lösungen jetzt mehr gefragt sind denn je, insbesondere in den Bereichen Gesundheit oder Digitalisierung. Und schliesslich ist die Krise auch ein gewaltiger Elchtest: Gute Unternehmer laufen trotz oder gerade aufgrund der Widrigkeiten zur Höchstform auf und finden Liquidität. Andere Startups verschwinden vom Markt. Als Investor betrachten wir dies mit Spannung.

Das heisst, private Investoren füllen nun die entstandenen Lücken bei den Risikokapital-Gebern?

In der Wachstumsphase, wo Finanzierungsrunden über 10, 20 und mehr Millionen die Regel sind, können Private die Fonds nicht ersetzen. Viele Wachstums-Startups versuchen, grössere Runden auf nächstes Jahr zu verschieben.

«In der Krise hat sich das Interesse akzentuiert»

Zur Überbrückung werden kleinere Runden meist mit bestehenden Aktionären gemacht, häufig mittels Wandeldarlehen. Generell ist aber das Interesse von Privatanlegern wie auch Family Offices, in Startups zu investieren, in den vergangenen Jahren merklich angestiegen.

Zurzeit auch?

In der gegenwärtigen Krise hat sich das Interesse sogar akzentuiert, sehen doch viele Investoren Venture Capital als Investition in die Lösungen für viele der grössten Problemstellungen unserer Gesellschaft. Für viele ist es einfach nicht mehr genug, ihr Geld in einem Obligationen- und Aktienportfolio zu parkieren. Sie suchen die Nähe zur nächsten Unternehmergeneration und können neben Geld auch ihre Erfahrung einbringen. Statt sich mit einem Robotik-Themenfonds zufrieden zu geben, investieren sie lieber direkt in ein Robotik-Startup.

Sehen Sie Fälle, in denen die professionellen Risikokapitalgeber nun Assets zu günstigen Preisen verkaufen, um ihrerseits Liquidität zu schaffen

Nein. Venture-Capital Fonds haben keinen Verkaufsdruck, weil sie typischerweise geschlossene Fonds sind. Es kann vorkommen, dass im Rahmen einer grösseren Finanzierungsrunde ein Fonds viele kleine Angel-Investoren auskauft. Solche Transaktionen sind für frühere Investoren eine Gelegenheit, um Gewinne zu realisieren und die Erlöse zu reinvestieren.

Also können Investoren nun klassisch antizyklisch handeln: Gutes auch mal günstig kaufen?

Richtig. Wenn man bei einer Überbrückungsrunde mitmachen kann, dann investiert man in der Regel mit einem attraktiven Discount. Statt nächstes Jahr bei einer Runde zu einem bestimmten Aktienpreis mitzumachen, investiert man schon heute, dafür 20 bis 30 Prozent günstiger. Aber auch reguläre Investitionsrunden können oft zu besseren Bewertungen erfolgen.

Was für Vorteile bietet eine Plattform wie Investiere.ch?

Wir organisieren bei jeder Investition ein neues Syndikat, bestehend aus unseren zahlreichen institutionellen wie auch zig privaten Investoren. Tatsächlich investieren wir nun mehr denn je und sind so für Unternehmer verlässliche Partner. Den Investoren bieten wir Top-Startups zu attraktiven Konditionen. So können wir uns die aktuelle Marktsituation zunutze machen.

Sehen Sie bestimmte Startup-Segmente, die nun besonders gefragt sind – oder auch abgestossen werden?

Firmen, die die Digitalisierung beschleunigen, sind gesucht, beispielsweise Beekeeper, welches eine rein Smartphone-basierte Mitarbeiterkommunikation ermöglicht. Wir investieren aber nicht nur in Software, sondern auch in Hardware-Startups und in Life Sciences, zwei Gebiete, in denen die Schweiz ausgezeichnete Forschung betreibt.

«Das Investitionsvolumen wächst seit Jahren konstant»

Spin-offs der Eidgenössischen Technischen Hochschulen sind attraktiv, weil sie auf wissenschaftlichem Fortschritt beruhen, der Weltklasse ist und Antworten auf globale Herausforderungen suchen. Nehmen sie etwa Memo Therapeutics: Deren Plattform ideal ist um hochspezifische Antikörper, beispielsweise gegen das SARS-Cov-2-Virus, zu identifizieren.

In der Schweiz ist die Risikokapitalszene ohnehin sehr klein. Droht sie nun ganz zur Marginalie zu werden?

In der Schweiz wurde vergangenes Jahr fast doppelt so viel wie im Vorjahr und viermal so viel wie beispielsweise in Italien investiert. Das Investitionsvolumen hierzulande wächst ausserdem seit Jahren konstant. Die Akteure sind zahlreicher und professioneller geworden. Viele neue Fonds werden geäufnet und das ist gut so. Wenn dieses Jahr weniger als 2019 investiert werden sollte, weil weniger riesige Finanzierungsrunden stattfinden, ist das ein Rückschlag, aber keine Tragödie.

Wie beurteilen Sie die Schweiz als Startup-Standort?

Die Schweiz als Innovationslandschaft ist sehr stark. Sie wird vermutlich kein neues soziales Netzwerk hervorbringen, aber weiterhin globale Champions wie etwa U-Blox. Aus Investorensicht ist das aggregierte Volumen sowieso nicht entscheidend. Sie investieren auch nicht in eine Schweizer Aktie, weil die Marktkapitalisierung der SIX gross ist, sondern weil sie an dieses Unternehmen glauben. In der Schweiz gibt es viele Startups, die im Begriff sind, richtig gross zu werden, zum Beispiel Beekeeper, Sherpany, Neo Medical.

Was ist das durchschnittliche Transaktionsvolumen auf der Plattform, und wie hat sich dieses entwickelt?

In den vergangenen zwei Jahren wurde jeweils über 30 Millionen Franken über unsere Plattform investiert. Zwei Drittel der Summe kam von Privatinvestoren, ein Drittel von Institutionellen. Dieses Jahr peilen wir eine deutliche Steigerung an, und wir sind trotz Coronakrise gut auf Kurs.

«Wir sind auch ein bisschen stolz»

Die vergangenen zwei Wochen waren die aktivsten seit unserer Gründung. Letztes Jahr betrug der Median der Finanzierungsrunden, an denen wir teilgenommen haben, etwa 6 Millionen Franken, wovon typischerweise zwischen 500’000 bis 2 Millionen Franken durch investiere beigesteuert werden. Unser durchschnittlicher Beitrag pro Transaktion steigt Jahr für Jahr.

Eine Tokenisierung würde privaten Investoren noch bessere Möglichkeiten bieten, in Startups anzulegen. Sehen Sie hier technologische Möglichkeiten?

Wir sind davon überzeugt, dass eine Tokenisierung diverser Assets kommen wird. Deswegen haben wir auch in Algotrader investiert und in ein weiteres Startup aus diesem Bereich. Wir investieren auch selber viel in eigene Software-Entwicklung, um effizient Startups prüfen zu können und um die rund 1’000 Einzelinvestitionen pro Jahr effizient und digital abzuwickeln. Ein bisschen sind wir auch stolz, dass wir den komplexen Venture-Capital-Investmentprozess inklusive dem Unterschreiben von Verträgen und dem Pooling von Kleininvestoren digitalisiert haben. Wir denken aber nicht, dass es technologische Gründe sind, die Leute davon abhalten, in Startups zu investieren. Viele wissen gar nicht, dass dies möglich ist. Wir sind daran, dies zu ändern.


Der 46-jährige Steffen Wagner ist Co-Gründer und Co-CEO von Investiere.ch (Verve Capital Partners). Die Firma mit Sitz in Baar ZG beschäftigt über 30 Mitarbeitende. Seit der Gründung 2010 wurden über die Plattform mehr als 100 Millionen Franken in mehr als 80 verschiedene Jungunternehmen investiert. Seit 2016 ist die Zürcher Kantonalbank bedeutende Minderheitsaktionärin. Wagner ist Mitglied des Advisory Committee des Swisscanto Growth Fonds.

Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.29%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
    8.77%
  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
    14.92%
  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.29%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.73%
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