Der frühere Credit-Suisse-Banker Rolf Bertschi zählt weltweit zu den angesehensten Spezialisten der Technischen Analyse. Er sah die Finanzkrise kommen und den Bitcoin-Crash. Wie schaffte er das?


Herr Bertschi, lässt sich die Technische Analyse auch beim Bitcoin-Kurs anwenden?

Ja, weil jedes Finanzinstrument, das Anleger handeln, fortlaufend Muster und Trends aufweist. Je mehr Leute damit handeln, umso besser, weil sich dadurch genauere Werte ergeben. Höhere Volatilität ist ebenfalls aussagekräftiger.

Schwierig wird es erst, wenn die Umsätze gering sind. Aber das ist beim Bitcoin nicht der Fall, da diese Währung absolut flüssig ist und die Kursentwicklung sehr stark von Stimmungen geprägt wird – was wir in den vergangenen Monaten besonders gut beobachten konnten.

Bitcoin hat allerdings keinen unterliegenden Wert wie Gold. Die existierenden Kryptowährungen sind reine Spekulationsobjekte. Erschwert das die Technische Analyse nicht?

Nein. Auch Aktien repräsentieren im Prinzip einen fiktiven Wert respektive die Kursfantasien der Anleger. Wenn Sie beispielsweise eine IBM-Aktie erwerben, kaufen Sie ja kein Papier oder ein Zertifikat, wie das bei einem Kunstwerk der Fall ist. Darum spielt es auch keine Rolle, ob der Bitcoin einen unterliegenden Wert hat oder nicht.

«Beim Bitcoin – und anderen Kryptowährungen – weiss man explizit, dass nichts dahinter ist»

Kommt hinzu, dass man beim Bitcoin – und bei anderen Kryptowährungen – explizit weiss, dass nichts dahinter ist. Trotzdem kaufen und verkaufen die Anleger dieses Finanzprodukt. Sie tun das in der Annahme oder Hoffnung, dass der Preis weiter steigen wird.

Ist das nicht absolut blauäugig?

Hier zeigt sich am krassesten, dass Preisveränderungen die treibende Kraft sind, damit sich Anleger von ihrer eigenen Stimmung und Befindlichkeit leiten lassen und am Ende kaufen oder verkaufen.

Sagt Ihnen die Technische Analyse auch, dass sich im Bitcoin-Preis nun eine riesige Blase gebildet hat?

Ja, allerdings ist das immer so eine Sache. Wenn man den Bitcoin-Kurs logarithmisch betrachtet, so hat man einen schönen Aufwärtstrend, der nicht so steil verläuft, wie wenn man den Preis absolut darstellt.

Was bedeutet logarithmisch?

Bei einem logarithmischen Chart stellen Sie die Kursveränderung prozentual dar: Die Distanz von 100 auf 200 ist folglich gleich gross wie diejenige von 200 auf 400 und dann auf 800. Demgegenüber ist ein absoluter Chart mit der gleichen Kursentwicklung viel steiler.

Was folgern Sie daraus?

Eine Blase sieht man nur im absoluten Chart, dann, wenn der Kursverlauf fast senkrecht ist. Dann weiss man, es braucht so und so viele neue Investitionen, um diese Entwicklung weiterzutreiben. Aber irgendwann ist das ausgeschöpft. Dann kommt es zu einem Rückschlag. Man darf sich allerdings auch da nicht täuschen lassen.

Wie meinen Sie das?

Nehmen Sie die Microsoft-Aktie. Aktuell meint man, der Titel gehe durchs Dach. Doch wenn man die ganze Geschichte seit den 1980er-Jahren kennt, relativieren sich die jüngsten Bewegungen.

«Wenn Sie das schon tausend Mal gemacht haben, bekommen Sie den Blick dafür»

Bei den Kryptowährungen glaube ich, dass wir in den vergangenen Monaten einen wahren Hype erlebt haben. Das fängt damit an, dass zunächst in den Nachrichten darüber berichtet wird, mit der Zeit immer häufiger, irgendwann dann täglich, so dass selbst der Friseur darüber spricht. Spätestens dann darf man sicher sein, dass der Kurs seinen Höhepunkt erreicht hat. Darauf folgt eine Korrektur.

Sie haben bereits im vergangenen Dezember den kürzlichen Einbruch am Bitcoin-Markt kommen sehen. Wie haben Sie das geschafft?

Als ich im vergangenen Jahr den Chart betrachtet habe, erkannte ich bestimmte Muster einer Überhitzung. Wenn Sie das schon tausend Mal gemacht haben, bekommen Sie den Blick dafür.

«Ich war dann selber sehr überrascht, wie genau meine Prognose war»