Die Mirabaud-Analysten Toby Clothier und Neil Campling waren frühe und einsame Kritiker des deutschen Fintechs Wirecard. Clothier sagt nun zu finews.ch, welche Warnzeichen aufs Debakel hindeuteten.


Herr Clothier, wann setzten Sie und Ihr Kollege Neil Campling ein Kursziel von 0 Euro beim nun tief gefallenen deutschen Fintechs Wirecard?

Im April 2019. Eigentlich machten wir für Wirecard eine Ausnahme, da wir bei Mirabaud nicht gerne Kursziele setzen. Stattdessen verwenden wir Kauf- und Verkaufsempfehlungen, bis ein Titel für uns nicht länger interessant ist.

Weshalb die Ausnahme?

Es gab dafür diverse Gründe. Unter dem Strich leuchteten zu viele Alarmsignale bezüglich der Lizenzen von Wirecard auf: Es zeichneten sich Verstösse gegen die Regulation und in der Beziehung zu den grossen Kartenfirmen ab.

«Fast alle haben ein böses Ende genommen!»

Ohne grünes Licht von der Aufsicht oder Partner-Status mit Visa oder Mastercard kann eine Payment-Firma schlicht nicht geschäften. Tatsächlich hat Wirecard bereits vor Monaten diverse Vorbedingungen von Visa und Mastercard nicht mehr erfüllt. Es erstaunt uns, dass das Unternehmen überhaupt noch über eine Lizenz verfügt.

Und wie steht es um die Banklizenz von Wirecard?

Dort stellten wir ähnliche Missstände fest. Es gibt Dutzende, wenn nicht gar Hunderte Beschwerden, Übertretungen und Fälle von verschwundenen Vermögen dort. Scheinbar schaffte es Wirecard, in allen Bereichen Partner und Kunden zu verärgern.

Andere Analysten waren lange euphorisch bezüglich des Potenzials von Wirecard. Ein Kursziel lautete zeitweilig auf 265 Euro. Setzten Mirabaud-Kunden keinen Druck auf, weil sie aufgrund Ihrer Analysen den steilen Kursanstieg der Jahre 2017 und 2018 verpasst hatten?

Unseren ersten Bericht zu Wirecard publizierten wir im September 2018. Damals wurden Wirecard in den deutschen Leitindex Dax aufgenommen. Wir waren der Meinung, dass das Unternehmen der verschärften Prüfung, welche die Aufnahme in den Dax mit sich bringt, nicht standhalten würde.

Sie und Neil Campling haben sich in der Vergangenheit laut zu Betrugsfällen geäussert. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen all diesen Affären?

Fast alle haben ein böses Ende genommen! Und es gibt quantitative Gemeinsamkeiten: hohe Verschuldung, Chefs, die vor allem mit eigenen Aktien belohnt werden, und seltsame Bewegungen in den Margen.

Bei Wirecard haben Sie sich aber auch an weichen Faktoren gestört.

Eine qualitative Beobachtung war, dass der frühere CEO gewissen «Buzz»-Wörter oft und repetitiv verwendete, um Wirecard-Proukte in ein bestimmtes Licht zu rücken. Versuche, wie ein Experte zu klingen, können zuweilen nach hinten losgehen – was herauskommt, ist reines Kauderwelsch.

Einmal haben Sie sogar mitgezählt, wie oft Ex-Chef Markus Braun in einer Präsentation das Wort «stark» gebrauchte…

Es gab diverse Investorenkonferenzen, wo er das Wort mehr als 40 mal verwendete! Andere Favoriten waren «Künstliche Intelligenz», «Fintech» und «B2B2C.»

«Das ist mir auch ein Rätsel»

Das sollte wohl für eine Aura von Expertentum sorgen. Aber alle zehn Sekunden «Ökosystem» oder «B2B2C» zu sagen, macht noch kein Fintech aus. Besonders dann nicht, wenn nur 5 Prozent des Umsatzes in die Forschung und Entwicklung gesteckt werden.

Was können Fintech-Investoren aus dem Debakel lernen?

Wir möchten nicht Schulmeister spielen. Ein ziemlich bewährte Erkenntnis ist aber: Wenn der Chef überall Buzz-Wörter einstreut und man seinen Aussagen deshalb kaum folgen kann, dann deutet das auf verborgene Probleme hin.

Ist die Fintech-Szene besonders anfällig für Betrügereien?

Leider – vor allem wegen der wenig greifbaren Produkte und den grossen Zahlen, die schnell einmal herumgeboten werden. Wenn beim Fintech lasche Kontrollen und eine zu gefügige oder gar inkompetente Revision hinzukommen, entstehen rasch Brutstätten für Betrug.

Der neue Wirecard-Chef, ein Jurist und Compliance-Experte, findet jetzt, dass die Manipulationen bei Wirecard leicht zu entdecken gewesen wären. Warum hat es dennoch Jahre gedauert bis zum Knall?

Das ist mir auch ein Rätsel. Aber es gab genug Warnzeichen. 2019 versah der Revisor EY seinen Prüfbericht für die Asien-Niederlassung von Wirecard mit einem Kommentar fürs Jahr 2018 und rückwirkend auf die Jahre zuvor. Zudem kündete er seine Prüftätigkeit auf. Seit Februar 2019 ermittelt nun die Singapurer Polizei gegen Wirecard; und die Zeitung «Financial Times» schreibt seit Jahren über Ungereimtheiten beim deutschen Fintech. Sogar ein externes Gutachten, das Wirecard selber in Auftrag gab, deckte alarmierende Details auf. Doch die Anleger entschieden sich, all diese Hinweise zu ignorieren – und stattdessen der Firmenführung zu trauen.


Toby Clothier ist Leiter des Teams Global Thematic and Strategy im Aktienresearch der Genfer Privatbank Mirabaud in London. Er und Neil Campling, seines Zeichen Leiter Analyse im Bereich Technologie, Medien und Telekom, waren frühe und einsame Kritiker von Wirecard. Die beiden arbeiten seit neun Jahren eng zusammen, vor Mirabaud bei der britischen Investmentbank-Boutique Aviate Global.

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