In diesen Krisenmonaten nimmt die Besorgnis über die Stabilität des Finanzsystems zu. Welche Sicherheitsnetze die systemrelevante Raiffeisenbank gespannt hat, um einen Fall ins Bodenlose zu verhindern, verrät Markus Voegelin, der Risikochef von Raiffeisen Schweiz.

Herr Voegelin, wie stark ist die Raiffeisen Gruppe von den derzeitigen Marktturbulenzen betroffen?

Wie alle Banken beobachten wir die Situation sehr genau. Das ist Teil unserer vorausschauenden Risikopolitik und des Risikomanagements als systemrelevante inlandorientierte Retail-Bank. Wir sind deshalb wegen unseres risikoarmen Kreditbuchs nicht stark exponiert. Entscheidend ist die weitere wirtschaftliche Entwicklung, welche wiederum von der geopolitischen Situation beeinflusst wird. Gefahr geht neben dem Ukraine-Krieg auch von gestörten Lieferketten, explodierenden Rohstoffpreisen und weiteren Zinsstraffungen aus.

Wieweit können die Banken nach dem Ende der Ära mit Negativzinsen aufatmen?

Der positive Leitzins ist ein Schritt zur Normalisierung. Er schafft wieder die richtigen Anreize für Sparer, denn die Marktbedingungen werden bessere Zinskonditionen für Kundinnen und Kunden auf Privat-, Spar und Vorsorgekonten schaffen.

Je steiler die Zinskurve, desto attraktiver ist die Marge im Zinsdifferenzgeschäft

Auch wenn sich die Zinskurve verflacht hat, ist sie im Moment für Banken noch vorteilhaft. Sie können ihre Einlagen so auslehnen, dass mit der klassischen Fristentransformation das Zinsdifferenzgeschäft wieder ertragreicher wird. Gleichzeitig wird die Refinanzierung für uns teurer.

Warum?

Also, wenn wir als Bank auf dem Markt Geld aufnehmen wollen, müssen wir bereits heute je nach Laufzeit viel höhere Zinsen bezahlen. Mittelfristig kann sich die Zinssituation zum Nachteil der Banken entwickeln. Schwieriger würde die Situation mit einer flachen oder gar inversen Zinskurve oder wenn sich die Zinskurve wegen eines Schocks parallel nach oben verschieben würde.

Was ist ihr Hauptszenario bei der Zinsentwicklung?

Wir simulieren im Einklang mit den regulatorischen Vorschriften permanent verschiedene Szenarien. So sind wir auf verschiedene Entwicklungen vorbereitet. Wir wenden dabei allerdings kein eigentliches Hauptszenario an.

Wie werden im Innern der Bank die Zinsrisiken gemanagt?

Bei einer klassischen Retailbank mit dem Schwerpunkt beim Kredit- sowie beim Einlagengeschäft ist die Beherrschung des Zinsrisiko von zentraler Bedeutung. Darum verwenden wir ein System, das einerseits den Risikorahmen absteckt und anderseits die Zinsänderungsrisiken limitiert.

Profitieren die Banken immer in Phasen einer Zinsanhebung?

Dazu gibt es keine allgemeingültige Antwort. Entscheidend ist die Steigung der Zinskurve über die Laufzeiten. Je steiler die Zinskurve, desto attraktiver ist die Marge im Zinsdifferenzgeschäft.

Wie funktioniert die Risikosteuerung bei nachhaltigen Anlagen?

Auf der Kundenseite spielen ESG-Faktoren eigentlich in alle Risikokategorien hinein. Umgekehrt bestehen die Chancen beim nachhaltigen Investieren darin, durch Investitionen in nachhaltig wirtschaftende Unternehmen das Portfolio robuster zu gestalten und das Anlagerisiko zu reduzieren.

Für die Risikosteuerung ist ein umfassender Rahmen wichtig, der für die ganze Gruppe gilt

Oder es fliessen zum Beispiel ökologische Überlegungen in die Kundenberatung ein. Dazu gehört beispielsweise unsere Beratung zur Nutzungs- und Erneuerungsplanung einer Immobilie.

Bei ESG-Anlagen gibt es bereits erste Offenlegungspflichten. Wird die Regulierung noch weiter zunehmen?

Diese Entscheidungen muss die Finanzmarktaufsicht treffen. Klar ist aber: Die Finanzbranche kann und muss ihren Beitrag zu einer nachhaltigen, klimaverträglichen Entwicklung leisten. Diesen Weg wollen wir aktiv mitbereiten.

Was sind die wesentlichsten Elemente, um die Risiken bei der Raiffeisen Gruppe vollständig im Griff zu haben?

Wichtig ist ein umfassender Rahmen, der für die ganze Gruppe gilt. Die technische Infrastruktur ist ein wichtiger, aber nicht der einzige Teil davon. Ebenfalls dazu gehört eine Risikostrategie, die in eine Risikopolitik übersetzt wird, worin auch der Risikoappetit festgelegt wird. Wenn alles richtig zusammenspielt und das System über die Zeit hinweg stabil bleibt, ist die Gruppe gut aufgestellt.

Was heisst das konkret?

In unserer Bank sind eine vorausschauende Haltung und vorsichtige Grundsätze zur Risikotragfähigkeit zentral. Dies in Kombination mit einer qualitativen Wachstumsstrategie hat sich bei der Raiffeisen Gruppe in den letzten Jahren bezahlt gemacht.

Wer entscheidet letztlich, wann Risiken noch tragfähig sind?

Wie viele andere Banken folgen auch wir im Risikomanagment den «Three Lines of Defense», dem System der drei Verteidigungslinien. Dabei müssen sich verschiedene Einheiten in der Wertschöpfungskette dem Risikomanagement annehmen.

Wie funktioniert dieses Zusammenspiel?

Die erste Abwehrlinie besteht an der Kundenfront, bei Raiffeisen sind dies die Organisationseinheiten im Kundengeschäft. Die zweite Linie stellt sicher, dass sich die Kundenfront entlang den definierten Linien verhält und keine roten Linien überschritten werden.

Zur Stärkung des Schweizer Finanzplatzes war ein Ausbau der Compliance in den vergangenen Jahren notwendig

Die dritte Verteidigungslinie besteht in der internen Revision, welche die beiden anderen Linien hinsichtlich Einhaltung der Regulatorien überwacht.

Wie schwierig ist die Risikosteuerung in einem sehr dezentralen Verbund wie jenem der Raiffeisen Gruppe?

Das Risikomanagement ist nicht schwieriger, sondern eine Frage der Organisation. Entscheidend ist der Austausch zwischen den einzelnen Raiffeisenbanken und Raiffeisen Schweiz.

Wo war der Bedarf bei der Compliance in den vergangenen Jahren am grössten?

Zur Stärkung des Schweizer Finanzplatzes war ein Ausbau der Compliance in den vergangenen Jahren notwendig. Das hat sich unter anderem bei der Bekämpfung der Geldwäscherei als einem zentralen Element der Compliance niedergeschlagen. Dies bleibt eine Kernaufgabe, weshalb alle Banken laufend daran sind, ihr Abwehrdispositiv zu verbessern.

Auf Anfang 2024 sollen in der Schweiz neue Eigenmittelvorschriften gelten. Wie beurteilen Sie die Vorlage, die derzeit noch im Parlament behandelt wird?

Bei der Umsetzung der letzten Etappe des neuen internationalen Regelwerks, also Basel III Final, setzt sich die Raiffeisen Gruppe für gleich lange Spiesse vor allem bei den Inlandbanken ein. Zudem soll die Systemstabilität des Finanzplatzes nicht unter den neuen Vorschriften leiden.

Raiffeisen Schweiz ist vor Augen geführt worden, wie wichtig die Reputation ist

In der Raiffeisen Gruppe haben wir die Auswirkungen modelliert. Wir sind zum Schluss gekommen, dass die neuen Eigenmittelregeln keine starken Auswirkungen auf die Kapitalseite der Gruppe haben werden.

Und was sind die Auswirkungen auf der Produkteseite? Der Kantonalbanken Verband geht davon aus, dass Hypotheken wegen der neuen Eigenmittelvorschriften teurer werden.

Eine pauschale Aussage ist hierzu nicht möglich. Zum einen muss die Art der verschiedenen Kreditprodukte berücksichtigt werden. Zum anderen ist massgebend, ob und in welchem Ausmass eingekaufte Produkte oder eigene Produkte vertrieben werden, die in der Bilanz aufzuführen sind.

Der Ruf der Raiffeisen Gruppe hat in den letzten Jahren Wegen des Verhaltens an der Bankspitze gelitten. Wie sind sie mit diesen Reputationsrisiken umgegangen?

Raiffeisen Schweiz ist vor Augen geführt worden, wie wichtig die Reputation ist. Wir haben darum in den letzten Jahren sehr grosse Anstrengungen unternommen, um die Corporate Governance zu verbessern. Zudem werden Mitarbeitende in Weiterbildungen für Risikothemen sensibilisiert.

Welche Rolle spielt dabei das Risikobewusstsein?

Das Risikobewusstsein ist ein wichtiges Element eines ganzheitlichen Risikomanagements. So kann beispielsweise Informationssicherheit nur dann bestehen, wenn die Cyberrisiken bekannt sind. Hier ist der Mensch das schwächste Glied im Abwehrdispositiv.

Es dürfen nur Risiken eingegangen werden, die auch verstanden und beherrscht werden

Deshalb müssen sich die Mitarbeitenden bewusst sein, welchen Risiken sie ausgesetzt sind und welche Risiken sie eingehen. Wo Risiken sind, sind aber immer auch Chancen.

Wie meinen Sie das?

Ohne Risiken kann eine Bank keine Erträge erwirtschaften. Ganz wichtig ist aber, dass nur Risiken eingegangen werden, die auch verstanden und beherrscht werden.

Unterscheiden sich diese beherrschbaren Risiken je nach Natur des Geschäfts?

Ja. Im Kreditgeschäft geht es beispielsweise darum, einer Person oder einer Institution Geld auszuleihen. Dies setzt voraus, dass sie die potenziellen Kreditnehmer einschätzen. Es braucht also eine Prüfung der Kreditwürdigkeit und der Kreditfähigkeit.

Wie ist die Situation in der Vermögensverwaltung?

Im Anlagegeschäft muss die Herkunft der Vermögenswerte lückenlos dokumentiert werden können. Zugleich muss die Kundenberatung im Einklang mit dem Risikoprofil der Kundin oder des Kunden durchgeführt werden.

Mit dem Faktor Mensch bleibt immer ein Restrisiko

Das setzt bei den Beratungspersonen die richtige fachliche Qualifikation und ein ausgeprägtes Bewusstsein für Kundenbedürfnisse voraus.

Was ist bei den operationellen Risiken zu beachten?

Bei unserer Bank stehen derzeit vor allem Cyberrisiken im Vordergrund. Daneben erhöhen wir laufend die Vorkehrungen gegen Betrug oder wägen Risiken in den Bereichen Recht und Compliance ab.

Wieweit hilft die Digitalisierung bei der Eindämmung der verschiedenen Risiken?

Die neuen technischen Möglichkeiten helfen zwar durchaus, etwa einen unberechtigten Griff in die Kasse zu erschweren. Ein Restrisiko bleibt aber immer: der Faktor Mensch.


Markus Voegelin leitet seit Herbst 2019 als Chief Risk Officer das Departement Risiko & Compliance und ist Mitglied der Geschäftsleitung von Raiffeisen Schweiz. Zuvor war er Chief Risk Officer der Vontobel Gruppe und in verschiedenen exekutiven Funktionen bei mehreren international tätigen Banken beschäftigt. Er hat an der Universität Basel Wirtschaftswissenschaften studiert und promovierte an der Universität Zürich.

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