Lombard Odier-CIO prognostiziert schwieriges zweites Halbjahr

Makrostratege Samy Chaar warnt vor einem wirtschaftlichen Abschwung: Die Ära des US-«Exceptionalism» sei vorbei, Zölle und Unsicherheiten würden die Weltwirtschaft bremsen, sagt er. Doch Europa könnte gar überraschend profitieren.


Herr Chaar, die ersten sechs Monate dieses Jahres waren turbulent. Geht es so im zweiten Halbjahr weiter?

Wir erleben einen Wandel weg von einem von den USA dominierten Wachstums, hin zu einer deutlichen Abkühlung. Ausgelöst wird dies durch die politische Unsicherheit und die von US-Präsident Donald Trump zum Teil bereits verhängten Zölle. Das Umfeld wird schwieriger. Aber: Eine Rezession ist aus heutiger Sicht nicht unser Basisszenario.

Sie nannten Unsicherheit als einer der Gründe. Droht eine Entlassungswelle?

Firmen wissen nicht mehr, was morgen gilt. Deshalb sind sie vorsichtig bezüglich Investitionen geworden. Es werden zwar keine neuen Mitarbeitenden eingestellt, aber es kommt auch nicht zu Entlassungen. 

«Solange Präsident Trump über die volle Macht verfügt, bleibt das politische Umfeld volatil.»

Deshalb gehen Sie davon aus, dass es zu keiner Rezession kommen wird?

Es sind drei Gründe: Erstens ist der Arbeitsmarkt in den USA wie auch in und Europa robust: Die Leute haben Jobs, es gibt keine massive Entlassungswelle. Zweitens sehen wir erstmals seit Langem positive fiskalpolitische Signale aus Deutschland. Die von der neuen deutschen Regierung angekündigten Inventionen sind «gute Schulden», sie lösen wirtschaftliche Impulse aus. Und drittens will China unter allen Umständen eine harte Landung vermeiden und ist bereit, punktuell zu stimulieren, auch wenn es bislang keinen grossen Stimulus verkündet hat.

Die Unsicherheit ist stark von der US-Politik getrieben. Wie lange bleibt das so?

Solange Präsident Trump über die volle Macht verfügt – inklusive Senat, Repräsentantenhaus und Supreme Court – bleibt das politische Umfeld volatil. Ich sehe vor den Midterms im Novumber 2026 wenig Aussicht auf Stabilität. Das bedeutet für Unternehmen: Investitionen werden verschoben, Neueinstellungen ausgesetzt. Ein klassischer Fall von «wait and see».

Wer ist der Gewinner in diesem Umfeld?

Ich bin mir nicht sicher, ob es bei dieser Konstellation wirklich Gewinner gibt bzw. geben wird. Vielleicht verliert China mehr als die USA, politisch hätte dann Trump sein Ziel erreicht, China zu schwächen. Spannend wird, ob Europa – insbesondere Deutschland – mit seinem Schwenk Richtung Autonomie und Investitionen längerfristig profitiert. Ich hoffe, dass daraus ein gesamteuropäischer Impuls entsteht.

Sehen Sie bereits eine Umverteilung von Investitionen weg von den USA?

Ja, aber in moderatem Ausmass. Die USA bleiben der wichtigste Markt weltweit. Der US-Anteil an den globalen Märkten war zuletzt bei 70 Prozent – ein historischer Höchstwert. Wenn das Exceptionalism-Narrativ bröckelt, fliesst Kapital zurück Richtung Europa und Emerging Markets. Aber der US-Markt bleibt dominant, nur eben nicht mehr so übergewichtet.

Wie schätzen Sie die Lage in China ein?

China bleibt wirtschaftlich zweigeteilt. Die Industrie läuft gut, die Produktion ist wettbewerbsfähig.

«Der Dollar kann schwächer werden, ohne dass die «Dollarisierung» der Welt endet.»

Aber die Binnennachfrage ist schwach: Die alternde Bevölkerung, die Immobilienkrise und hohe Sparquoten drücken auf den Konsum. Der Staat wird wohl gezielt stützen, aber ohne Bazooka. Stabilisierung ja, Boom eher nicht.

Der Dollar hat an Stärke eingebüsst. Ist das das Ende einer Ära?

Nein. Der Dollar kann schwächer werden, ohne dass die «Dollarisierung» der Welt endet. Solange die USA die zentrale globale Nachfrageregion bleiben, während Europa, China, Japan & Co. exportgetrieben sind, wird der Dollar weiter die Reservewährung Nummer eins sein. Es gibt schlicht keine Alternative, solange keine neue Quelle globaler Nachfrage entsteht.


Samy Chaar ist Chief Economist, CIO Switzerland, bei Lombard Odier