Finanzplatz Singapur: Überraschenderweise bleibt alles beim Alten
Politische Wahlen in Singapur sind eine heikle Angelegenheit, denn sie sind entscheidend für die Zukunft des Finanzplatzes dieses südostasiatischen Stadtstaates, der es innerhalb weniger Jahrzehnte geschafft hat, in die globale Hochfinanz aufzusteigen.
Mehr denn je zählt Singapur heute – neben New York, London, der Schweiz und Dubai – zu den ersten Adressen des internationalen Geldadels. Angesichts jüngster geopolitischer Spannungen hat der Standort zusätzlich an Bedeutung gewonnen, gilt er doch seit 60 Jahren als Synonym für Stabilität, Verlässlichkeit, Qualität und Kompetenz. Eine Regierung, die diese Werte schützt und weiterentwickelt, ist daher von zentraler Bedeutung.
Seit sechs Jahrzehnten regiert die People’s Action Party (PAP), die Partei des 2015 verstorbenen Staatsgründers Lee Kuan Yew. Trotz gelegentlicher «Erschütterungen» hat sich daran nichts geändert – nicht zuletzt dank des Vermächtnisses Lee Kuan Yews, Singapur von einem armen Entwicklungsland in einen beispielhaften Wohlfahrtsstaat zu verwandelte. Dieses Erbe bewog die Singapurerinnen und Singapurer bisher, ihre Stimme grossmehrheitlich der PAP zu geben.
Wenig bekannter Premierminister
Mit dem Amtsantritt von Lawrence Wong als Premierminister im vergangenen Jahr schien ein Wendepunkt möglich. Als Nachfolger von Lee Hsien Loong – Sohn des Staatsgründers – war Wong der erste Premier, der nicht aus dem engsten Zirkel der Gründergeneration stammte. Gleichzeitig fehlte ihm aufgrund seiner vergleichsweise kurzen politischen Laufbahn noch die fest verankerte Bekanntheit seiner Vorgänger. Entsprechend offen schien der Ausgang bei den Parlamentswahlen an diesem Wochenende.
Weitere Unsicherheitsfaktoren verstärkten diese Offenheit: Soziale Medien sorgen heute für einen Informationsfluss, der früher nicht existierte und der Regierungspartei bislang eine nahezu absolute Deutungshoheit verschaffte. Damit musste die PAP bei diesen Wahlen umgehen lernen.
Hohe Inflation
Vieles deutete darauf hin, dass die Wählerinnen und Wähler dem Establishment zumindest einen Denkzettel verpassen würden. Unter jungen Menschen wächst der Wunsch nach einer stärkeren Opposition, die Kontrolle (Checks and Balances) ausübt und damit für Ausgleich sorgt. Die riesigen Menschenmengen, die sich in den bevölkerungsreichsten Stadtteilen kurz vor der Wahl versammelten, liessen gar einen politischen Umbruch vermuten.
Gründe dafür gibt es genug: Die wirtschaftsfreundliche und offene Politik Singapurs führt in jüngster Zeit zu einer hohen Inflation, insbesondere auf dem Immobilienmarkt. Steigende Lebenshaltungskosten schürten den Unmut in der Bevölkerung.
Grosse Unsicherheit
Vor diesem Hintergrund hätte man bei den Wahlen von diesem Wochenende einen Rückschlag für die PAP erwarten können. Doch das Gegenteil trat ein: Die Regierungspartei errang einen überraschend deutlichen Sieg, während die Oppositionsparteien lediglich Achtungserfolge verbuchen konnten.
Vieles deutet darauf hin, dass dies mit der globalen Unsicherheit zusammenhängt, die durch Donald Trump ausgelöst wurde. In einem Land, das stark vom Welthandel und einem Gleichgewicht zwischen den USA und China abhängt, überwog an diesem Wochenende das Bedürfnis nach Stabilität und Bewährtem.
Unabhängige Rolle
Für den Finanzplatz Singapur – in dem zahlreiche Schweizer Institute präsent sind – ist das Wahlergebnis ein positives Signal. Es sichert dem Standort vorerst jene Stabilität und Verlässlichkeit zu, die in Zeiten geopolitischer Umbrüche besonders gefragt sind.
Singapur hat in der Vergangenheit bewiesen, dass es zwischen den Grossmächten eine eigenständige, unabhängige Rolle spielen kann – und alles deutet nun darauf hin, dass dies auch unter der neuen politischen Realität so sein wird.