Eine Schweizer Privatbank kämpft sich zurück
Kunst, Krise und ein Comeback: Lionel Aeschlimann und die Zukunft von Mirabaud.
Lionel Aeschlimann ist in diesen Tagen ganz in seinem Element. Der studierte Jurist, der vor gut 15 Jahren ins Private Banking wechselte, ist im Herzen ein Kunstbesessener. Das ist seine wahre Passion – eine Tatsache, die sich regelmässig bestätigt, wenn man ihm in der Kunstszene begegnet. Genau ein solcher Moment bot sich am vergangenen Freitag: Die grosse Retrospektive des deutschen Künstlers Wolfgang Tillmans eröffnete im Centre Pompidou in Paris.
Die Ausstellung ist in mehrfacher Hinsicht einzigartig. Sie bietet nicht nur einen Überblick über 15 Jahre künstlerischen Schaffens Tillmans’, sondern ist zugleich die letzte grosse Schau, bevor das Centre Pompidou – nach dem New Yorker MoMA das zweitgrösste Kunstmuseum der Welt – im kommenden September für fünf Jahre schliesst. Der ikonische Bau aus den 1970er-Jahren wird umfassend renoviert.
Kunst im Ausnahmezustand
Letzte Ausstellung vor der Schliessung. (Bild: finews.ch)
Bereits hat der nächtliche Abtransport tausender Werke an geheime Orte begonnen – aus Sicherheitsgründen. Einige Objekte wiederum werden künftig im Louvre oder im Grand Palais gezeigt. Die Tillmans-Retrospektive hingegen findet in einem für Ausstellungen untypischen Raum statt: der Bibliothèque d’information du Centre Pompidou. Dies verleiht der Schau ein besonderes Flair. In diesem aussergewöhnlichen Setting kommen die Fotografien, Fotokopien und Drucke des 56-jährigen Künstlers besonders zur Geltung. Doch was hat das alles mit Lionel Aeschlimann und einem traditionsreichen Genfer Geldhaus zu tun?
Die Antwort: Die Privatbankengruppe Mirabaud ist seit 2022 eine der bedeutendsten Partnerinnen des Centre Pompidou. Trotz der bevorstehenden Schliessung verlängerte sie ihre Partnerschaft vergangene Woche um weitere drei Jahre. Hinter diesem Engagement steht niemand Geringerer als Aeschlimann selbst – als treibende Kraft hinter der beeindruckenden Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bank. Für ihn ist das Engagement Bekenntnis und Verpflichtung zugleich: «Zeitgenössische Kunst spielt eine wesentliche Rolle in unserer Gesellschaft», erklärt er. «Sie fordert uns auf, die Welt neu zu bewerten und uns selbst in Frage zu stellen.»
Wandel mit Symbolkraft
Diese Worte treffen ins Schwarze – insbesondere, wenn sie von Aeschlimann stammen. Seit Anfang des Jahres ist er «Senior Teilhaber» bei Mirabaud – also «primus inter pares» eines Hauses, das 1819 gegründet wurde und sich nun in der siebten Generation befindet. Doch ausgerechnet in der gegenwärtigen Phase durchlebt die Bank womöglich die grösste Herausforderung ihrer Geschichte.
Im September 2024 wurde publik, was die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma bereits zuvor festgestellt hatte: Mirabaud habe über Jahre weder über eine angemessene Organisation noch über ein ausreichendes Risikomanagement verfügt – insbesondere im Hinblick auf sensible Kundenbeziehungen, wie auch finews.ch berichtete. Die Finma konstatierte Verstösse gegen zentrale Vorschriften zur Governance, zum Risikomanagement und zur Geldwäschereiprävention.
Einzelfall mit weitreichenden Folgen
Zum Verhängnis wurde der Bank eine langjährige Geschäftsbeziehung mit einer amerikanischen Familie – namentlich mit einem inzwischen verstorbenen Mitglied. Das Verfahren gegen Mirabaud wurde 2021 eröffnet und bereits im Juni 2023 abgeschlossen. Ein juristisches Hin und Her führte dazu, dass die Öffentlichkeit erst über ein Jahr später davon erfuhr.
Die Folge: Die Finma verhängte ein ganzes Bündel an Massnahmen, von denen die meisten mittlerweile umgesetzt sind. Dennoch führte das öffentliche Bekanntwerden zu einem erheblichen Reputationsschaden. Die Bank steht seither unter besonderer Aufsicht. Beobachter erwarten, dass die Finma im dritten Quartal 2025 darüber entscheidet, ob alle Auflagen erfüllt sind.
Neuausrichtung an der Spitze
Hauptsitz der Privatbankgruppe Mirabaud in Genf. (Bild: zvg)
Eine der zentralen Anordnungen: Die Corporate Governance von Mirabaud musste grundlegend erneuert werden – organisatorisch wie personell. Laut eigener Mitteilung vom Ende 2024 ist dies geschehen. Ob auch der Wechsel an der Gruppenspitze – mit dem Amtsantritt Aeschlimanns als Nachfolger von Yves Mirabaud – Teil dieser Umstrukturierung war, lässt das Institut offen. Man betont vielmehr, dass der Führungswechsel langfristig geplant und strategisch motiviert gewesen sei. Doch die zeitliche Nähe zur Finma-Veröffentlichung bleibt bemerkenswert.
Mit Aeschlimann hat die Bank jedenfalls eine starke Persönlichkeit an ihrer Spitze. Der gebürtige Bieler verkörpert einen modernen, zugänglichen «Banquier» – weit entfernt von der oft elitären Aura des Genfer Geldadels. Als Jurist versteht er es, das Wesentliche im Lärm der Gegenwart herauszufiltern – und dies mit wohltuender Direktheit. Seine Leidenschaft für die Beziehung zwischen Geld, Geist und Kunst wirkt dabei weder aufgesetzt noch belehrend. Ihm nimmt man ab, wenn er sagt: «Unser Ziel ist es, unsere Kunden durch eine immer komplexere Welt zu führen – und zugleich dazu beizutragen, dass die Finanzwelt eine gerechtere Gesellschaft ermöglicht.»
Neue Wege in Asset Management und Unternehmertum
Bevor Aeschlimann die Gesamtverantwortung übernahm, leitete er den Bereich Asset Management. Unter seiner Führung baute die Bank ein diversifiziertes Produktportfolio auf und etablierte sich insbesondere im Bereich privater Marktanlagen – ein Segment, das bei vermögenden Investoren hoch im Kurs steht. Nun soll dieser Erfolg auch auf andere Felder übertragen werden.
Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem französischen Markt, einem der bedeutendsten Auslandsstandorte von Mirabaud. Dort soll unter dem Namen Mirabaud Advisors gezielt das Geschäft mit Unternehmerinnen und Unternehmern ausgebaut werden. Mit Marc Sabaté wurde ein erfahrener Unternehmer und Berater engagiert, der sein Netzwerk in der französischen KMU-Szene einbringen soll.
Expansion mit Augenmass
Wolfgang-Tillmans-Restrospektive in Paris. (Bild: finews.ch)
Auch die Digitalisierung der Vermögensverwaltung rückt immer stärker ins Zentrum – Künstliche Intelligenz wird derzeit in die IT-Tools des Hauses integriert, wie von Aeschlimann zu erfahren ist. Doch Mirabaud bleibt seinem vorsichtigen Kurs treu: Die Bank gehörte nie zu jenen, die unreflektiert jedem Trend folgten. Vielmehr setzt sie auf eine Strategie der kleinen, wohlüberlegten Schritte – mit Fokus auf Europa sowie Dubai und einigen Ländern in Lateinamerika.
Das Kunstengagement Mirabauds lässt sich unter diesen Prämissen als Schlüssel für diese Ambitionen deuten, oder wie es Aeschlimann auf den Punkt bringt: «Kunst zwingt uns, hinter das Offensichtliche zu blicken und neue Perspektiven zu erkunden.»