Wie eine Bitcoin-Bank an der Schweiz scheiterte
Das im Silicon Valley gegründete Unternehmen Xapo wurde einst als erste Bitcoin-Bank der Schweiz gehandelt. Doch vor Jahren verlagerte es seine Aktivitäten nach Gibraltar. Von dort aus operiert die Xapo Bank heute als voll lizenzierte digitale Privatbank mit globaler Kundschaft. In einem exklusiven Gespräch mit finews.ch erklärt CEO Seamus Rocca, weshalb von Xapo in der Schweiz nur noch ein Hochsicherheitsbunker im Gotthardmassiv übrig ist.
Als der argentinische Unternehmer Wences Casares im Jahr 2013 im Silicon Valley den Bitcoin-Verwahrdienst Xapo gründete, steckte die Kryptowährung noch in den Kinderschuhen. Sein damaliges Ziel: Kryptowährungen für Early Adopters sicher und zugänglich zu machen. Casares, überzeugt vom Potenzial des Bitcoin als Gegenwicht zum traditionellen Finanzsystem, errichtete ultra-sichere Cold Storage-Vaults – darunter ein ehemaliger Armeebunker in den Schweizer Alpen.
2015 verlegte Xapo seinen Hauptsitz nach Zug ins Crypto Valley, um dort eine Banklizenz zu erlangen. Das Unternehmen holte damals auch die ehemalige UBS- und Barclays-Bankerin Olga Feldmeier an Bord.
«Wie eine Zeitreise zurück»
Doch der Schweizer Traum prallte bald auf regulatorische Realitäten. «Die Schweiz gab sich zwar krypto-freundlich, aber im Umgang mit den Behörden zeigte sich ein anderes Bild», sagte Seamus Rocca, CEO der Xapo Bank, in einem kürzlichen Gespräch mit finews.ch.
So forderten die Schweizer Behörden, dass sämtliche Server physisch auf Schweizer Boden betrieben werden müssten. Eine weitere Anforderung besagte, dass die Mehrheit eines allfälligen Bankrates lokal ansässig sein müsste – «neun Verwaltungsräte, davon sieben in der Schweiz», erinnerte sich Rocca. «Diese Forderung nach On-Premise-Servern fühlte sich an wie eine Zeitreise zurück», sagt er. 99 Prozent der technik-affinen Unternehmen setzten längst auf globale Cloud-Infrastrukturen.
Rückzug aus der Schweiz und den USA
Gleichzeitig schlug den Krypto-Akteuren auch aus den USA zunehmend regulatorischer Gegenwind entgegen. Komplexe Lizenzanforderungen zwangen Xapo zur Neubewertung der globalen Strategie. 2019 verkaufte das Unternehmen sein institutionelles Verwahrungsgeschäft an Coinbase, verschlankte die Unternehmensstruktur und zog sich aus der Schweiz und den USA zurück. «Wir wollten unsere operative, regulatorische und juristische Infrastruktur vereinfachen», erklärt Rocca.
Das Unternehmen wollte seine Kunden nicht den steigenden regulatorischen Kosten in den USA aussetzen. (Coinbase erhob später genau jene hohen Gebühren, die Xapo vermeiden wollte – «Vielleicht hätten wir es doch behalten sollen…», sagt Rocca rückblickend.)
Vom Silicon Valley über das Crypto Valley auf den Felsen: Hauptsitz der Xapo Bank in Gibraltar. (Bild: zVg)
Segel auf Gibraltar
Nachdem sich die Bedingungen in der Schweiz und in den USA als nicht tragfähig erwiesen, drückte Xapo den Reset-Button – und fand auf britischem Boden eine neue Heimat. 2021 verlegte das Unternehmen seinen Sitz nach Gibraltar, eine kleine, aber betont tech-freundliche Jurisdiktion. Die Logik dieses Umzugs beschreibt Rocca als «Gibraltar zu einer neuen Schweiz machen: Private Banking auf Kryptobasis».
Anders als in der Schweiz erlaubten die Behörden in Gibraltar eine globale, dezentrale Struktur sowie moderne Cloud-Infrastruktur – entscheidend für das Fintech-geprägte Geschäftsmodell von Xapo. «Am Ende des Tages sind wir mehr Tech als Fin», sagt Rocca. «In der Schweiz bewegt man sich in einem Umfeld, das nicht technologieaffin ist – wir brauchten eine andere Umgebung.»
Über 200 Mitarbeiter
Heute besitzt die Xapo Bank sowohl eine vollwertige Banklizenz als auch eine Lizenz als Dienstleister für digitale Vermögenswerte (Virtual Asset Service Provider, VASP). Sie bedient Kundinnen und Kunden weltweit – mit Ausnahme der USA, wo regulatorische Risiken bislang eine Expansion verhinderten.
Mit rund 200 Mitarbeitern zählt Xapo zu den bedeutendsten Krypto-Banken weltweit. Die Grössenordnung ist vergleichbar mit der von Sygnum und Amina Bank (ehemals SEBA), die 2019 ihre Banklizenzen in der Schweiz erhielten.
Fokus auf B2C
Das Geschäftsmodell von Xapo unterscheidet sich jedoch deutlich: Während Sygnum und Amina stark auf institutionelle Kunden und B2B-Services setzen, ist Xapo zu 100 Prozent auf das Retailgeschäft ausgerichtet – nach dem Vorbild einer klassischen Privatbank, jedoch für Krypto-Vermögen. Neukunden zahlen eine Aufnahmegebühr von 1'000 Dollar – ein bewusst gesetzter Filter. «Wenn sich diese Gebühr teuer anfühlt, haben Sie wahrscheinlich nicht genug Bitcoin», bermerkt Rocca.
Private Banking auf Bitcoin-Basis
Die Kunden im Xapo-Universum erhalten ein auf Bitcoin aufgebautes Produktpaket, eine Abbildung klassischer Private-Banking-Dienstleistungen im Krypto-Bereich: Xapo bietet Konten, Zahlungskarten, Sparkonten, Kredite sowie Anlageprodukte – in Fiat und in Krypto.
In der Praxis bedeutet dies: Xapo-Kundinnen und -Kunden können ein Dollar-Konto mit internationaler IBAN führen, erhalten Zinsen auf ihre Einlagen und eine weltweit einsetzbare Debitkarte. Gleichzeitig lassen sich Bitcoins sicher im Xapo-Tresor verwahren, Erträge daraus generieren oder sie als Sicherheit für Kredite nutzen – alles in einer einzigen App.
«Was Sie mit Ihrem Dollar-Geld machen können, können Sie bei uns auch mit Bitcoin machen», so Rocca. Die Debitkarte ist zwar an das Dollarkonto gekoppelt, welches aber problemlos an den Bitcoin-Saldo gekoppelt werden kann. «Jedes Mal, wenn Sie mit Bitcoin zahlen, kaufen wir den Bitcoin von Ihnen zurück, tauschen ihn in Dollar und begleichen den Betrag beim Händler in Fiat», erklärt Rocca. «Der Händler sieht also keinen Bitcoin – aber Sie haben damit bezahlt.»
Neues S&P 500-Produkt in Planung
Auch beim Sparen bietet Xapo ein Bitcoin-Konto mit Verzinsung – technisch betrachtet liegt dem ein Fonds zugrunde, für die Kundinnen und Kunden kommt es aber eher im Look & Feel eines landläufigen Sparkontos daher. Für Kredite können die verwahrten Bitcoin-Bestände als Sicherheit genutzt werden. «Dabei bleiben die Bitcoins im Tresor in den Schweizer Alpen – und dienen als Pfand», so Rocca. Bei starken Kursverlusten werde dieses bei Bedarf veräussert.
Zur Gewährleistung von Echtzeit-Transaktionen liegt das Bitcoin Lightning Network etlichen Funktionalitäten von Xapo zugrunde, da es schneller ist als die originale Bitcoin-Blockchain. Demnächst soll es möglich sein, mit Bitcoin Aktienindizes wie den S&P 500 zu kaufen. «Das neue Produkt kommt bald: Heute können Sie Aktien in Dollar kaufen – wir werden es auch mit Bitcoin ermöglichen», so Rocca.
«Wir sind nicht im Massenmarkt»
Alle Services werden über eine App angeboten, die sich wie eine moderne Neobank anfühlt – im Hintergrund agiert Xapo jedoch wie eine klassische Privatbank. «Wir bilden die fünf Bankprodukte auch für Bitcoin ab – möglichst nahtlos», sagte Rocca. Rechtlich werden Dollar als klassische Bankeinlage und Bitcoin als digitale Assets separat gehalten – technisch wirkt aber für den Kunden alles wie aus einem Guss.
Xapo bedient Kundinnen und Kunden in Lateinamerika (insbesondere Argentinien, Chile, Brasilien), Grossbritannien, Europa, Südafrika und Asien. Rocca sieht Bitcoin als «digitales Gold» – ein Mittel zur Vermögenssicherung in einem instabilen Umfeld. Man habe es nicht primär auf viele, sondern auf hochwertige Kunden abgesehen. «Wir sind nicht im Massenmarkt – sondern im Premium-Banking, wie eine Schweizer Privatbank.»
AuM-Spitze bei 900'000 Bitcoin
In Bezug auf die verwalteten Vermögen ist Xapo mit Sygnum und Amina vergleichbar – diese meldeten per Ende 2024 ein AuM von 4,5 Milliarden Franken (Sygnum) respektive 3,5 Milliarden Franken (Amina). Rocca nennt keine exakten Zahlen. Er sagt lediglich, dass Xapo vor dem Verkauf seines institutionellen Geschäfts näherungsweise 900'000 Bitcoin verwaltete – zum aktuellen Preis fast 90 Milliarden Franken. Seit 2023 schreibt Xapo schwarze Zahlen. «Das Ziel – und die eigentliche Herausforderung – ist, profitabel zu bleiben», so Rocca.
Während Sygnum und – in geringerem Umfang – Amina ihre institutionellen Angebote ausbauen, setzt Xapo konsequent auf vermögende Privatkunden – vor allem in Märkten, wo das Vertrauen in die lokalen Banken weniger ausgeprägt ist.
Erster Gewinn im Jahr 2023
Die wechselhafte Odyssee der Xapo Bank zeigt, dass regulatorische Arbitrage gerade für Krypto-Geschäftsmodelle ein wichtiger Faktor ist. Gibraltar überzeugte mit Offenheit, während die Schweiz und die USA auf striktere Regeln setzten.
«Aus diesem Grund haben wir unsere operative, regulatorische und rechtliche Infrastruktur vereinfacht: ‹Schliessen wir Schweiz und USA, und machen Gibraltar zur neuen Basis›», erzählt der CEO.
Frühe Vision: Xapo-Gründer Wences Casares. (Bild: zVg)
Die grosse Regulierungskluft
Bis heute bleibt das globale Regulierungsumfeld für Krypto-Unternehmen schwankend – ein Aspekt, den Rocca genau beobachtet. Überraschend sei, dass die USA heute offener agieren, während Europa sich zurückziehe. «Interessanterweise ist es jetzt umgekehrt: Die USA sind sehr krypto-positiv, während Grossbritannien und Europa immer restriktiver werden», sagt Rocca.
Er verweist auf positive Signale aus den USA wie Bitcoin-ETFs und klarere Richtlinien – ein Kontrast zu den strengeren europäischen Vorschriften. «Die führenden Wirtschaftsräume ziehen nie am selben Strang. Die USA haben zuerst die Branche der Krypto-Banken fast getötet, jetzt sind sie plötzlich offen – während das Vereinigte Königreich und die EU zurückbuchstabieren.»
Rückkehr in die USA?
Zwar akzeptiert Xapo aktuell aufgrund vergangener regulatorischer Verschärfungen keine US-Kunden – prüft aber einen möglichen Wiedereintritt. «Wir schauen uns das ernsthaft an», sagt Rocca.
Im Zentrum stehe die Frage, ob ein Zugang zu Dollar-Zahlungssystemen oder sogar Kundengeschäft in den USA künftig sinnvoll sei. Entschieden sei allerdings noch nichts.
Schweizer Tresor bleibt erhalten
Eine seltene Konstante in der wechselhaften Geschichte von Xapo ist der Bunker im Gotthardmassiv. Die Einrichtung ist atomschlagfest, mit sechs Tonnen schweren Stahltüren und biometrischen Sicherheitssystemen ausgestattet.
Bis heute nutzt das Unternehmen die Anlage als Teil seiner Sicherheitsarchitektur. Die Cold-Storage-Technologie wurde modernisiert – heute kommt Multi-Party Computation (MPC) zum Einsatz, bei der Schlüssel in verschlüsselte Segmente aufgeteilt werden. Einer der relevanten Server bleibt in dem geheimen alpinen Bunker stationiert.
Alte Sicherheit, neue Technologie
Gerade diese Kombination aus traditioneller Hochsicherheitsarchitektur mit moderner Fintech macht laut Rocca den Wert der Xapo Bank aus.
Was die Zukunft des Markts betrifft, zeigt er sich zuversichtlich, aber realistisch. Er hat mehrere Boom- und Bust-Zyklen miterlebt: «Im Moment reiten wir auf der Welle», sagt Rocca über die in letztes Zeit überaus positive Marktstimmung. Der Bitcoin-Kurs sei im letzten Jahr stark gestiegen. Aber: «Wir wissen, dass alles zyklisch ist – der nächste Winter kommt.» Seiner Einschätzung nach könnte die Rallye im aktuellen Jahr weiter anhalten, wenn geopolitische Risiken nicht eskalieren.
Krypto-Winter im 2026?
«Irgendwann nächstes Jahr dürfte der Zyklus nachlassen – dann kommt eventuell wieder ein Krypto-Winter, vielleicht bei 90'000 Dollar», sagt Rocca. Selbst ein Rückgang von 110'000 auf 90'000 Dollar würde sich für viele wie ein Winter anfühlen.
Doch für langjährige Enthusiasten wie ihn gilt: «Alles ist relativ… Bitcoin war schon immer zyklisch. Warum sollte das heute anders sein?» In der Zwischenzeit hält Xapo den Kurs – und reitet auf der Welle.