Heutzutage bewerben sich Talente nicht mehr bei uns, sondern wir bei ihnen, sagt Alexander Bockelmann, neuernannter Technologiechef der Baloise-Gruppe zu finews.ch. Willkommen in der neuen Arbeitswelt.


Herr Bockelmann, warum hat die Baloise einen Chief Technical Officer, einen CTO, ernannt?

Im Zeitalter der Digitalisierung verschwimmt die Grenze zwischen dem klassischen Geschäft und der IT. Es wird immer wichtiger, IT-gestützte Business-Modelle zu entwickeln. Deshalb ist es wichtig, IT-Kenntnisse in die Geschäftsführung einzubringen und einen Fachexperten mit hoher IT-Affinität in die Konzernsteuerung einzubinden.

Welche Hauptziele verfolgen Sie nun?

Meine Aufgabe ist es, die Baloise über eine effiziente und funktionierende Versicherung hinaus weiterzuentwickeln. Es geht darum, ein Unternehmen der Zukunft zu bauen, ausgehend von unseren Stärken, mit den neuen Möglichkeiten und Aktivitätsfeldern der Digitalisierung.

Konkret gilt es erstens, die Transformationsprozesse, die wir als Digitalisierung bezeichnen, zu unterstützen. Dies geht aber über die Bereitstellung von Technologien hinaus – kurz, wir müssen Innovationen fördern. Zweitens geht es um eine Fokussierung und Beschleunigung von Innovation, darum, im Innern des Konzerns den Kulturwandel vorantreiben.

«Das Entscheidungsgremium ist kein Team im Elfenbeinturm der Konzernspitze»

Und drittens werden wir die Komplexität reduzieren. Nicht nur, wie wir es bei der «Simply Safe»-Strategie nach aussen gemacht haben, sondern auch nach innen. Wir etablieren aus unseren Ländern heraus eine gemeinsame IT-Steuerung für die ganze Gruppe.

Da haben Sie sich aber einiges vorgenommen.

Natürlich sind wir erst am Anfang. Aber wir bauen immerhin auf Aktivitäten auf, die im Konzern schon vorhanden sind. Momentan arbeite ich daran, das Team aufzubauen. Auch da merkt man, dass für uns Digitalisierung nicht die Technik allein ist, sondern auch Kulturwandel, Mitarbeiter- und Kunden-Erlebnis dazu gehören. Digitalisierung ist ein Mittel zum Zweck.

Wir bauen etwa das Thema IT-Steuerung in einer Weise auf, die ziemlich innovativ ist. Wir bilden ein virtuelles Team. Die eine Hälfte dieses Teams ist hier in Basel angesiedelt und die andere wird von Experten aus den Ländern gebildet. Damit ist das Entscheidungsgremium, das diese Transformation vorantreibt, kein Team im Elfenbeinturm der Konzernspitze, sondern verankert in den Gesellschaften und von diesen mit Experten versorgt.

Die Baloise ist in der jüngsten Zeit durch Übernahmen von kleinen Firmen aufgefallen. Welche Strategie steckt dahinter?

Unsere Investitionsstrategie hat zwei Dimensionen: Erstens geht es um die Frage, wie wir unser Geschäft weiterentwickeln wollen. Und zweitens in welchen Bereichen.

«Dies führt uns zu einer sehr spannenden Frage: Wie werden Märkte künftig funktionieren?»

Grundsätzlich versuchen wir, hypothesen-getriebene Opportunitäten zu finden, um neue Geschäftsmodelle oder -fähigkeiten zu testen. Wenn wir ein Thema finden, das eine gewisse Resonanz und einen Mehrwert demonstriert, bauen wir dieses Thema aus. In der Schweiz gibt es im Bereich Home einige Themen, die wir weiter ausbauen werden, und in Belgien haben wir ein Unternehmen im Bereich Mobilitätsdienste aufgebaut.

Wie schaffen Sie es, die teils winzigen Unternehmen in den Riesen Baloise zu integrieren?

Wir probieren unterschiedliche Dinge aus und versuchen, ein für unsere Kunden relevantes Servicenetzwerk um unser Kerngeschäft herum aufzubauen. Die Baloise ist beispielsweise eine der grössten Immobilienbesitzerinnen der Schweiz.

Damit bieten wir einen grossen Mehrwert für kleinere Unternehmen, die sie für die Skalierung nutzen können.Mit Movu haben wir heute auch neu die grösste Plattform für Umzüge und Reinigungsdienste. Und dies fügt sich dann in einem Netzwerk im Bereich Home zusammen.

Wollen Sie denn nun diversifizieren oder konzentrieren?

Dies führt uns zu einer sehr spannenden Frage: Wie werden Märkte künftig funktionieren? Die Märkte entwickeln sich und die Frage ist, welche Produkte über welche Kontaktpunkte wie vom Kunden wahrgenommen werden. Und welchen Mehrwert erbringe ich, wenn ich verschiedene Dinge vernetze.

«Angstreaktionen sind selten gut»

Wir kommen weg von der Produktion von Einzelteilen hin zu vernetzten Ökosystemen. Ein Kunde möchte selten einen einzelnen Baustein, ein Kunde möchte eine Lösung und diese bieten wir an. Die Idee des All-Inclusive gibt es in immer mehr Bedarfsfeldern – zum Beispiel in der Mobilität.

Was war zuerst: die Angst vor Verlust oder die Erkenntnis, dass die Wirtschaft sich verändert?

Angstreaktionen sind selten gut. Es ist die Kombination – man braucht eine gewisse Kultur, um mit Startups und Ökosystemen interagieren zu können; man braucht also die technische und kulturelle Integrationsfähigkeit. Dies ist eine unserer Stärken im Wettbewerb.

Kommen die zusätzlichen Kosten eher durch den Aufbau eines internen Apparats oder durch den Zukauf von Firmen?

Es geht darum, wie wir mit den neuen Wirtschaftsbereichen interagieren, und hier gibt es keinen Ansatz, der für alle gleichermassen gilt. Deshalb bedienen wir unterschiedliche Hebel – wir haben eine eigene Scouting-Abteilung. Wir kooperieren mit anderen Branchen in der Inkubation. Wir entwickeln auch Lösungen betriebsintern fürs Unternehmen.

Wir haben beispielsweise zusammen mit zwei weiteren Schweizer Versicherungen eine Kooperation für eine gemeinsame Produkteplattform. Das Thema ist dabei, wie man Innovation zusammen mit Partnern betreiben kann, um schneller Mehrwerte generieren zu können. Da sind Flexibilität und Kooperationsfähigkeit entscheidende Faktoren.

Sie haben auch eine kleine Abteilung, die eigene Entwicklungen vorantreibt.

Wir haben sowohl kulturell eine Abteilung, die sich mit Fintechs beschäftigt, also ein Scouting betreibt, und welche die Kooperation mit dem F10-Inkubationszentrum betreut.

Wir haben aber auch auf der Technikseite kleine Teams, die auf Integration und Kooperation spezialisiert sind. Aber es darf keine starre Steuerungsstruktur geben, mit straffen Hierarchien, da die Entscheidungszyklen in diesen Geschäftsfeldern viel schneller als in den klassischen, traditionellen Geschäftsbereichen sind.

Führt der ganze Kulturwandel nicht zu Befürchtungen bei Mitarbeitern, weil diese nicht wissen, wohin für sie die Reise geht?

Es kommt darauf an, wie man die Kollegen in den Prozess integriert und transparent kommuniziert. Einer unserer Schwerpunkte ist die Weiterbildung und Bewusstseinsbildung in allen Bereichen.

«Es gibt nicht alte Welt oder neue Welt, es gibt nicht eine analoge oder digitale Welt»

Die Mitwirkung der Mitarbeiter in Sinne eines «Empowerment» ist einer der Gründe, wieso ich bei der Baloise angefangen habe. Mitwirkung, Transparenz und Flexibilität sind Eckpunkte unserer Kultur und eine Realität in unserer Entscheidungsfindung. Und damit einer der Hebel, um die Unsicherheit im Transformationsprozess zu reduzieren.

Eine gewisse Unsicherheit lässt sich nicht wegdiskutieren.

Es gibt eben insgesamt kein «Oder»: Es gibt nicht alte Welt oder neue Welt, es gibt nicht eine analoge oder digitale Welt. Es gibt nur eine gemeinsame neue Welt und diese verknüpfen wir. Ein Beispiel: Die Digitalisierung des Aussendienstes führt nicht zur Abschaffung des Aussendienstes. Wir wollen dem Aussendienst mit Technologien bessere Möglichkeiten geben, um beim Kunden Mehrwert zu schaffen.

Gleichwohl wird der Aussendienstmitarbeiter in zehn Jahren nicht mehr das Gleiche tun.

Er wird nicht unbedingt etwas Neues tun, aber er wird es anders tun. Die Stärke des Aussendienstes ist die persönliche Beratung. Ob diese Beratung nun von Angesicht zu Angesicht, via einen Videokanal oder asynchronen Chat geschieht, ändert nichts daran, dass es ein Kundenberatungsgespräch ist.

«Heutzutage bewerben sich die Talente nicht mehr bei uns, sondern wir uns bei ihnen»

Der Kunde bestimmt, welcher Weg für ihn der angenehmste ist. Unsere Aufgabe ist es, den Kunden da abzuholen und unsere Mehrwerte zu bieten, wo der Kunde sie möchte. Wir müssen immer daran denken, wie wir Mehrwert aus der Brille des Kunden erbringen können und unserem Aussendienst die Fähigkeiten und Möglichkeiten in die Hand geben, diesen zu liefern.

Wie rekrutieren Sie neue Mitarbeiter für die veränderte Welt?

Heutzutage bewerben sich die Talente nicht mehr bei uns, sondern wir uns bei ihnen. Ich zeige zum Beispiel in einer kurzen Videosequenz, was wir alles bieten und gehe damit zu den Talenten, um die besten für uns zu gewinnen.

Aber es ist natürlich in allen Branchen so, dass man mehr gute Leute haben möchte als man findet. Das martialische Konstrukt des «War of Talent» nimmt nicht ab. Unternehmen versuchen mit neuen Kollegen ihre eigene Transformation voranzubringen. Alle suchen also nach ähnlichen Profilen, und dies macht es nicht einfacher. Innovative Ansätze werden auch im Rekrutieren zu einem Erfolgsfaktor werden.


Alexander Bockelmann ist seit Februar 2019 der erste Chief IT Officer der Baloise. Der Deutsche hat Geowissenschaften studiert und an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen doktoriert. Nach dem Studium arbeitete er unter anderem bei der Boston Consulting Group als IT-Strategie- und Transformationsberater und bei der Allianz in verschiedenen leitenden Positionen in Deutschland und den USA. Ende 2013 wechselte er als Group CIO zur UNIQA Insurance Group in Österreich und war dort zuletzt als Vorstandsmitglied und Chief Digital Officer aktiv.

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