Der Zürcher EY-Bankenspezialist Urs Palmieri möchte die Tech-Kompetenz aus Asien in der Schweiz verbreiten. Denn hierzulande vermisst er Innovationskraft und Mut zum Risiko.


Herr Palmieri, Sie sind nach sieben Jahren in Singapur seit Anfang 2019 wieder in der Schweiz tätig, wo Sie bei EY Unternehmen aus der Finanzbranche beraten. Was sind Ihre ersten Eindrücke der «alten» Heimat?

Die Schweiz hat mindestens 120 Jahre Industrialisierung hinter sich und gehört in zahlreichen Branchen zur Weltspitze. Trotzdem ist es besorgniserregend, wenn man sich nach Innovationsprojekten in der Schweizer Finanzindustrie erkundigt.

Warum?

Im Vergleich zu den asiatischen Märkten fehlen mir hier auf den ersten Blick die Dynamik und der Wille, die globale Konkurrenz links zu überholen. Zudem ist mir aufgefallen, dass die Investitionen in neue Ideen gering und die Bereitschaft, Kooperationen und Allianzen einzugehen, untergeordnet sind. Das verheisst nichts Gutes.

Sie übertreiben. Was soll denn so viel besser sein in Asien?

Es geht um eine historische Komponente: In Asien gibt es viele Regionen, in denen Millionen von Menschen bis vor zehn oder 20 Jahren noch mit dem Holzboot fischen gingen.

«Entsprechend gross ist der Wille, nachhaltig Wohlstand zu schaffen»

Die Globalisierung und der technologische Fortschritt haben diese Menschen sozusagen von heute auf morgen in eine völlig neue Welt katapultiert. Sie haben dadurch mehrere wirtschaftliche wie auch technologische Entwicklungsphasen übersprungen.

Was meinen Sie genau damit?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Zunächst besassen diese Menschen überhaupt kein Telefon und jetzt ein Handy mit Internet-Anschluss. Das eröffnet ihnen ganz neue Möglichkeiten. Entsprechend sind ihre Neugier und ihr Wille riesig, sich weiter zu entwickeln und nachhaltig Wohlstand für sich zu schaffen. Darum ist das Tempo in Asien enorm hoch.

«Die Menschen unternehmen alles, um in die Mittelklasse aufzusteigen»

In Ländern wie Indonesien, den Philippinen oder Vietnam unternehmen die Menschen alles, um in die Mittelklasse aufzusteigen. Deswegen ist dort so viel Energie vorhanden, was sich auch im Banking bemerkbar macht und die verschiedenen Finanzinstitute zwingt, agil und innovativ zu sein. Nur so können sie den Erwartungen der Konsumenten gerecht werden.

Wollen Sie damit behaupten, dass die Banken in der Schweiz nicht innovativ sind?

Das Geschäftsmodell in der Schweiz beruht auf traditionellen Werten: Stabilität, Verlässlichkeit und Exzellenz stehen dabei im Vordergrund. Mit diesen Werten ist der Finanzplatz gut durch die Finanzkrise gekommen. Sie sind auch nach wie vor wichtig.

Aber Unternehmertum, Mut kalkulierte Risiken einzugehen und Innovationskraft sind auf der Strecke geblieben – und davon braucht es in der jetzigen Zeit unbedingt mehr!

Das ist leicht gesagt. Können Sie das genauer erklären?

Klar. Ich stelle fest, dass bei vielen Finanzinstituten die Innovation per se nicht in den Unternehmenszielen, also in der «score card», verankert ist. Mit anderen Worten: Man ist entweder nachlässig oder hat noch gar nicht erkannt, wie existenziell die heutige Transformation und die digitale Disruption sind.

«Revolut ist im Vergleich zu klassischen Banken kundenfreundlicher und erst noch viel billiger.

Da pfaden branchenfremde Unternehmen vor, wie es das Beispiel von Revolut zeigt. Das britische Online-Unternehmen, das im weitesten Sinne Dienstleistungen im Zahlungsverkehr anbietet, ist im Vergleich zu klassischen Banken schneller, kundenfreundlicher und erst noch viel billiger.

Warum überlassen etablierte Banken immer mehr Geschäftsfelder den Fintechs?

Ich denke, es sind mehrere Faktoren, die da hineinspielen: Grössere Finanzinstitute sind so komplex geworden, dass sie viel länger brauchen, um Innovationen umzusetzen.

Zudem haben sie oftmals Legacy-Probleme mit ihrer IT, also Altlasten, die sie vor sich herschieben. Oftmals ist die Kultur noch nicht so weit fortgeschritten, mit den ständigen Veränderungen umgehen zu können. Darum schielen sie auf Fintechs und hoffen, die erfolgreichsten früher oder später übernehmen zu können. Gut möglich ist auch, dass sie keinen nachhaltigen «business case» entwerfen können, weil sie oft an kurzfristigen Resultaten gemessen werden.

«Es braucht nicht sehr viel Fantasie, um sich Google & Co. im Finanzgeschäft vorzustellen»

So darf es nicht überraschen, wenn den Banken mittel- bis langfristig das gleiche Schicksal droht wie Nokia oder Kodak, die mit einem Schlag aus dem Business waren, weil sie die Zeichen der Zeit nicht frühzeitig erkannt haben. Einiges deutet darauf hin, dass Banken – wie «Telcos» – dereinst nur noch Infrastruktur und Distribution anbieten werden, während spezialisierte Unternehmen wie Revolut oder Techgiganten wie Google, Netflix oder Facebook das Geschäft machen.

Es braucht nicht sehr viel Fantasie, um sich Google, Alibaba oder Facebook im Finanzgeschäft vorzustellen: Die Eintrittshürden sind zwar noch hoch. Doch sobald die Komplexität der Regulierung einmal «gebrochen» ist, dürfte ein solches Szenario nicht mehr weit entfernt sein.

Zurück zu Ihrer Tätigkeit bei EY und Ihrer Erfahrung aus Asien. Was sind Ihre nächsten Schritte in der Schweiz?

Ich würde gerne die Tech-Kompetenz aus Asien hier in der Schweiz verbreiten und die verschiedenen Anbieter im «Wealth Management Ecosystem» stärker einbinden. Ein Beispiel eines solchen «Providers» ist die Firma Canopy aus Singapur, die unlängst eine Niederlassung in Zug eröffnet hat.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das Unternehmen, das in der Verarbeitung von Finanzdaten für Banken und deren Kunden tätig ist, nicht nach Hongkong expandiert hat, was an sich logisch gewesen wäre, sondern in die Schweiz.

Warum?

Weil die Schweiz nach wie vor einer der wichtigsten Wealth-Management-Märkte der Welt ist. Darum will Canopy primär hier Fuss fassen.

Worum geht es dabei?

Canopy extrahiert Kundendaten aus unterschiedlichsten Bankdokumenten und kann diese dann aggregieren und visualisieren. Das verbessert das Reporting erheblich, sobald ein Kunde mehrere Bankbeziehungen unterhält, und lässt auch genauere Analysen zu – etwa bei legitimen Steuerfragen.

«Der Aufholbedarf hierzulande ist dringend»

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ein solcher Service zuerst in einem jungen Wealth-Management-Markt wie Asien eingeführt wurde und nun in die Schweiz gelangt. Insofern ist der Aufholbedarf hierzulande dringend, und je schneller die Banken das erkennen, desto eher werden sie der digitalen Revolution erfolgreich begegnen können. Das ist nur ein Beispiel, es gäbe noch viele andere.


Der 40-jährige Zürcher Urs Palmieri ist seit diesem Jahr als Associate Partner für das Beratungsunternehmen EY in der Schweiz tätig. In dieser Funktion berät er Banken und andere Finanzinstitute in Digitalisierungsfragen und Effizienzsteigerungen sowie in der Realisierung von Wachstumsstrategien. Bevor er 2016 zu EY stiess, war er gut sieben Jahre bei der Schweizer Grossbank Credit Suisse tätig, unter anderem mit Mandaten aus dem Chairman’s Office von Urs Rohner, wo er digitale Projekte erfolgreich umgesetzt hat. Bei EY hat er zuletzt in Singapur im «Wealth & Asset Management Asean» gearbeitet und dabei Banken in Asien betreut.

 

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