Das Sanktions-Regime des Bundes ist löchriger als gedacht. Banken müssen Wertschriftenbestände von Personen mit Russland-Konnex nicht melden – das liefert eine neue Erklärung für die hohe Schweizer Dunkelziffer.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat am Donnerstag zum Stand der Vermögen mit Verbindung zu Russland und Belarus in der Schweiz informiert. Seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine hat der Bund demnach finanzielle Vermögenswerte in der Schweiz über 7,5 Milliarden Franken sowie 15 Liegenschaften sperren lassen. Das sind 0,8 Milliarden Franken mehr als bei der letzten Wasserstandsmeldung im vergangenen Juli.

Ein Berg von Meldungen

Ebenfalls sind dem Seco bis Mitte November von hiesigen Banken und anderen Stellen genau 7’548 Geschäftsbeziehungen und einer Summe von 46,1 Milliarden Franken mit Russland-Konnex gemeldet worden. Im Falle von Belarus wurden 294 Geschäftsbeziehungen mit einer Summe von 0,4 Milliarden Franken angegeben.

Das Seco, das für die Umsetzung der Sanktionen extra Personal einstellen musste und derzeit noch einen «Backlog» an Meldungen abarbeitet, steht damit im internationalen Vergleich nicht schlecht da. Grossbritannien hat russische Werte von 18 Milliarden Pfund (knapp 20,5 Milliarden Franken) festgesetzt. Die EU hat bisher 17 Milliarden Euro (knapp 17 Milliarden Franken) eingefroren, davon 2,2 Milliarden Franken allein in Deutschland. Kein anderes Land berichtet über gemeldete nicht-sanktionierte Vermögen.

Unter dem Radar

Doch wie sich am Donnerstag zeigte, bestehen beträchtliche blinde Flecken in der Aufsicht des Bundes. So interessiert sich das Seco zwar für Bareinlagen, Dividenden und weitere Cash-wirksame «Corporate Actions» von russischen Bürgern und Organisationen. Wertschriftenbestände sind jedoch von der Meldepflicht ausgenommen, was mit Blick auf das Schweizer Private Banking bedeutsam ist: Vermögensverwaltungs-Banken haben einen starken wirtschaftliche Anreiz, Kundengelder zu investieren.

Auf die Frage von finews.ch, ob russische Kunden von Schweizer Banken unter dem Radar des Bundes durchfliegen, wenn sie Bares in Wertschriften tauschen, hiess es seitens des Seco: «Meldepflichtig sind nur Einlagen und dies ab der gesetzten Grenze.»

Zur Erinnerung: die Schweiz setzt gegenüber Russland und Belarus das Sanktionsregime der EU mit leichten Modifikationen um. Gemeinsam ist beiden Jurisdiktionen, dass sie über die Vermögen auch nicht sanktionierter russischer Personen und Unternehmen Bescheid wissen und das Geschäft mit diesen in der Tendenz zurückbinden wollen. So müssen hiesige Banken auch Einlagen von nicht-sanktionierten Russinnen und Russen ab 100’000 Franken beim Seco melden. Im Weiteren ist es den Instituten ab diesem Betrag verboten, weitere Kundengelder entgegenzunehmen.

Erstaunliche Russen-Panik

Die Verordnung, die durchaus als diskriminierend empfunden werden kann, hat bei Schweizer Banken in der Folge zu grosser Hektik geführt: Das Seco registrierte früh, dass die Geldhäuser mehr melden, als sie eigentlich müssten. Doch die hiesigen Geldhäuser sind nach ihren Erfahrungen mit früheren Sanktionsregimes und dem Steuerstreit mit dem Ausland gebrannte Kinder. Das Risiko, wegen Russen-Geldern international an den Pranger gestellt zu werden, will kaum jemand eingehen.

Jegliche Finanzgeschäfte mit einem Russland-Konnex fallen inzwischen durch. Das führt soweit, dass gebürtige Russen sich aus dem Verwaltungsrat von hiesigen Vermögensverwaltern zurückziehen, obschon sie nie auf einer Sanktionsliste auftauchten.

Die Russen-Panik am Finanzplatz ist insofern erstaunlich, als sich dieser in der Vergangenheit höchst findig zeigte, wenn es darum ging, «regulatorische Abritrage» zu betreiben. Das Ausnützen von Schlupflöchern galt lange als Kunst, für die sich auch Treuhänder und Anwälte teuer bezahlen liessen. Wie sich nun zeigt, sind die «Loopholes» in der Sanktions-Überwachung grösser als gedacht. So ist bereits breit bekannt, dass die Meldepflicht gar nicht erst zur Anwendung kommt, wenn Personen mit russischem Hintergrund über einen Schweizer oder den Pass eines EWR-Staats verfügen – oder sie dort über eine Aufenthaltsbewilligung verfügen.

Nächste Eskalationsstufe?

Wie die Seco-Verantwortlichen am Donnerstag durchblicken liessen, mögen die Ausnahmen von der Meldepflicht die grosse Differenz zwischen geschätzten und tatsächlich gemeldeten Russen-Gelder in der Schweiz mit erklären. So machen die gut 46 Milliarden Franken an gesperrten Geldner nur rund ein Viertel der bis zu 200 Milliarden Franken an russischen Vermögenswerten aus, welche die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) bei ihren Mitgliedern vermutet.

Diese Zahl wird übrigens Recherchen von finews.ch zufolge branchenintern extrem ungern gehört. Über das Thema sähen viele Banker gerne endlich den Mantel des Schweigens gebreitet.

Doch diese Hoffnung erweist sich als trügerisch. In der EU gibt es derzeit Bemühungen, die Rechtsgrundlagen zu schaffen, um eingefrorene Vermögen von sanktionierten Kreml-nahen Parteien zu konfiszieren. Die Ukraine etwa drängt darauf, solche Gelder für den Wiederaufbau des Landes zu verwenden. Laut dem Seco ist es in der Schweiz bisher juristisch nicht möglich, gesperrte Gelder anzutasten. Der Bundesrat hat jedoch eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit just dieser Frage auseinandersetzt.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.53%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.88%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.03%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    8.98%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.58%
pixel