Die hiesige Finanzbranche hat in den letzten Wochen gleich mehrere Top-Posten besetzt. Für eine Branche im Umbruch entscheiden die Institute dabei erschreckend traditionell.

Raiffeisen, die Credit Suisse (CS), die Zürcher und Obwaldner Kantonalbanken sowie die Baloise: Jedes dieser Unternehmen hat unlängst höchst verantwortungsvolle Posten neu besetzt, oder hat dies in Aussicht gestellt. Es sind Funktionen, die teils über Tausende Arbeitsplätze, teils über Milliardensummen entscheiden – oder gleich beides zusammen.

Und es ist klar: die Neuernannten werden die Geschicke der genannten Finanzinstitute auf Jahre hinaus bestimmen.

Doch von diesen Jahren wird wohl keines mehr dem anderen gleichen. Im März 2020 crashten die Börsen angesichts der um sich greifenden Pandemie. Nun bahnt sich in Europa die vierte Corona-Welle an, und trotzdem schreiben die Märkte Rekordstände, viele Finanzhäuser Rekordgewinne. Gleichzeitig meldet sich die Teuerung zurück, die seit der Finanzkrise 2008 praktisch inexistent war – und in der Schweiz wird erstmals mehr elektronisch gezahlt als mit Cash.

Herkunft gilt weiterhin viel

Kurz: die alten Gewissheiten schwinden. Dennoch vertrauen die hiesige Finanzinstitute das Ruder Personen an, die sich (fast) ausnahmslos durch einen traditionellen Karriereweg in der Branche auszeichnen. Während die viel bewunderten Tech- und Internetkonzerne dazu übergegangen sind, auf die künftige Wirkung ihrer Kader zu setzen, gilt in der Swiss Finance die Herkunft weiterhin viel. Das stellen selbstkritisch auch Kadervermittler fest, auf deren Expertise die Unternehmen vertrauen.

«Im Schweizer Finanzwesen ist eine Tendenz festzustellen, bei einer Top-Ernennung ausschliesslich auf den Track-Record zu achten und weniger auf das Potenzial des Kandidaten, Neues anzureissen», sagen Klaus Biermann und Jonas Neff, Gründer der auf die Finanzbranche spezialisierten Search-Firma Biermann Neff in Zürich, zu finews.ch.

«Gewohnte Praxis überdenken»

Dabei wissen Finanzprofis, dass bei Investments vergangene Performance nicht in die Zukunft fortschreiben werden kann. Doch geht es um die Besetzung von Top-Posten, tut man genau dies. Natürlich: der Schweizer Finanzplatz ist kleinräumig. Weiterhin bewirken Seilschaften, dass im Rennen bleibt, wer sich einmal auf eine gewisse Ebene aufschwingen konnte. Ebenfalls ist die Besetzung von Top-Mandaten immer politisch, und Firmen exponieren sich ungern mit der Wahl eines Aussenseiters.

Dennoch, am vergangenen «Track-Record» festzuhalten, erscheint angesichts der jüngsten Verwerfungen zunehmend risikoreich. Gefragt müsste vielmehr die Fähigkeit sein, mit Veränderung umgehen zu können. Dazu muss jemand das Metier nicht zwingend von der Pike auf gelernt haben. Biermann und Neff sagen es so: «Da das Banking nun rasch aufeinanderfolgenden Veränderungen unterworfen ist, würde es sich empfehlen, die gewohnte Hiring-Praxis zu überdenken.» Doch in den letzten Wochen hat eher das Gegenteil stattgefunden.

Raiffeisen: Getrübte Personalie

Exemplarisch für diese Widersprüchlichkeiten im Hiring kann die Nomination von Thomas Müller (Bild unten) gelten, dem designierten Präsident der Raffeisen-Gruppe. Nach dem Eklat um Vorgänger Guy Lachappelle machten sich die Genossenschaftsbanken auf eine vertrackte Suche  – und wurde gleichsam vor ihrer Nase fündig.

Müller ist bereits seit drei Jahren Verwaltungsrat von Raiffeisen Schweiz gesessen; zuvor diente er in Führungsfunktionen bei den Privatbanken EFG und J. Safra Sarasin sowie dem Lebensversicherer Swiss Life. Jahrzehntelange Erfahrung im Metier und eine entsprechende Vernetzung am Finanzplatz sind dem designierten Raiffeisen-Präsident sicher nicht abzusprechen.

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Dennoch trübt nun genau dies die Personalie. Medien haben bereits auf diverse Finanzaffären hingewiesen, die sich an den früheren beruflichen Stationen Müllers zugetragen haben. Das könnte anlässlich der Wahl bei den Raiffeisen-Delegierten noch zu reden geben.

Credit Suisse: Offiziell in der Schwebe

Immerhin: Raiffeisen hat nach dem abrupten Abgang von Lachappelle vom vergangenen Juli bei der Nachfolge die Kurve gekriegt. Dagegen weist die von der Credit Suisse (CS) Anfang November präsentierte neue Strategie einen erheblichen Makel auf: Die Grossbank fasst zwar ihr globales Private Banking in einer neuen Divison namens Wealth Management zusammen. Sie war jedoch nicht in der Lage, bereits einen Chef für die Sparte zu ernennen. In der Folge bleibt auch die Leitung aller anderen Divisionen offiziell in der Schwebe – ein Zustand, der das angeschlagene Institut zusätzlich zu lähmen droht.

Recherchen von finews.ch zufolge favorisiert die CS-Führung Francesco De Ferrari (Bild unten) für die Leitung ihres neuen Kerngeschäfts im Wealth Management. Lässt dieser tatsächlich verpflichten, wäre die Grossbank bei der Stellenbesetzung den ultrakonservativen Weg gegangen.

De Ferrari ist nicht nur ein Vollblut-Private-Banker, sondern gewissermassen ein Interner. Er amtete einst als Chefs des asiatischen Private Banking der CS, verliess aber 2018 das Institut, um die Führung des im australischen Sydney ansässigen Vermögensverwalters AMP zu übernehmen.

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ZKB: Zwischen Revolution und Tradition

Im Gegensatz dazu konnte die Zürcher Kantonalbank Ende vergangenen Oktober die CEO-Nachfolge regeln – und diese Besetzung erwies sich schon fast als revolutionär. Erstmals seit 150 Jahren fiel die Wahl beim grössten Schweizer Staatsinstitut nämlich auf einen externen Kandidaten: Urs Baumann (Bild unten) wird per 1. September 2022 Vorsitzender der Generaldirektion und dort den Generationenwechsel vorantreiben.

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Auf den zweiten Blick zeigte sich indes, dass die ZKB bei der Suche gründlich, aber auch sehr traditionell vorging. Sie engagierte das im Bereich Grossbanken führende Search-Unternehmen Egon Zehnder in der Sache. Das Rennen entschied mit Baumann ebenfalls ein Kandidat für sich, der im Banking Karriere gemacht hat. Mit Abstechern ins Unternehmertum und Richtung Nachhaltigkeit zwar, aber rein vom Profil her doch sehr im Sinne dessen, was von diesem Institut zu erwarten gewesen ist.

OKB: Start in der Stifti

Dass zumindest in Sachen Diversität mehr möglich gewesen wäre, zeigte die ebenfalls in diesen Wochen erfolgte Nomination von Margrit Koch (Bild unten). Sie übernimmt im Mai 2022 die Leitung der Obwaldner Kantonalbank (OKB). Koch ist nach Susanne Thellung bei der Schwyzer Kantonalbank erst die zweite Chefin bei den 24 Schweizer Kantonalbanken. Bei der ZKB hiess es anlässlich der Wahl von Baumann, Gender sei beim Auswahlprozess kein Kriterium gewesen. Vielmehr sei nach «meritokratischen Prinzipien» entschieden worden.

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Abgesehen davon, dass sich für Frauen im Finanzwesen die Luft ganz oben als sehr dünn erweist, ist auch Koch ein traditioneller Kandidat: Ihre Karriere begann mit einer Banklehre im Aargau. Später diente sie von der Universalbank über die Privatbank bis hin zur Grossbank.

Baloise: Nicht aus dem Reservoir geschöpft

Neue Wege beschritten hat demgegenüber jüngst ein Versicherer: Die Baloise suchte nach einem Leiter für ihr 9-Milliarden-Franken-schweres Portfolio an Immobilienanlagen und hätte wohl aus einem weiten Reservoir an erfahrenen Finanzprofis schöpfen können. Der Basler Assekuranz-Konzern entschied sich stattdessen für Jean-Pierre Valenghi (Bild unten).

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Er leitete zuletzt keinen Fonds, sondern das Online-Immobilienportal Newhome.ch. Er stieg auch nicht als Stift bei einer Generalagentur ein, sondern studierte an der ETH Zürich Elektrotechnik sowie Management & Economics an der Universität Zürich. Privat ist der 44-jährige verheirateter Familienvater mit zwei Kindern und lebt mit seinem Ehemann in Zürich.

Valenghi bringt also einen Hintergrund und berufliches Know-how mit, wie man ihn der Assekuranz noch nicht alle Tage findet. Bei der Baloise fühlte man sich aber offensichtlich wohl damit, mit diesem Immobilien-Leiter die Zukunft anzugehen.