Der frühere Banker Marcel Chevrolet führte seine Kunden in die Steuerehrlichkeit und wurde dafür entlassen. Seine Erfahrungen sind auch eine Anleitung zum Überleben und zum Neustart. Ein Interview.


Herr Chevrolet, nach einer langen Karriere im Banking ging es für Sie vor fünf Jahren nicht mehr weiter. Was ist damals geschehen?

Ich habe während 25 Jahren vor allem deutsche und österreichische Kunden betreut. In letzter Zeit, genauer gesagt über mehrere Jahre, habe ich ihnen empfohlen, ihre steuerliche Situation mit einer Selbstanzeige zu regeln. So konnte ich viele Kunden in die Steuerehrlichkeit begleiten. Mit dem Resultat, dass sie nachher ihre Vermögen repatriiert haben. Auf diese Weise verlor ich meine Kunden- und Ertragsbasis – und wurde entlassen.

Wie ging es dann weiter?

Nach fast zwei Jahren Arbeitslosigkeit und keinerlei Aussicht auf eine Anstellung hatte ich zwei Optionen: Absturz in die Sozialhilfe oder Selbständigkeit! Bald war mir klar, welchen Weg ich einschlagen würde.

Warum?

Ich hatte ein Schlüsselereignis: Bei meinen mehr als 220 Bewerbungen konnte ich mich zweimal vorstellen, unter anderem bei einer Bank in Olten. Leider ohne Erfolg.

«Es hiess, ich hätte zu viel Drive!»

Die Begründung der Absage hätte nicht absurder sein können. Es hiess, ich hätte zu viel Drive und zu viele Ideen! Das ist echt wahr. Ich schwöre es. Das war der Punkt, als ich mir sagte: Jetzt musst Du Dich selbständig machen.

Was war das Schwierigste in dieser Zeit?

Bis an die Schmerzgrenze der Erniedrigungen gehen zu müssen. Nach dem erwähnten Vorfall verzog sich plötzlich der Nebel, und ich hatte eine ganz klare Sicht. Von da an habe ich begonnen, meine Selbständigkeit zu planen und anzupacken. Stark profitiert habe ich dabei von den Info-Veranstaltungen von startups.ch, als es um Fragen rund um die Gründung, die Rechtsform und den Aufbau meiner Firma ging sowie um deren Organisation.

Können Sie anderen Leuten einen Rat geben, wie man mit der Unsicherheit beim Beginn der Selbständigkeit umgeht?

Die Unsicherheit war insofern gross, als ich keine bestehende Kundenbasis mehr hatte, auf der ich hätte aufbauen können. Was mir sehr geholfen hat, war der ständige Austausch mit Freunden, darunter viele Banker, aber nicht nur. So konnte ich herausfinden, ob ich auf dem richtigen Weg bin oder meine Strategie ändern muss.

«Das RAV war nicht vorbereitet auf hochqualifizierte und erfahrene Banker»

Absolut keine Unterstützung erhielt ich vom RAV, die haben nur ihre Listen abgehakt... Das RAV war nicht vorbereitet auf hochqualifizierte und erfahrene Banker. Ich empfehle allen Betroffenen, sich nicht zu verkriechen. Geht raus, redet über die Situation – selbst wenn es unangenehm ist – und haltet Kontakt zu Freunden, Bekannten und Kunden.

Wie haben Sie ein Alleinstellungsmerkmal, also eine Unique Selling Proposition, für Ihre Firma gefunden?

Ich habe mir drei Fragen gestellt:

  • Wie kann ich einen Mehrwert schaffen?
  • Wie kann ich mich abgrenzen von den anderen 3'500 Vermögensverwaltern in der Schweiz?
  • Was kann ich besser als andere?

Und zu welchen Antworten sind Sie gekommen?

Angefangen habe ich mit Kostenanalysen: Ich habe den Kunden aufgezeigt, wie unglaublich hoch die Kosten für eine Vermögensberatung und -verwaltung bei den Banken sind, und habe diese dann verglichen mit meinen sehr tiefen Kosten. So habe ich meine ersten Kunden gewonnen.

Wie ging es dann weiter?

Erst etwas später hat sich dann «meine Nische» aufgetan: Die Beratung von Kunden mit Freizügigkeitsgeldern, die fast zinslos auf den Konten liegen und nicht angelegt werden. Ich habe realisiert, dass alle grossen Freizügigkeitsstiftungen eigene BVG-Fonds führen, diese aber nicht aktiv ihren Kontoinhabern anbieten. Der Grund ist klar: Trotz Negativzinsen verdienen die Stiftungen mindestens 1 Prozent mehr als sie den Kontoinhabern an Zinsen bezahlen.

«Die Banken interessiert es nicht, ob die Kunden Geld verdienen»

Dies führte zu meiner heutigen Spezialität: die Steueroptimierung bei ausländischen Arbeitnehmern, welche die Schweiz definitiv verlassen: Das Thema dabei ist die enorme Einsparung von etwa 50 Prozent der Quellensteuer beim Bezug der Pensionskassenvermögen beim Verlassen der Schweiz.

Nun sind Sie seit exakt drei Jahren selbständig. Wie hat sich das Geschäft entwickelt?

Die ersten beiden Jahre waren schwierig, aber seit etwa sechs Monaten hat die Nachfrage angezogen. Jetzt läuft mein Geschäft gut. Das ist das Ergebnis von permanentem «Dranbleiben» und seriöser Arbeit. Die allermeisten Kunden gewinne ich durch Mund-zu-Mund-Propaganda.

Mit welchen Erfahrungen von Banken kommen Kunden respektive Interessenten auf Sie zu?

Im Prinzip geht es allen Kunden gleich, egal bei welcher Bank sie sind: Der einzige Faktor, der bei den Banken zählt ist der Ertrag – für die Bank! Die Banken interessiert es nicht, ob die Kunden Geld verdienen.

Die meisten Depots sind vollgestopft mit hauseigenen, überteuerten Fonds oder völlig intransparenten Strukturierten Produkten. Dazu kommen dann noch Devisentransaktionen mit mindestens 1 Prozent Marge. Ich sehe Kundendepots mit jährlichen Kosten von deutlich über 2 Prozent pro Jahr, ohne Ertrag für die Kunden.

«Klar doch, hier gewinnt die Bank mindestens 1,5 Prozent an verdeckten Gebühren»

Ein anderes Beispiel sind Depots mit Anteilen von je 0,5 Prozent Roche und Novartis im Gesamtwert von je 2'500 Franken und dies mit Courtage von mindestens 150 Franken. Was ich damit ausdrücken will: Die Banken scheren sich einen Deut um die Interessen der Kunden. Es werden Kleinstpositionen gehalten, so dass die effektiven Börsengebühren unter der Mindestgrösse von zumeist 150 Franken liegen. Die Differenz steckt die Bank ein.  

«Komischerweise» werden umgekehrt bankeigene Fonds oder Strukturierte Produkte mit 4 Prozent oder gar mit 6 Prozent des Vermögens gehalten. Klar doch, hier verdient die Bank mindestens 1,5 Prozent an verdeckten Gebühren.

Was machen Sie anders?

Für meine Kunden fahre ich eine reine Dividendenstrategie mit Schweizer Aktien, «Buy and hold», und alle sind sehr zufrieden mit den Resultaten.

  • Lesen Sie morgen im zweiten Teil des Interviews, wo das Problem der Banken liegt, was kleine Anbieter besser können, und wie es mit der Schweizer Finanzbranche weitergeht.

Marcel Chevrolet ist Schweizer und seit Mai 2014 als Vermögensberater selbständig. Dabei hat er sich neben der klassischen Vermögensverwaltung auf Kostenanalysen sowie auf die Beratung von Kunden mit Freizügigkeitsgeldern spezialisiert. Vorher war er als Kundenberater und Direktionsmitglied bei verschiedenen Schweizer Finanzinstituten tätig, unter anderem bei der UBS, bei Sarasin, BNP Paribas, EFG International und der Commerzbank (Schweiz).

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