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Spezifischere Kritikpunkte könnten indes schwieriger zu thematisieren sein. Ein solcher ist der Effekt negativer Realzinsen (nach Abzug der Inflation), die den Wert der Ersparnisse seit der ersten Zinssenkung nach der Finanzkrise schmälerten. Der Groll vieler Sparer in Nordeuropa richtet sich vor allem an die Europäische Zentralbank.

Eine weitere Sorge betrifft die Auswirkung der quantitativen Lockerung (QE), in deren Folge Zentralbanken Vermögenswerte kauften, um Reinvestitionen zu fördern und das Wirtschaftswachstum zu unterstützen. Empirische Nachweise bestätigen – bis zu einem gewissen Grad zumindest –, dass QE vor allem die Reichen bevorteilt, deren Investitionsanlagen im Wert stiegen. Aber woher sollen wir das kontrafaktische Ergebnis eines anderen Ansatzes kennen?

«Darum muss die Branche hart an der Verbesserung ihres Ansehens arbeiten»

Wären die Zentralbanken nicht mit ihren geldpolitischen Lockerungen und niedrigeren Zinsen eingesprungen, wäre das wirtschaftliche Leid durch die globale Finanzkrise vielleicht wesentlich grösser ausgefallen – auch für die, die am meisten verloren haben.

Trotz des Mangels an präzisen Antworten auf diese Fragen, werden die Fürsprecher des heutigen Wirtschaftssystems kaum gehört. Das ist in vielerlei Hinsicht verständlich. Die Finanzindustrie wird als «Gewinnerin» in diesem System wahrgenommen, weshalb jegliche Argumente der Branche, die Risiken beleuchten sollen, mit Skepsis aufgenommen werden.

Man sagt der Branche allgemein Eigennützigkeit nach, und zweifelsohne lieferte sie auch selbst die Munition für diese Kritik. Darum muss die Branche hart an der Verbesserung ihres Ansehens arbeiten und die Gemeinschaft bereichern, der sie dient. Jene, die im Finanzsystem tätig sind, müssen Bescheidenheit sowie eine Offenheit für neue Standpunkte an den Tag legen. Wirtschaftsvorschriften, die scheinbar ausschliesslich dem Vorteil unserer eigenen Position dienen, werden auf taube Ohren stossen.

«Es mangelt nicht an radikalen Ideen, um diese Defizite anzugehen»

Die Finanzbranche muss daran arbeiten, ihre Legitimität im Zentrum eines Wirtschaftssystems wiederherzustellen, das nicht nur so angesehen wird, dass es für die Gewinner der Globalisierung funktioniert, und sie muss durch geeignete Massnahmen unterstützen, wo die Märkte versagen. Darüber hinaus muss der Kapitalismus seinen volkstümlichen Anreiz wiedererlangen, indem aufgezeigt wird, dass er für alle funktionieren kann.

Ohne Reformen werden im gegenwärtigen «Zeitalter der Angst» Alternativen zum aktuellen Modell attraktiv erscheinen, selbst, wenn die Erfahrung deren Scheitern belegt. Es mangelt nicht an radikalen Ideen, um diese Defizite anzugehen. Vorschläge wie eine Dividende für Bürger oder «Helikoptergeld», wo Zentralbanken Geld direkt an die Haushalte transferieren und die üblichen Transfermechanismen umgehen, oder ein generelles Grundeinkommen für alle Erwachsenen oder ein Staatsfonds für einen spezifischen sozialen Zweck sollten allesamt geprüft werden.

Von entscheidender Bedeutung ist es, umsetzbare Ideen zu finden, die eine integrativere Form des Kapitalismus schaffen. Wenn die globale Finanzindustrie und das Wirtschaftssystem ihre Legitimität wiedererlangen wollen, dürfen populäre Reformen nicht alleine den Populisten vorbehalten sein.


Anne Richards ist seit Juni 2016 Chefin des britischen Fondshauses M&G Investments. Zuvor war sie Chief Investment Officer beim Konkurrenten Aberdeen Asset Management. Nach ihrem Studium an der Universität von Edinburgh startete sie ihre Karriere beim Cern in Genf, bevor sie nach weiteren Studien am Insead in Fontainebleau in die Finanzbranche einstieg, wo sie unter anderem für Alliance Capital, J.P. Morgan und Mercury tätig war.


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