Beobachter von zwischenstaatlichen Verhandlungen sind sich das Szenario gewohnt: Niemand will nachgeben und alle drohen mit dem ultimativen Bruch. Beim Brexit sieht es nach einem vertragslosen Zustand aus, aber ist das letzte Wort dann schon gesprochen?

Wer kennt die Bilder nicht von grauen Gesichtern, die in endlosen Sitzungen über Formulierungen feilschen, welche sie dann, nach dem ganzen Gezeter und Geschrei ihrer Wählerschaft als Sieg verkaufen. Gerade die Schweizer sind es sich gewohnt, gestählt durch unzähligen Verhandlungsrunden in Brüssel. Seit geraumer Zeit (seit dem Volks-Ja zum Brexit im Jahr 2016) sind die britischen Unterhändler an der Reihe.

Selbst die grössten Optimisten müssen zugeben, dass es im Moment nach einem Austritt aus der EU ohne Freihandelsabkommen aussieht – «Hard Brexit», wie die rabiateren Populisten im Königreich es zu nennen belieben. Ein harter Brexit würde in der nahen Realität, also konkret ab Januar, Grossbritannien zu einer Wirtschaftszone ohne ein Handelsabkommen mit der EU machen. In einer solchen Beziehung gelten die Regeln gemäss Welthandelsorganisation (WTO).

Die Nervosität steigt in London

In der Londoner City ist das Bewusstsein für die anstehenden Veränderungen schon seit langem geschärft und die meisten Banken haben die Vorbereitungen für die Zeit nach dem finalen Austritt abgeschlossen. Der Verlust des Rechts, die Klienten in der EU aus Grossbritannien zu bedienen, steht seit längerem im Raum und die Banken haben entsprechend ihre Operationen ausgerichtet.

Trotzdem steigt die Nervosität bei den Bankern in der City, wie eine Umfrage von EY beweist. Von den 90 Top-Bankern, welche die Beratungsfirma am 3. Dezember befragte, zeigten sich 96 Prozent überzeugt, dass die City als Konsequenz eines Brexit ohne Abkommen schrumpfen werde. Die befragten Manager sind offensichtlich wenig begeistert über die Aussicht, nicht genau zu wissen, was der vertragslose Zustand mit sich bringen wird.

Das Balgen um die europäische Vorherrschaft

Was in London für Nervosität sorgt, mag auf dem Kontinent auch eine gewisse Schaden- und Vorfreude hervorrufen. Während London sich in seiner Position als europäischer Platzhirsch bedrängt sieht, balgen sich kontinentale Zentren um einen grösser werdenden Kuchen. Experten sehen die vier Städte Paris, Frankfurt, Brüssel und Amsterdam in der Pole Position als wichtigstes Bankenzentrum Europas.

Während nun die britischen Banker auf einer Seite schauen müssen, wie sie in Zukunft ihre Kunden in der EU bedienen wollen und können, und auf der anderen ihre Position als globales Zentrum von Finanzdienstleistungen hinterfragt sehen, wird es für die verarbeitende und die Primärindustrie auf der Insel zuerst einmal härter. Mit den WTO-Regeln gehen Zölle einher und mit den Zöllen verteuern sich die Endpreise von europäischen Produkten für die Konsumenten, die Preise für einzelne Bestandteile und die Preise von britischen Produkten in der EU.

Der «Grenadier» wird EU-Europäer

Es ist nicht weiter erstaunlich, dass die Gegner des Brexit und vor allem des harten Brexit gerade auch in der Konservativen Partei stark vertreten sind. Schliesslich dürfte das Geschäft der Firmen erst einmal unter den neuen Bedingungen leiden, zumal zu einem Zeitpunkt, wo die Pandemie sowieso schon dämpfend auf die Nachfrage wirkt.

Die jüngste Hiobsbotschaft kam vom Boss des Chemiegiganten Ineos, Jim Ratcliffe. Der Milliardär (er ist mit seiner Ineos Besitzer des schweizerischen Fussballclubs Lausanne-Sports) und Verfechter der Brexit hat beschlossen, den von ihm geplanten Nachfolger für den Land Rover Defender, genannt «Grenadier», nicht wie ursprünglich vorgesehen in Wales, sondern im ehemaligen Smart-Werk in Hambach fertigen zu lassen. Dies soll etwa 1'300 Jobs an der deutsch-französischen Grenze erhalten – und wird die Hoffnungen der Waliser entsprechend knicken.

Grenadier

Kilometer über Kilometer von Lastwagenstaus

Ganz unmittelbar erwarten aber sämtliche Beobachter, inklusive Regierung, Zollbehörden und Transportunternehmen, heftige Staus im Anschluss an die Grenzstationen in Frankreich und England, also in Südengland und entlang der französischen Kanalküste.

Sollte sich die Regierung von Boris Johnson und die EU tatsächlich nicht auf einen Anschlussvertrag einigen können, was angesichts der ohnehin schon sehr lang anhaltenden Zänkereien nicht erstaunen würde, stehen die Zeichen nicht auf Verlängerung, nicht auf Penaltyschiessen, sondern auf ein Wiederholungsspiel. Am Ende des Tages brauchen die europäischen Nationen ennet und diesseits des Kanals einen Handelsvertrag. Vielleicht kann ein solcher einfacher aufgesetzt werden, wenn der Balast der zerrütteten Beziehung abgeworfen wurde und die Menschen die mühseligen Auswirkungen eines gestörten Wirtschaftslebens am eigenen Leib erfahren haben.

 

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