Jonathan Decurtins: «Grundlagen der Geldanlage sollten schon im Jugendalter vermittelt werden»


Herr Decurtins, der ETF scheint der rote Faden in Ihrer Karriere zu sein. Haben Sie vor fünfzehn Jahren den Siegeszug des ETF vorausgesehen?

Tatsächlich war der ETF-Markt vor fünfzehn Jahren noch eine Nische und viele Marktteilnehmer haben das Potenzial unterschätzt. Ich hatte damals, zu Beginn meiner Karriere, das Gefühl, dass die Transparenz, Effizienz und die niedrigen Kosten dieser Produkte viele Vorteile für Anleger bringen könnten. Aber das enorme Wachstum und die heutige Marktdurchdringung haben wohl die Wenigsten vorhergesehen.

Entscheidend war die stetig steigende Nachfrage nach einfachen, breit diversifizierten und kostengünstigen Anlagelösungen, die wir mit ETFs bedienen können. Heute sind ETFs aus der modernen Vermögensverwaltung schlicht nicht mehr wegzudenken.

Wie halten Sie es mit der anhaltenden Diskussion um Aktiv vs. Passiv?

Die Debatte ist aus meiner Sicht weniger ein Entweder-oder, sondern vielmehr eine Frage der passenden Strategie für die individuellen Ziele. Passive ETFs bieten den Vorteil, dass sie kostengünstig und transparent sind und die breite Marktentwicklung abbilden, was für viele Anleger langfristig eine attraktive Lösung darstellt. Aktive Ansätze können in bestimmten Segmenten Mehrwert bieten, insbesondere wenn spezielles Know-how oder gezielte Selektion gefragt sind.

Am Ende kommt es darauf an, dass Investoren sich ihrer Risikoneigung und Anlageziele bewusst sind und eine ausgewogene Strategie wählen. Für uns steht im Vordergrund, dass die Anlageprodukte verständlich, zugänglich und effizient sind, dass Anleger bestmöglich von den Chancen des Kapitalmarkts profitieren können.

Der Preiskampf unter den ETF-Anbietern ist enorm. Ist der Preis das allein entscheidende Selektions-Kriterium für den Anleger?

Der Preis ist zweifellos ein wichtiges Kriterium, wenn es um die Auswahl von ETFs geht – schliesslich können niedrige Kosten die Rendite langfristig wesentlich beeinflussen. Unser Unternehmen ist genossenschaftlich organisiert; das heisst, wir gehören faktisch unseren US-Fondsanlegern. Dieser einzigartige Aufbau erlaubt es uns, die Interessen der Anleger in den Mittelpunkt zu stellen und Preisvorteile zum Beispiel über Gebührensenkungen weiterzugeben. Uns geht es um den nachhaltigen Investmenterfolg unserer Kunden, Transparenz und eine fortlaufende Verbesserung der Produktqualität. Die Auswahl eines ETF sollte nicht allein am Preis festgemacht werden, sondern immer auch Aspekte wie Struktur, Liquidität und Service umfassen.

Bei Vanguard konzentrieren Sie sich auf den Privat- und Retailkunden, müssen damit den Weg über Banken, Versicherer und Vermögensverwalter gehen. Wie gut funktioniert dieses Modell?

Unser Modell, den Zugang zu unseren Produkten über Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter zu ermöglichen, funktioniert sehr gut. Diese Partner kennen die Bedürfnisse ihrer Kunden und können gezielt passende Lösungen anbieten. Zudem setzen wir stark auf Schulung und Wissensaustausch, um sicherzustellen, dass die Vorteile von ETFs und indexbasierten Strategien vermittelt werden.

Die Zusammenarbeit mit beispielsweise Banken und unabhängigen Vermögensverwaltern sorgt dafür, dass unsere Produkte auch für private Anleger breit verfügbar sind.

Natürlich erfordert dieses Modell eine enge Abstimmung und einen kontinuierlichen Dialog, um die Interessen aller Beteiligten zu wahren und den Zugang zum Kapitalmarkt möglichst einfach und verständlich zu gestalten.

Wie vermitteln Sie die Anlageprinzipien und -vorteile von ETF-Sparen?

Vanguard hat vier Investmentprinzipien für die erfolgreiche Geldanlage definiert: klare Ziele setzen, ein ausgewogenes Portfolio aufbauen, die Kosten niedrig halten und Disziplin bewahren. Anleger sollten zuerst ihre persönlichen Ziele und den Anlagezeitraum klar definieren – denn ohne klare Orientierung drohen falsche Erwartungen. In einem zweiten Schritt zeigen wir auf, wie wichtig eine breite Diversifikation im Portfolio ist, um Risiken zu minimieren und stabile Erträge zu ermöglichen.

Dabei heben wir stets hervor, dass geringe Kosten – als drittes Prinzip – einen entscheidenden Beitrag zur langfristigen Rendite leisten. Und schliesslich fördern wir die vierte Grundregel: Disziplin. Gerade in volatilen Phasen ist es wichtig, die gewählte Strategie konsequent beizubehalten und emotionale Kurzschlusshandlungen zu vermeiden. Der ETF und entsprechende Sparpläne sind das perfekte Modell, um Sparer den Zugang zum Kapitalmarkt zu sichern.

Doch kürzlich hat eine Vanguard-Studie gezeigt: Die Zurückhaltung ist nach wie vor gross. Warum?

Tatsächlich beobachten wir gerade bei selbstentscheidenden Anlegern wachsende Mittelzuflüsse in ETF-Sparpläne – das zeigt, dass der Zugang zum Kapitalmarkt für viele Sparer längst Realität geworden ist. Gleichwohl zeigt unsere Studie, dass weiterhin ein grosser Teil der Bevölkerung zurückhaltend bleibt, wenn es um Wertpapiersparen geht. Die Gründe dafür sind vielfältig: Es fehlt oftmals das nötige Wissen über die Chancen und Funktionsweisen von ETFs und Sparplänen, andererseits besteht nach wie vor Unsicherheit im Umgang mit Finanzmärkten.

Genau hier sehen wir eine zentrale Aufgabe: Wir möchten die finanzielle Bildung nachhaltig stärken und Sparer ermutigen, die Rolle von Investoren einzunehmen. Unser Ziel ist es, Hürden abzubauen, Wissen zu vermitteln und den Wandel vom klassischen Sparen zum zielgerichteten Investieren zu erleichtern.

Sehen Sie im Anlageverhalten der Schweizer Kunden regionale Unterschiede?

Ja, es zeigen sich durchaus Unterschiede im Anlageverhalten der Schweizer Anleger. In den verschiedenen Sprachregionen spiegeln sich kulturelle Prägungen, unterschiedliche Traditionen des Sparens und Investierens sowie teils divergierende Risikobereitschaften wider. Grundsätzlich gilt jedoch: Über alle Regionen hinweg nimmt das Interesse am Kapitalmarkt zu, aber individuelle Zugänge, Informationsbedürfnisse und das Vertrauen in neue Anlagekonzepte können je nach Region markant variieren.

Welche Ansätze müssten verfolgt werden, damit das Credo «Anlegen ist das neue Sparen» bei der potenziellen Kundschaft stärker verfängt?

Um das Credo «Anlegen ist das neue Sparen» stärker in der Bevölkerung zu verankern, ist es entscheidend, den Fokus auf finanzielle Bildung zu legen – und zwar möglichst frühzeitig. Bereits im Jugendalter sollten Grundlagen der Geldanlage, Chancen und Risiken sowie die Funktionsweise von Wertpapieren vermittelt werden, um Hemmschwellen abzubauen und das Interesse an den Kapitalmärkten zu wecken.

Wertpapiersparen bietet gerade im Vergleich zum klassischen Sparen klare Vorteile: Der Zinseszinseffekt entfaltet über lange Zeiträume eine enorme Wirkung, die sowohl durch Kursgewinne und Dividendenerträge bei Aktien als auch durch Kurssteigerungen und Coupons bei Obligationen zustande kommt. Viele unterschätzen diesen Effekt, der besonders im Langfristkontext zu signifikantem Vermögensaufbau beitragen kann.

Dieser Beitrag erscheint in Zusammenarbeit mit der Asset Management Association Switzerland.


Jonathan Decurtins ist Managing Officer und Leiter Wholesale Schweiz und Liechtenstein bei Vanguard. Er kam 2022 von der Zürcher Kantonalbank, wo er als Relationship Manager für Kunden mit Sitz im Vereinigten Königreich verantwortlich war. Zuvor war er drei Jahre bei Invesco als ETF Sales Manager für die Schweiz und Liechtenstein tätig. Vor seinem Wechsel zu Invesco arbeitete Jonathan als Relationship Manager für Indexlösungen bei RobecoSAM sowie als Investment Consultant für Indexfonds im Asset Management der Zürcher Kantonalbank. Jonathan verfügt über einen Master of Advanced Studies in Applied History der Universität Zürich sowie über einen Professional Bachelor in Banking and Finance der Höheren Fachschule Banking & Finance in Zürich.