Regelmässig beurteilt eine Londoner Firma die Bedeutung der internationalen Finanzplätze. Die Resultate sind höchst fragwürdig, wie Christian Bretscher vom Zürcher Bankenverband feststellt.

Von Christian Bretscher, Geschäftsführer des Zürcher Bankenverbands (ZBV)

Der Global Finance Centers Index ist ein sicherer Wert für Z/Yen. Wenn das Londoner Beratungsunternehmen jeweils im März und September seine Rangliste der internationalen Finanzzentren veröffentlicht, ist ihm die Aufmerksamkeit der Wirtschaftsredaktionen gewiss. Kein Wunder: Wer möchte nicht wissen, wie sich «sein» Finanzplatz im letzten halben Jahr entwickelt hat?

Aus Zürcher Sicht konnten wir uns dabei über viele Jahre an einem durchaus ansehnlichen Platz unter den ersten Zehn erfreuen – und hatten deshalb natürlich keinen Anlass, zu hinterfragen, wie dieser Index eigentlich zustande kommt. Leises Misstrauen kam erst auf, als Zürich vor einem Jahr plötzlich auf Platz 11 abrutschte. Mit der Rückkehr auf Platz 9 im vergangenen September zerstreute sich dieses aber rasch.

Plötzlich abgerutscht

Und jetzt das: trotz einer leicht besseren Bewertung (+9 auf 713 Punkte) ist Zürich um sieben Plätze auf Platz 16 abgerutscht. Während unser Finanzplatz innerhalb Europas unverändert Platz 2 hinter London belegt, wurde er von sechs nordamerikanischen Finanzzentren und von Peking überholt, deren Bewertung sich noch stärker verbessert hat. Was ist passiert?

Werfen wir also einen genaueren Blick auf den Schönheitswettbewerb unter den Finanzplätzen. Der zeigt zunächst einmal Erstaunliches. Die Autoren der Studie versuchen gar nicht erst, näher auszuführen, was sie eigentlich bewerten – Reputation, Bedeutung, Zukunftsaussichten, Wettbewerbsfähigkeit oder eine Kombination von allem?

So weit – so undurchsichtig

Immerhin wird man darüber aufgeklärt, dass die Bewertung aufgrund von Instrumental Factors und Assessments erfolge. Die Instrumental Factors werden aus 103 anderen internationalen Ratings gewonnen, nach nicht näher definierten Kriterien aufgearbeitet und dann durch eine geheimnisvolle Instrumental Factor Prediction Engine mit den Ergebnissen der Assessments verrechnet. So weit, so undurchsichtig.

Klarer nachzuvollziehen ist dagegen, was die Autoren als Assessments bezeichnen – und das hat durchaus einen gewissen Schmunzelfaktor. Der aktuelle Index basiert auf 2'340 Antworten von Finanzplatzvertretern aus den vergangenen 24 Monaten. Als «Assesor» qualifiziert sich, wer den Online-Fragebogen auf der Website von Z/Yen ausfüllt.

Ausgerechnet Melbourne

Weitere Kriterien? Fehlanzeige. Oder nein, nicht ganz: im Anhang der Studie wird verraten, dass aus der Bewertung ausgeschlossen wird, wer weniger als drei oder mehr als die Hälfte der Finanzplätze bewertet und wer seinen Arbeitgeber nicht bekanntgibt...

Ähnlich «wissenschaftlich-ausgeklügelt» wie die Auswahl der Assessoren gestaltet sich das Assessment selbst: Auf einer nach Weltregionen gegliederten Liste sollen jene Finanzzentren, mit denen man vertraut ist, mit 1 bis 10 Punkten dafür bewerten werden, wie gut man dort seinem Geschäft nachgehen kann. Spitzenreiter London erhielt auf diese Weise 1'321, Zürich 513 und zum Beispiel Melbourne (immerhin auf Platz 12) gerade mal 213 Bewertungen.

Eine einzige Frage

Der gesamte Hauptteil der Studie beruht auf dieser einzigen Frage. Wie dünn die Datenbasis für die diversen Detailauswertungen nach Herkunft, Branche und Unternehmensgrösse der Antwortenden wird, ist offensichtlich.

In einem zweiten Teil des Fragebogens können auf einer fünfstufigen Skala die Auswirkungen des Brexit auf neun europäische Finanzzentren und die Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Finanzzentrums bewertet werden. Die letzten, offen gestellten Fragen beziehen sich schliesslich auf «relevante» Kommentare zu einzelnen Standortfaktoren und auf die Nennung jener Finanzzentren, die nach eigener Einschätzung in den nächsten zwei bis drei Jahren signifikant bedeutender werden: 126 Nennungen während der letzten 24 Monate bescherten Shanghai hier den Spitzenplatz. Toronto brachte es mit gerade mal 17 Nennungen immerhin noch auf Platz 15.

Weitgehend im Dunkeln

Was genau also den GFCI innerhalb eines halben Jahres so stark schwanken lässt, bleibt weitgehend im Dunkeln. Klar ist nur eines: Wir sind gut beraten, (auch) dieses Ranking hauptsächlich für seinen Unterhaltungswert zu schätzen, aber seine Ergebnisse und insbesondere kurzfristige Ausschläge nicht zu stark zu gewichten, sondern eher als einigermassen zufälliges Stimmungsbild auf den internationalen Finanzplätzen zu bewerten.

Konzentrieren wir uns lieber darauf, die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Schweiz und unserer Branche hochzuhalten.


Christian Bretscher amtet seit 2013 als Geschäftsführer des Zürcher Bankenverbands (ZBV). Darüber hinaus ist er mit diversen Verwaltungsrats- und Stiftungsratsmandaten betraut. Mitglieder des ZBV sind rund 40 Banken mit insgesamt 50’000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Als assoziierte Mitglieder gehören ihm auch die wichtigsten Versicherungsgesellschaften auf dem Platz Zürich an.