Der neue CEO der UBS steht für radikale Strategie-Entscheide. Wie könnte eine solche disruptive Strategie in der Vermögensverwaltung aussehen? Finanzprofessor und finews.ch-Kolumnist Teodoro Cocca geht in seinem Essay dieser Frage nach.

«Disrupt yourself, before someone else does it», so soll die Devise des neuen UBS-Konzernchefs Ralph Hamers lauten. Was könnte dies angewendet auf die aktuelle Strategie der UBS bedeuten? Ohne Zweifel wird dieser Tage in den Strategie-Gremien der Bank an solchen Fragen gearbeitet.

Wie es üblich ist, geht ein CEO-Wechsel einher mit einer Überprüfung der bestehenden Strategie. Die Erwartungen an einen neuen Chef sind immer hoch. Wenn die Strategieüberprüfung von einem CEO durchgeführt wird, dem der Ruf vorauseilt, das eigene Geschäft wenn notwendig zu kannibalisieren, waren die Erwartungen an einen UBS-Chef wohl selten höher.

Wofür die UBS heute steht

Spielt man gedanklich das Szenario einer Disruption im Kerngeschäft der UBS, der Vermögensverwaltung für sehr vermögende Kunden, durch, lassen sich folgende strategische Überlegungen anbringen. Beginnen wir beim Allergrundsätzlichsten. Was ist die Basisdienstleistung der UBS auf den kleinsten Nenner gebracht, welche ihr die unternehmerische Existenzberechtigung gibt?

Eine mögliche Formulierung könnte lauten: «Führe Deine Anlagegeschäfte zusammen mit uns durch, das ist für Dich als Kunde besser als wenn Du es alleine machst». Aus dieser «Selling Proposition» leitet sich auch ab, warum Kunden der Bank bereit sind, etwas (und nicht zu knapp) für die Dienstleistungen der Bank zu zahlen.

Zunehmend unter Druck

Dieses Markenversprechen ist in der Vermögensverwaltung gerade für die obersten Kundensegmente weiterhin strategisch fest verankert, denn diese beanspruchen trotz Digitalisierung weiterhin eine persönliche Beratung und sind auch bereit dafür zu zahlen. Für die tieferen Vermögenssegmente (Affluent und Core HNWI) gerät dieses Verkaufsargumente aber zunehmend unter Druck.

Während vereinfacht gesagt Superreiche so spezifische Bedürfnisse haben, dass unpersönliche digitale Lösungen zumindest aus heutiger Sicht in keiner Weise in der Lage wären, die klassische Beratung zu substituieren, gilt dies in den tieferen Segmenten nicht uneingeschränkt. Kunden, die einfach eine oder zwei Millionen Franken am Aktienmarkt veranlagen, überlegen sich zunehmend, ob sie dafür tatsächlich die eher teure UBS benötigen – ein einfacher Online-Broker genügt dazu auch.

Differenzierter betrachten

Das Agieren von Neo-CEO Hamers beim holländischen Finanzkonzern ING wird immer gerne als disruptiv bezeichnet und für die Bank mit der Kannibalisierung der eigenen Erträge in Verbindung gesetzt. Ein Blick zurück auf die von ING mit dem Stammgeschäft im Versicherungsbereich verfolgte Strategie im Bankenbereich ist aber differenzierter zu betrachten.

ING basierte die Online-Strategie auf ein sehr reduziertes Retail-Angebot, das mit attraktiven Konditionen versehen über einen kostengünstigen neuen Kanal vertrieben wurde. Dabei wurden aber in Wahrheit nicht so sehr die eigenen Erträge von ING kannibalisiert, sondern vielmehr die Cash-Cows (Einlagengeschäft) von Konkurrenzbanken. Zudem wurden damit Märkte und Kundensegmente angepeilt, die bisher gar nicht so sehr im Fokus von ING standen.

Zusätzliche Ertragsquellen

Die Strategie war in Wahrheit vor allem für die Konkurrenz disruptiv und brachte für ING zusätzliche Ertragsquellen, die bis zu dem Zeitpunkt unerreichbar gewesen wären. Nehmen wir also an, Hamers würde genau diese Strategie bei der UBS umsetzen wollen. Die dementsprechende Strategie für die UBS würde demzufolge lauten, eine einfache, aber globale Wealth-Management-Plattform anzubieten, in Teilmärkten in denen die UBS heute noch gar keine oder nur wenige Kunden hat. Damit wären die tieferen Kunden-Segmente, also der Affluent- oder HNWI-Bereich, angesprochen.

Die Gefahr der Kannibalisierung wäre zweifelsohne vorhanden, aber limitiert. Denn wer heute bei der UBS Kunde ist, hat eine Präferenz für persönliche Beratung und gehört nicht zwingend zur klassischen Zielgruppe einer solchen rein digitalen Plattform. Es sind eher zukünftige Kunden-Generationen im Wealth Management und besonders Tech-Affine-Kunden, welche bereits heute digitale Angebote nutzen. Da aber die UBS weltweit betrachtet ausserhalb der Schweiz und den USA lediglich Marktanteile im Affluent Segment im tiefen einstelligen Bereich besitzt, ist die Gefahr der Kannibalisierung der eigenen Kundschaft gering.

Digitaler Massenmarkt

Das Potential, in diesen Segmenten Kunden von anderen Banken zu gewinnen, ist um ein Vielfaches grösser. Es würde sich allenfalls eher die Frage der Markenkannibalisierung ergeben, da die Exklusivität der Marke für die Superreichen dieser Welt in Frage gestellt würde, wenn die UBS in den digitalen Massenmarkt einsteigt.

Doch schon heute spricht ja zum Beispiel in der Schweiz die UBS mit der gleichen Marke sowohl den Kleinkunden wie auch die Reichsten an – also kein so gravierendes Problem.

Suche nach kongenialem Partner

Könnte die UBS ein dermassen gigantisches Projekt einer globalen digitalen Vermögensverwaltungs-Plattform stemmen? Hier kommt die zweite mögliche neue strategische Komponente ins Spiel, welche Hamers in die strategischen Denkmuster der Bank einbringen könnte. Würde man das heutige Geschäftsmodell der UBS im Silicon Valley neu denken, würde man sicherlich in der Dimension eines grösseren globalen Ökosystems denken, indem ein Netzwerk von Partnerschaften zentral ist.

Zu denken wäre hier beispielsweise an den Ansatz den Facebook bei der neuen digitalen Währung Libra verfolgt, bei dem sich rund um einen Anbieter ein Konsortium von Big-Player versammelt. Wer wären also der kongeniale Partner der UBS, um eine solche globale digitale Plattform auf die Beine zu stellen?

Strategische Vision

An dieser Stelle ist anzumerken, dass es bemerkenswert ist, dass bisher noch kein Anbieter diesen Anspruch gestellt hat, nämlich beispielsweise zu der europäischen oder sogar globalen digitalen Plattform für Vermögensverwaltung zu werden.

Es würde ja eigentlich auf der Hand liegen, eine solche strategische Vision zu entwickeln. Da nützen auch nicht alle regulatorischen Vorbehalte die jedem Banker nun in den Sinn kommen werden, warum das nicht gehen soll. Schliesslich ist eine UBS schon heute in mindestens 50 Ländern weltweit tätig – regulatorische Hürden sind überwindbar.

Lieber Alibaba als Goldman

Wenn sich die UBS Kooperationspartner einfach wünschen könnte oder gar unlimitiert Kapital für eine Übernahme zur Verfügung hätte, welches Unternehmen würde es morgen kaufen oder sich daran beteiligen? Goldman Sachs, Google oder Paypal? Alles sicherlich attraktive Kandidaten, welche aber für sehr gegensätzliche Strategien stehen würden.

Ein Goldman-Sachs-Deal wäre die Verfolgung einer der traditionellen Bankenwelt verpflichteten Strategie. Ein Bigtech-Deal wäre hingegen eine visionäre und tatsächlich disruptive Idee. Besser als Google und Co. wäre aber entlang dieser Linie gedacht eine Kooperation mit Alibaba beziehungsweise mit dem Finanzarm des Techgiganten, Ant Financial, dessen IPO aufgeschoben, aber wohl nicht aufgehoben ist.

Bereits unerreichbare Kapitalisierung

Selbstverständlich bleibt dies im Bereich der Traumvorstellungen, da die Marktkapitalisierung von Ant Financial bereits unerreichbar ist (300 Milliarden Dollar gegenüber 45 Milliarden Franken der UBS). Ant Financial zeigt aber, wohin das Massenkundengeschäft im Banking sich in den kommenden Jahren bewegen könnte, und wie in Verbindung dazu sich Anlagegeschäfte (vorerst im Mass- und Affluent-Markt) mitentwickeln könnten.

Die erste Reaktion klassischer Banker wäre nun wahrscheinlich gleich abzuwinken. Völlig irrealistischer Gedankengang, abwegig, völlig andere Kunden, völlig anderes Geschäft. Ok, dann drehen wir es einfach um. Was wenn Ant Financial zum Beispiel eine enge Kooperation mit Blackrock oder Goldman Sachs ankündigen würde?

Gigantische Möglichkeiten

Auch eine Übernahme wäre finanziell im Übrigen kein Problem, die Marktkapitalisierung von Ant Financial ist bei weitem höher als von Blackrock und Goldman Sachs zusammen. Würde man sich da als UBS tatsächlich keine Sorgen über eine solche Transaktion der globalen Konkurrenz machen? Kaum vorstellbar, dass man dies strategisch nicht als alarmierend betrachten müsste. Eben.

Die Skalierungsmöglichkeiten einer rein digitalen Wealth-Management-Plattform wären gigantisch. Und wenn Hamers den Ansatz vertritt, «bevor es jemand anders macht, machen wir es selber», dann erscheint es nicht mehr ganz so abwegig für die UBS, in diese Richtung zu denken.

Mehr Sillicon Valley und weniger Paradeplatz

Hamers’ angebliches Flair für Zahlen kommt von seinem Studium der Ökonometrie. Schon einmal brachte ein UBS-Chef mit Ökonometrie-Studium – Marcel Rohner – die Bank an den Rand der «endgültigen Disruption» – 2008 wäre die UBS fast untergegangen. Diesmal agiert die UBS sicherlich aus einer ganz anderen Position. Die Bank ist heute gut geführt und generiert stabile Erträge.

Doch dies wird auf lange Sicht nicht genügen, um dem Aktienkurs Flügel zu verleihen. Das erkennt Hamers in den aktuellen Zahlen der Bank, und dafür hat man sicherlich auch nicht einen CEO wie ihn ernannt. Sobald sich der Staub der Corona-Pandemie gelegt haben wird, werden Pläne und Initiativen, die zurzeit aufgrund der globalen Unsicherheit ruhend gestellt werden, wieder in Angriff genommen. Es ist eine hohe Aktivität im Bankensektor zu erwarten. An Innovation und Visionen fehlt es schon heute in der UBS nicht.

Neue Märkte und Partnerschaften

Was fehlt, ist die mutige Entscheidung, aus den vielen durchaus erfolgreichen Versuchsballonen ein gesamtes Ganzes zu bilden und dieses dann mit unternehmerischer Überzeugung gross auszurollen. Disruption im eigentlichen Sinne des Wortes wird es bei der UBS auch unter Ralph Hamers vermutlich nicht geben.

Aber die Umsetzung einer Strategie, die neue Märkte und Partnerschaften erschliesst und dabei gross denkt, wie dies in der DNA des Silicon Valley steckt, würde der Ambition der Nummer eins der Branche und nicht zuletzt auch dem Schweizer Finanzplatz gut stehen.


Teodoro Cocca 503

Teodoro D. Cocca ist seit 2006 Professor für Asset und Wealth Management an der Johannes Kepler Universität Linz. Davor war er einige Jahre bei der Citibank sowohl im Investment- als auch im Private Banking tätig, forschte an der Stern School of Business in New York und lehrte am Swiss Banking Institute in Zürich. Zudem ist der Schweizer mit italienischen Wurzeln assoziierter Professor für Private Banking am Swiss Finance Institute (SFI) in Zürich und beratend für Finanzunternehmen und Behörden im In- und Ausland tätig. Von 2011 bis 2020 war er Mitglied des Verwaltungsrats der VP Bank in Vaduz und leitete dort den Strategie- und Digitalisierungsausschuss. Er schreibt als Kolumnist regelmässig für finews.ch.

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