Schon oft wurden klassische Privatbanken als Auslaufmodell bezeichnet. Neue Technologien und die disruptiven Entwicklungen könnten dies bewirken. Doch auch in Zukunft werde es wichtige Bankdienstleistungen geben, die selbst ein Roboter nicht erbringen könne, schreibt Michael Welti exklusiv für finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Die Aussage «Banking is essential, banks are not», wird Bill Gates zugeschrieben. Sie hat an Glaubwürdigkeit gewonnen, weil sich nun eine Generation etabliert, die als Digital Natives von Beginn weg durch technologische Möglichkeiten geprägt wurde. Doch kann das gleiche Haus das traditionelle Private Banking pflegen und eine digitale Neobank lancieren?

Das klassische Private Banking ist ein Beziehungsgeschäft, wie es die häufig benutzte Berufsbezeichnung «Relationship Manager» untermalt. Empathie und eine gute «Chemie» bei der zwischenmenschlichen Beziehung spielen eine grosse Rolle im Vertrauensaufbau und im Aufrechterhalten einer langfristigen, engen Beziehung mit dem Kunden.

«Besonders vermögende Kunden sind ‹Early Adopters› neuer Technologien»

Wird da Private Banking daher von den disruptiven Entwicklungen nur wenig berührt? Ja und Nein. Das Private Banking ist keine herzlose und standardisierte Betreuung. Es werden keine Schubladen aufgezogen und Kunden hineingesteckt. Die persönliche Beratung bietet höchstmögliche Datensicherheit und den Schutz der Privatsphäre. Sie basiert auf einer persönlichen Beziehung und Wertschätzung sowie einem Kundenberater, der sich durch Integrität und Loyalität auszeichnet.

Die Beratung nutzt die langjährigen Kundendaten, die eine persönliche Begleitung ermöglichen. Und sie stützt sich auf die gute Reputation der Bank. Entscheidend ist letztlich ein unternehmerischer Ansatz: Ist der Kunde glücklich, ist auch der Berater glücklich.

Die Komplexität der exponentiell steigenden Datenflut und der sich verändernden Kundenansprüche erfordert ein erhöhtes Mass an massgeschneiderten Einzel-Dienstleistungen und innovativen Beratungsansätzen. Grundsätzlich weist auch die Kundengeneration «60 plus» eine wachsende Technologieaffinität auf. Besonders vermögende Kunden sind «Early Adopters» neuer Technologien. Trotz dieser Affinität gegenüber technologischen Innovationen, möchten diese Kunden auf einen persönlichen Berater oder auf die Bank nicht verzichten.

«Das traditionelle Private Banking beruht auf einer einzigartigen Tradition»

Der Grad der Komplexität der Dienstleistungen im Private Banking variiert stark nach Kundengruppe und Produkt- bzw. Dienstleistungsart. Für Superreiche wird ein ganzheitlicher Beratungsansatz geboten, der sämtlichen Vermögens-, Steuer- und Vorsorgefragen gebührend Rechnung trägt. Entsprechend dürfen Kunden erwarten, dass sich der Berater Zeit für das persönliche Gespräch nimmt, das auch seine Umstände im Zyklus seines Lebens umfassend berücksichtigt.

Das traditionelle Private Banking beruht auf einer einzigartigen Tradition, Kunden aus ganz unterschiedlichen Ländern zu betreuen. Institutionen von überschaubarer Grösse mit flexibleren Strukturen können oftmals schneller auf die verschiedenen Bedürfnisse des Kunden eingehen. Wichtig ist eine hohe Kontinuität in der Beziehung zwischen Berater und Kunde.

«Digitalisierung ermöglicht tiefe Fehlerquoten in Konto- und Depotführung»

Private Banking geht künftig nicht ohne Online-Möglichkeiten. Nur sie werden dem wachsenden Anspruch der Kunden nach orts- und zeitunabhängiger Nutzung von Bankdienstleistungen gerecht. Das neue Private Banking 24/7 schafft dem Kunden die Möglichkeit, mit der Bank und dem Berater vorwiegend virtuell zu interagieren. Es bietet massgeschneiderte Massen-Dienstleistungen für das gehobene Massengeschäft, das Zugang zu einem breiteren Angebot von standardisierten Produkten und Dienstleistungen.

Die kann mit einer persönlichen Beratung verbunden werden, wenn der «human Touch» erwünscht ist. Das Angebot basiert auf einem digitalen Finanzassistenten, der als App auf dem Smartphone bedient wird.

Voraussetzung für ein bedürfnisorientiertes Online-Angebot ist ein gutes Datenmanagement (DMS): Alle Dokumente müssen digitalisiert sein und die Angaben in die personalisierte Offerte einfliessen. Dabei umfasst die Digitalisierung alle Lebensbereiche. Sie stellt traditionelle Wertschöpfungsketten und herkömmliche Geschäftsmodelle auf den Kopf: Die Digitalisierung ermöglicht tiefe Fehlerquoten in Konto- und Depotführung sowie eine pro-aktive Informationspolitik, die Transparenz schafft und möglichst neutral und unvoreingenommen kommuniziert. Auch online wünschen Kunden eine ganzheitliche, möglichst individualisierte und durch praktische IT unterstützte Beratung.

«Eine Neobank hat den Vorteil fehlender Altlasten und einer flexiblen Grösse mit schlanken Strukturen»

Zentral im Private Banking waren früher die Anlageberatung und die Vermögensverwaltung. Diese wurde immer mehr automatisiert und zentralisiert. Heute ist die Anlageberatung nüchtern betrachtet zu einem Algorithmus geworden, der mit einer Software automatisiert umgesetzt werden kann. Hier kommen Digitalbanken zum Zug: Sie bieten Standardisierung, Automatisierung und Digitalisierung der Dienstleistungen. Digitalisierung bedeutet somit auch Demokratisierung des Bankgeschäfts. Durchgängig verfügbare Informationen und Dienstleistungen sowie die damit einhergehenden Möglichkeiten der Entscheidungsfindung setzen die Persönlichkeit des Kunden stärker in den Fokus als sein Vermögen.

Um Kunden auch in Zukunft optimal betreuen zu können, sollten Privatbanken eine breitere Palette an Offline- und Online-Möglichkeiten und Services anbieten. Die abgestimmte Koexistenz des traditionellen, persönlichen Beratungsansatzes und einer technisch unterstützten Automation mit einem digitalen Angebot liegt auf der Hand. Dieses hybride Modell vereint die Vorzüge zweier Ansätze. Die Lancierung einer eigenen Neobank hat den Vorteil fehlender Altlasten und einer flexiblen Grösse mit schlanken Strukturen.

«Intuition ist die Fähigkeit, Einsichten in Sachverhalte, Sichtweisen oder eine subjektive Stimmigkeit zu erlangen»

Doch bei aller Digitalisierung – der Roboter mit seiner künstlichen Intelligenz wird den Menschen nie vollständig ersetzen können. Geld- und Vermögensfragen sind für die Menschen sensitiv. Die Menschen wurden mit Intuition und einem gesunden Menschenverstand ausgestattet. Das wird ein Roboter nie zu 100 Prozent erbringen können. Intuition ist die Fähigkeit, Einsichten in Sachverhalte, Sichtweisen oder eine subjektive Stimmigkeit zu erlangen.

Intuition kommt aus dem Unbewussten und wird damit zu einem Teil kreativer Entwicklungen. Der Intellekt begleitet diese Entwicklung, führt aber nur noch aus oder prüft die Ergebnisse. Es ist das Zusammenspiel von Mimik, Gestik und Zwischentönen zum Lebenskontext, das ein ganzheitliches Beratungserlebnis schafft und auch in Zukunft die Stärke des Private Banking ausmacht.


Michael A. Welti ist Head von Reyl & Cie in Zürich und Deputy Head of Wealth Management, Reyl & Cie.


Bisherige Texte von: Rudi BogniRolf BanzWerner VogtWalter WittmannAlfred Mettler, Robert HolzachCraig MurrayDavid ZollingerArthur BolligerBeat KappelerChris RoweStefan GerlachMarc Lussy, Nuno FernandesRichard EggerDieter RuloffMarco BargelSteve HankeUrs Schoettli, Maurice PedergnanaStefan Kreuzkamp, Oliver BussmannMichael BenzAlbert Steck, Martin DahindenThomas FedierAlfred MettlerBrigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Kim IskyanStephen DoverDenise Kenyon-RouvinezChristian DreyerKinan Khadam-Al-JameRobert HemmiAnton AffentrangerYves Mirabaud, Hans-Martin KrausGérard Guerdat, Mario BassiStephen ThariyanDan SteinbockRino BoriniBert FlossbachMichael HasenstabGuido SchillingWerner E. RutschDorte Bech VizardAdriano B. Lucatelli, Maya BhandariJean TiroleHans Jakob RothMarco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner PeyerThomas KupferPeter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Marionna Wegenstein, Armin JansNicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio QuirighettiClaire Shaw, Peter FanconiAlex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Ursula Finsterwald, Claudia Kraaz, Michel Longhini, Stefan Blum, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Lamara von Albertini, Andreas Britt, Gilles Prince, Darren Williams, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Stéphane Monier, Peter van der Welle, Ken Orchard, Christian Gast, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Teodoro Cocca, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Marionna Wegenstein, Kim Fournais, Carole Millet, Swetha Ramachandran, Brigitte Kaps, Thomas Stucki, Teodoro Cocca, Neil Shearing, Claude Baumann, Guy de Blonay, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Fabrizio Pagani, Niels Lan Doky, Michael Welti, Karin M. Klossek, Ralph Ebert, Johnny El Hachem, Judith Basad, Katharina Bart, Thorsten Polleit, Beat Wittmann, Bernardo Brunschwiler, Peter Schmid, Karam Hinduja, Zsolt Kohalmi, Didier Saint-Georges, Raphaël Surber, Santosh Brivio, Gérard Piasko, Mark Urquhart, Olivier Kessler, Bruno Capone, Peter Hody, Lars Jaeger, Andrew Isbester, Florin Baeriswyl, Michael Bornhäusser, Agniszka Walorska und Thomas Müller.

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