SNB: Ein Negativzins wäre bloss noch eine kleine Überraschung

Die meisten Ökonomen erwarten zwar, dass die SNB am Donnerstag ihren Leitzins auf die Nulllinie senkt. Sie halten aber auch einen Rückfall ins Negativzinsregime für möglich. Vor dem Hintergrund der diesmal tatsächlich ungewöhnlich hohen Unsicherheiten könnten Ausführungen zum Risikomanagement bei der geldpolitischen Entscheidungsfindung hilfreich sein.

Wird die Schweizerische Nationalbank (SNB) am Donnerstag bei der Präsentation ihres geldpolitischen Entscheids im Anschluss an die vierteljährliche Lagebeurteilung die Bankökonomen erneut überraschen? Im Dezember 2024 hatte sie manchen Beobachter auf dem falschen Fuss erwischt, indem sie den Leitzzins nicht bloss um 0,25, sondern gleich um 0,50 Prozentpunkte senkte. Und im März 2025 wartete sie nicht ab, sondern reduzierte den Satz nochmals, auf heute 0,25 Prozent.

Diesmal geht die Mehrheit der Ökonomen davon aus, dass das für die Geldpolitik verantwortliche Direktorium unter Präsident Martin Schlegel nochmals nachlegt und den Leitzins auf die Nulllinie absenkt. Damit würde die SNB (noch) nicht offiziell auf das aus vielerlei guten Gründen ungeliebte Instrument des Negativzinses zurückgreifen müssen, das sie erstmals im Januar 2015 nach der Aufhebung des Mindestkurses zum Euro einsetzte.

Erwartet wird ein kleiner Schritt – aber mit wenig innerem Feuer

Aber für diese Prognose sein letztes Hemd verwetten, würde wohl niemand. Vielmehr wappnet man sich für den Fall, dass der Negativzins doch kommt. So rechnet beispielsweise die UBS mit einem kleinen Schritt, bereitet aber die Kunden mit dem Bericht «Comeback von Negativzinsen? Sechs Antworten auf wichtige Fragen» zumindest geistig schon darauf vor.

Das gewichtigste Argument, das gegen den Negativzins  spricht, ist leicht philosophisch angehaucht: Das ganze Geld-, Wirtschafts- und Finanzsystem basiert darauf, dass es für das Sparen, also den Verzicht auf Konsum, einen Zins gibt – und dieser trägt gemäss gesundem Menschenverstand ein positives Vorzeichen. Zwar kann man durchaus auch mit einem Negativzins leben, so wie es die Schweiz von 2015 bis 2022 gemacht hat. Doch erstens ist es möglich, dass der Schaden von dadurch verursachten Verzerrungen, etwa am Immobilienmarkt, erst später sichtbar wird, und zweitens sollte die Ausnahme nicht zur Regel werden.

Direkter Effekt am Geldmarkt

Ob die SNB nun am Donnerstag eine kleine oder eine grosse Zinssenkung vornimmt – der Effekt auf das Zinsgefüge ist im Grunde der gleiche. Am kurzen Ende der Kurve (Geldmarktzinsen) wirkt der Entscheid direkt, d.h., der Schlüsselsatz Saron wird entsprechend fallen. Etwas schwieriger abzuschätzen ist die Auswirkung auf das lange Ende, die Kapitalmarktzinsen, weil hier noch andere Faktoren wie Inflations- und Konjunkturerwartungen und die Angebots-Nachfrage-Situation hineinspielen. Aber grundsätzlich wirkt auch hier eine Senkung dämpfend.

Gegen den Strom schwimmt Thomas Stucki, Chief Investment Officer der St. Galler Kantonalbank. An einer Medienpräsentation am Dienstag in Zürich hielt er fest, dass er im Einklang mit den Markterwartungen von einer grossen Zinssenkung auf –0,25 Prozent ausgeht.

Bestimmt die Umsetzung die Höhe des Zinsschritts?

Seine Begründung: Die Inflationserwartungen sind nochmals deutlich gesunken, zudem könne die SNB das Instrument der Devisenkäufe zur Bändigung des Frankens wegen des politischen Drucks aus den USA (Vorwurf der Währungsmanipulation) nur begrenzt einsetzen. «Ich würde es tun, auch weil die geldpolitische Umsetzung eines Negativzinses am Markt einfacher und bereits bekannt ist», warf Stucki ein weiteres Argument auf die Waagschale.

Dass die Nationalbank eine allfällige Rückkehr zum Negativzins mit dem Druck aus den USA und Bedenken hinsichtlich einer bislang nie erprobten Umsetzung eines Nullzinses begründen wird, ist jedoch ziemlich unwahrscheinlich (was nicht heisst, dass solche Erwägungen keine Rolle spielen). Allerdings hat die SNB gemäss der Lektüre ihrer Bilanzdaten durch Raiffeisen-Ökonom Alexander Koch im April doch mit einigen Milliarden Franken am Devisenmarkt interveniert, im Kampf gegen die Verwerfungen infolge der Zollankündigung der USA.

Wie sieht die neue Inflationsprognose aus?

Vielmehr dürfte die SNB morgen primär mit ihrem Auftrag operieren, also der Sicherung der Preisstabilität. Die SNB definiert diese als eine (am Landesindex der Konsumentenpreise gemessene) Inflationsrate von weniger als 2 Prozent pro Jahr, die aber nicht im negativen Bereich liegt. Im Mai betrug die Inflation gegenüber Vorjahr –0,1 Prozent; für die SNB ist allerdings nicht eine einzelne Monatszahl, sondern der Jahreswert massgeblich.

Entsprechend relevant (auch für den künftigen Kurs) ist die überarbeitete Inflationsprognose über die nächsten drei Jahre, welche die SNB am Donnerstag vorlegen wird. Sie gilt offiziell als Hauptindikator für die Geldpolitik und als zentrales Instrument der Kommunikation. Es handelt sich dabei um eine bedingte Prognose, die davon ausgeht, dass der Leitzins über den ganzen Prognosezeitraum unverändert bleibt.

Wie wägt die SNB die Risiken ab?

Am Donnerstag dürften aber auch die Einschätzungen und Aussagen der SNB zu deutlich weniger abstrakten, dafür sich teilweise überlappenden Themen interessieren. Hier zum Abschluss eine kleine Auswahl davon:

  • Was machen die anderen Zentralbanken? Die Europäische Zentralbank hat ihre Leitsätze zuletzt gesenkt und damit die Zinsdifferenz zum Franken verringert, was diesen gegenüber dem Euro noch stärker macht. Das dämpft die sowieso schon tiefe Inflation in der Schweiz zusätzlich. Die US-Notenbank Fed entscheidet am Mittwochabend, zumindest von dieser Seite sollte kein zusätzlicher Druck kommen, da nicht mit einer Zinssenkung gerechnet wird.
  • Wie wird sich die verschärfte Lage im Nahen Osten mit dem offenen Schlagabtausch zwischen Israel und Iran auf die Weltwirtschaft und den Franken auswirken? Steigt der Ölpreis weiter, dürfte dies das globale Wachstum weiter bremsen. Und je grösser international die Unsicherheiten sind, desto gefragter ist erfahrungsgemäss der Franken. In dieses Horn stösst auch Santosh Brivio, Senior Economist der Migros Bank. Der Franken bleibe mit oder ohne Negativzins eine Fluchtwährung, die SNB befinde sich angesichts der Zuspitzung des Konflikts in einer vertrackten Lage, zumal die geopolitische und wirtschaftspolitische Lage ohnehin schon angespannt sei. 
  • Wie sehen die Perspektiven für das Wirtschaftswachstum und damit auch die Beschäftigung hierzulande aus? Diese Woche hat die Expertengruppe des Bundes die Wachstumsprognosen für 2025 und 2025 leicht gesenkt – aber ein Konjunktureinbruch ist nicht in Sicht.
  • Welche direkten und indirekten Auswirkungen wird die neue US-Zollpolitik auf die Schweizer Exportwirtschaft haben? Gelingt es, in den laufenden Verhandlungen mit den USA den Schaden einigermassen zu begrenzen?
  • Wie entwickelt sich der handelsgewichtete Franken? Seit März hat er zum Dollar stark zulegt, sich aber zum Euro kaum verändert.
  • Wahrscheinlich wird die SNB am Donnerstag wie bereits bei früheren Gelegenheiten die hohen Unsicherheiten betonen, die diesmal tatsächlich besonders ausgeprägt sind, was aber für einen kleinen oder grossen Schritt sprechen kann. Die Geldpolitik muss immer unter Unsicherheit entscheiden, sei es bezüglich der Einschätzung der aktuellen Lage, der Prognose für die Zukunft oder ihrer eigenen Wirkung. An seinem ersten öffentlichen Auftritt nach der langen Amtszeit als SNB-Präsident betonte Thomas Jordan im April, wie wichtig der Risikomanagementansatz ist. Ein Entscheid sollte gemäss Jordan möglichst viele Szenarios abdecken, ein wichtiges Kriterium ist auch die Revidierbarkeit. Es wäre zu begrüssen, wenn Nachfolger Schlegel ebenfalls etwas zum Management der vielfältigen aktuellen Risiken sagen würde.