Immer mehr Menschen sind so reich, dass sie sich ihren privaten Vermögensverwalter leisten können – und im kommenden Jahrzehnt wird so viel Geld vererbt werden wie noch nie. Der Schweizer Finanzplatz ist in der Pole-Position.

Die angelsächsische Finanzpresse, die den hiesigen Bankenplatz gewöhnlich mit Argusaugen beobachtet, räumt es ein: Die Schweiz befindet sich im Herzen eines verschwiegenen Booms, der sich rund um Family Offices seit der Finanzkrise von 2008 entwickelt hat. «Alpine Attraction» nennt dies die «Financial Times» (Artikel bezahlpflichtig) in einem aktuellen Beitrag zum Thema.

Erhebungen stützen diesen Befund. Einer weltweiten Umfrage der Beratungsfirma Agreus zufolge ist die Schweiz mit Grossbritannien und Deutschland der führende Hub für private Vermögensverwalter in Europa. Zürich gilt dabei als die Stadt mit den meisten Family Offices auf dem Kontinent.

Beliebt bei schwerreichen Deutschen

Ein beeindruckendes «Who’s who» lässt seine Gelder vom Alpenland aus verwalten. Dazu zählen die dänischen Kristiansens, denen der Spielzeughersteller Lego gehört, die Swarovskis aus Österreich und die Unternehmerfamilien Lawi und Kadoorie aus Nahost respektive Hongkong.

Äusserst beliebt ist der Finanzplatz auch bei schwerreichen Deutschen: Die von Opels, von Fincks, Thyssens, Jacobs’ oder Würths lassen ihr Vermögen von der Schweiz aus verwalten, wie finews.ch auch schon berichtete.

Hinzu kommen die heimischen Grossvermögen: Jene der Sandoz-Familie (Novartis), der Hoffmanns (Roche) oder der Bertarellis (Serono) sowie das Family Office Loreda von Synthes-Gründer Hansjörg Wyss.

Ideal positioniert

Der Finanzplatz ist damit ideal positioniert, um vom weiteren Boom der Family Offices zu profitieren. Dank des seit der Finanzkrise anhaltenden Bullenmarkts an den Börsen hat die Zahl der Superreichen weltweit rasant zugenommen, und mit ihnen die privaten Vermögensverwalter: Waren es 2008 noch rund 1’000, wird ihre Zahl heute auf das Zehnfache geschätzt.

Das Nachkrisen-Jahrzehnt könnte demnach als die Dekade des Aufstiegs des Family Office in die Finanzgeschichte eingehen. Und mit den gewaltigen Vermögen, die in den nächsten zehn Jahren vererbt werden, könnte diese Dynamik nochmals zunehmen.

Banker bloss noch Handlanger?

Für das hiesige Private Banking ist dies ein gemischter Segen. Denn die Family Offices sind in den vergangenen Jahren wesentlich professioneller geworden und decken weite Teil der Vermögensverwaltung selber ab. Das degradiert die Banker zu blossen Handlangern. Die Superreichen fahren damit nicht schlecht: Laut Agreus erzielten die Family Offices in den vergangenen zehn Jahren eine durchschnittliche Jahresperformance von 7 bis 10 Prozent für ihre Eigentümer.

Die Banken, zumal die führenden Schweizer Häuser UBS und Credit Suisse, versuchen sich demgegenüber mit Spezialdiensten einzuklinken. Etwa, wenn es um den Zugang zu Privatmarkt-Investitionen, komplizierten Strukturierungen und Investmentbank-Aktivitäten für die Firmen der Unternehmer-Clans geht. Ebenfalls forcieren die Institute ihr Angebot für nachhaltige Investments und Philanthropie.

Es menschelt immer weniger

Die grösseren Family Offices werden inzwischen so professionell wie grosse Finanzfirmen geführt, es «menschelt» immer weniger: Bei europäischen Family Offices stammt der CEO in 70 Prozent der Fälle nicht aus der Familie selber. Zugenommen hat auch die Palette an Diensten, die den Eigentümern angeboten werden, wie die «Finacial Times» berichtet: etwa ein Concierge-Service, Finanzunterricht für die Erben, oder Achtsamkeit-Kurse.

In der Folge verwundert es wenig, dass Banker vermehrt ins Family-Office-Fach wechseln möchten – wegen der grösseren Freiheiten, aber wohl nicht zuletzt auch wegen des Verdiensts.

Archegos – auch ein Family Office

Mit den grossen Freiheiten könnte es aber mittelfristig vorüber sein, denn die Boom-Branche wird auf den Radar der Aufsichtsbehörden gelangen. Die Intransparenz der Anbieter fördert heikles Verhalten: gegenüber der «Financial Times» sprachen Schweizer Akteure von Kickbacks der Banken oder von Fonds, die von Family Offices nebenher zu ihrem eigentlichen Auftrag gemanagt würden.

In den USA haben die Alarmlampen diesbezüglich schon zu blinken begonnen. Die New Yorker Finanzfirma Archegos Capital, welche mit ihrer spektakulären Pleite vom vergangene März die Credit Suisse rund fünf Milliarden Dollar kostete, firmierte offiziell als Family Office von Gründer Bill Hwang.