J. Christopher Giancarlo: «Die Schweiz hat ihren Krypto-Vorsprung eingebüsst»
Beim Treffen am Hauptsitz der Sygnum Bank in Zürich zeigt sich Chris Giancarlo bemerkenswert meinungsfreudig. Der frühere Chef der amerikanischen Commodity Futures Trading Commission (CFTC) spricht schnell, präzise und mit einer Direktheit, die Eindruck hinterlässt.
Bekannt wurde er als «CryptoDad», weil er während seiner Amtszeit bei der CFTC die Zulassung von Bitcoin-Futures ermöglichte. Nach den letzten Präsidentschaftswahlen war er zeitweise sogar als möglicher «Crypto Tsar» im Gespräch.
Heute berät er sowohl die Sygnum Bank als auch Laser Digital, die Digital-Asset-Tochter von Nomura in Zürich.
Herr Giancarlo, willkommen in der Schweiz.
Danke. Ich komme jedes Jahr nach St. Moritz zur CFC-Konferenz. Zudem bin ich Berater von Laser Digital, einer Tochter von Nomura, und sitze im Verwaltungsrat des Nomura-Mutterhauses. Vor rund neun Monaten bin ich als Senior Policy Advisor bei Sygnum eingestiegen. Eine spannende neue Aufgabe!
Sie waren Jahrzehnte in der traditionellen Finanzwelt tätig. Weshalb haben Sie sich für eine Schweizer Bank entschieden und nicht für ein US-Institut?
Nicht, weil sie schweizerisch ist, sondern weil ich überzeugt bin, dass Bankdienstleistungen für diese wachsende Branche entscheidend sind und grosse Chancen bieten. Während der Biden-Regierung gab es in den USA massiven Druck auf alles, was mit Krypto zu tun hatte. Es gab eine regelrechte «De-Banking»-Kampagne: US-Banken wurden angehalten, keine Kredite mehr an Krypto-Firmen zu vergeben. Das war falsch. Sygnum unterlag diesen Beschränkungen nicht: solide finanziert, mit klarer Strategie – bereit, in die Lücke zu springen. Ich sagte von Anfang an: Dieses Zeitfenster bleibt nicht ewig offen. Sobald sich die Politik ändert, kommen die US-Banken zurück. Bis dahin hat Sygnum einen Vorsprung.
Der Kurswechsel von der Biden-Administration zu Trump 2.0 in Sachen Krypto ist frappant. Wie erklären Sie ihn?
Erstens ist Donald Trump nicht, wie typischerweise ein Präsident, mit der Unterstützung der Wall Street ins Amt gekommen. Er stammt aus dem Immobiliengeschäft, hat ein schwieriges Verhältnis zu den grossen New Yorker Banken und bewegt sich näher an den Kapitalmärkten als in der Welt klassischer Bankfinanzierungen. Zweitens war Krypto während seiner ersten Amtszeit kein politisches, sondern ein Generationenthema. Als meine Behörde Bitcoin-Futures einführte, kam der Widerstand vor allem von älteren Menschen – Republikaner wie Demokraten, Amerikaner wie Europäer. Sie verwechselten Stabilität mit Stillstand. In Giuseppe Tomasi di Lampedusas «Il Gattopardo» (einem meiner Lieblingsbücher) heisst es: «Damit alles bleibt, wie es ist, muss sich alles ändern.» Das gilt auch für das Finanzsystem.
«Er trat als Pro-Krypto-Kandidat auf und gewann junge männliche Wähler, die sonst wohl liberal gewählt hätten.»
Der Wendepunkt kam mit dem Zusammenbruch von FTX und Sam Bankman-Fried. Dieser war ein grosser Geldgeber der Demokraten, auch von Präsident Joe Biden. Als der Skandal aufflog, wurden die Parteispenden öffentlich – und die Demokraten traten die Flucht nach vorn an, indem sie Krypto bekämpften. Plötzlich waren sie die Anti-Krypto-Partei. Trump nutzte die Chance: «Wenn ihr dagegen seid, bin ich dafür.» Er wurde zum Pro-Krypto-Kandidaten und gewann junge Wähler, die sonst eher für die Demokraten gestimmt hätten. Seit dem Wahlsieg setzt er nun seine Versprechen um. Dass die Krypto-Industrie inzwischen mehr Wahlkampfspenden leistete als die Bankenlobby, half zusätzlich. Während Trump 2.0 wurde er zum «Krypto-Präsidenten».
Das erklärt auch die personellen Veränderungen?
Genau. Das Team von Trump 2.0 verlor keine Zeit. Schritt eins war die Rücknahme der Biden-Politik. Am Tag der Amtseinführung entliess er per Dekret Leute wie den Chairman der Securities & Exchange Commission (SEC), Gary Gensler, als Architekten der früheren Anti-Krypto-Linie. Gehen mussten auch weitere Verantwortliche, die an der «De-Banking»-Kampagne beteiligt waren: bei der Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC), beim Office of the Comptroller of the Currency (OCC) und bei der US-Notenbank Federal Reserve, darunter Michael Barr, dortiger Vizechef der Aufsicht. Schritt zwei: neue Köpfe, die Innovation fördern. Paul Atkins, ein langjähriger Freund von mir, leitet nun die SEC. Michelle «Miki» Bowman wurde Vizechefin für Aufsicht bei der Fed, und auch an der OCC gab es eine neue, innovationsfreundliche Führung. Schritt drei: Die Änderungen durch Gesetzesrevisionen langfristig absichern. Der im Mai 2025 verabschiedete «Genius Act» war das erste grosse Finanzgesetz seit fünfzehn Jahren. Es ging mit parteiübergreifender Zustimmung durch den Kongress – beachtlich in Anbetracht dessen, wie kontrovers dieser Präsident ist. Das nächste Projekt ist jetzt der «Clarity Act», der die Zuständigkeiten von SEC und CFTC im Kryptohandel klar regeln soll.
Stehen die USA damit vor einem neuen Krypto-Boom?
Im Handel absolut: Krypto ist heute eine etablierte, ja sogar heisse Anlageklasse. Bitcoin war in sieben der letzten zehn Jahre die Anlageklasse mit der besten Performance. Häuser wie Citadel, Jump Trading oder DRW handeln aktiv, und die Grossbanken bieten wieder Prime-Brokerage und Finanzierung. Darüber hinaus verbreitet sich die Technologie: Citibank und J.P. Morgan tokenisieren Einlagen, um Zahlungen effizienter zu machen. MoneyGram nutzt Stablecoins für internationale Rimessen – ein globaler Milliardenmarkt. Dollar-basierte Stablecoins wie Tether sind in Afrika und Südostasien weitverbreitet. Bei der Kreditvergabe gehört das Protokoll Aave als Nicht-Bank mittlerweile zu den 30-grössten «Kreditinstituten» der USA. Die Banken beobachten all das genau.
«Dorthin entwickelt sich die Welt – und es gibt kein Zurück.»
Wir treten in eine Ära ein, in der Computer nicht nur miteinander kommunizieren, sondern auch direkt untereinander Transaktionen ausführen – mithilfe von KI und digitalem Geld. Ein Beispiel: Auf meinem Swiss-Flug nach Zürich wollte ich drei E-Mails versenden. Ich loggte mich ein, holte die Kreditkarte hervor, tippte zunächst die Nummer falsch, korrigierte sie, prüfte die Angaben nochmals – und bezahlte schliesslich 20 Dollar für Daten während des ganzen Fluges. In Zukunft erledigt das KI automatisch: Das Handy weist die digitale Wallet an, direkt an die Wallet von Swiss zu zahlen – Token zu Token, in Bruchteilen von Cents. Nur digitales Geld kann solche Mikrotransaktionen abwickeln. Dorthin entwickelt sich die Welt – und es gibt kein Zurück. Sobald die USA die Bremsen lösen, müssen alle anderen nachziehen, sonst bleiben sie zurück im analogen Zeitalter.
Geografisch betrachtet: Wo entstehen die nächsten Zentren für Innovation bei den digitalen Vermögenswerte?
Die Schweiz hatte einmal einen grossen Vorsprung, nutzte ihn aber nicht konsequent. Das ist enttäuschend. Danach legten die USA den Rückwärtsgang ein. Diese Chance nutzten die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) während Jahren sehr erfolgreich. Jetzt beseitigt Trump 2.0 alle Hürden, und die USA werden wieder attraktiv: einfache Zulassungen und Lizenzen im Verbindung mit den liquiden Märkten in den USA und der Tiefe des Risikokapital-Pools. Ich berate auch Polymarket, eine Prognose-Plattform. Sie ist sowohl in der Schweiz wie in den USA blockiert – trotzdem erhielt sie gerade eine Investition von 2 Milliarden Dollar von Jeff Sprecher, dem Besitzer von Intercontinental Exchange, dem weltweit grössten Börsenbetreiber. Er hat verstanden, dass sich die Märkte demokratisieren und dezentralisieren. Natürlich wird es dabei zu Blasen und Korrekturen kommen. Aber selbst wenn sie platzen, sagt niemand: «Gehen wir zurück zu Papierchecks.» Die Schienen sind gelegt, die Richtung ist klar.
Wie lässt sich Innovation mit Regulierung vereinbaren?
Man darf Stabilität nicht mit Stillstand verwechseln. Gleichzeitig bleiben aber gewisse Prinzipien unverrückbar: die Gewährleistung des Zugangs zu Kredit, finanzielle Inklusion, transparente Berichterstattung gegenüber Investoren und Schutz vor Betrug. Diese Werte müssen auch im digitalen Zeitalter gelten. Aufgabe der Regulatoren ist es, neue Technologien zu verstehen und zu begleiten, ohne diese Grundwerte aufzugeben. Als ich im Vorstand der internationalen Aufsichtsorganisation IOSCO war, setzten wir genau darauf. In den USA bleiben Anlegerschutz und Offenlegungspflichten nicht verhandelbar – ganz egal, wie digital die Finanzwelt wird.
«Krypto ist nicht nur eine Anlageklasse, sondern eine neue Architektur des Finanzsystems.»
Die Krypto-Pioniere träumten von einer Welt ohne Kontrolle. Ist diese Vision verblasst?
Das wird oft falsch verstanden. Wer das Whitepaper von Satoshi Nakamoto genau liest, findet dort keine Anregungen zur Abschaffung der Regierungen, sondern zur Abschaffung der Intermediären, also von Banken. Jede entwickelte Gesellschaft akzeptiert, dass der Staat Betrug und Missbrauch verhindern muss. Das ist nicht gleichbedeutend mit Freiheitsverlust.
Aber Krypto wollte doch das Monopol der Zentralbanken brechen.
Stimmt. Zentralbanken werden aber in den USA seit jeher kontrovers diskutiert. Historisch scheiterten dort die ersten beiden Notenbanken finanziell und politisch. Die Federal Reserve gibt es erst seit gut hundert Jahren, und sie ist weiterhin umstritten. Viele Libertäre wollen zwar Rechtsdurchsetzung, aber keine Zentralbanksteuerung. Diese Spannung gehört zur amerikanischen DNA.
Die Kurse haben zuletzt nachgegeben. Wie sehen Sie die nächsten zehn Jahre?
Kurse steigen und fallen, Korrekturen sind gesund. Im Vergleich zu vor fünf Jahren liegen Krypto-Preise noch immer hoch und schlagen viele andere Anlageklassen. Und bei aller Volatilität von Bitcoin: Öl schwankte noch stärker – man erinnere sich an die Zeit, als der Preis unter null fiel. Wichtiger ist aber: Krypto ist mehr als eine Anlageklasse, es ist eine neue Architektur des Finanzsystems, eine internetbasierte Struktur. In zehn Jahren werden grosse Teile des Bank- und Kapitalmarkts auf digitalen Netzwerken laufen. Und innerhalb von sechs Jahren wird kein bedeutendes Wertpapier – ob Obligation oder Aktie – mehr «off-chain» sein. Jene, die analog bleiben, werden mit Abschlag gehandelt werden.
J. Christopher Giancarlo war von 2014 bis 2019 Chairman der US-Derivateaufsicht Commodity Futures Trading Commission (CFTC), wo er die Einführung regulierter Bitcoin-Futures verantwortete und den Spitznamen «CryptoDad» erhielt. 2021 veröffentlichte er das Buch «CryptoDad – The Fight for the Future of Money». Heute berät er die Sygnum Bank sowie Nomuras Digital-Asset-Tochter Laser Digital und sitzt im globalen Verwaltungsrat von Nomura Holdings. Giancarlo ist zudem Mitbegründer des Digital Dollar Project, das den US-Dollar für das digitale 21. Jahrhundert weiterentwickeln möchte.