Nach langen Monaten der physischen Distanz will der Zürcher Finanzplatz nun durchstarten. Zumindest in einem sind sich die Akteurinnen und Akteure einig. Doch es braucht mehr.

Die Schweizer Finanzbranche hat die Corona-Pandemie unerwartet gut überstanden und meldet inzwischen sogar Rekordgewinne für das erste Semester 2021, wie auch finews.ch diese Woche berichtete.

Trotzdem haben die vielen Einschränkungen der vergangenen 16 Monate die geschäftlichen Aktivitäten auch auf dem Zürcher Finanzplatz stark beeinträchtigt. Insbesondere der reale, sprich physische Austausch blieb auf der Strecke.

Zürichs grösster Joker

Vor diesem Hintergrund haben sich am (gestrigen) Mittwoch erstmals seit langem wichtige Vertreter aus Politik, Wirtschaft und insbesondere aus der Finanzbranche zusammengetan, um mit einer Auslegeordnung Perspektiven für «die Zeit danach» zu entwerfen. Organisiert wurde der «hybrid» durchgeführte Anlass «Gemeinsam für Zürich» von der Schweizer Börsenzeitung «Finanz und Wirtschaft».

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(Bild: fuw-forum)

Perspektiven sind dringend nötig, zumal der Finanzplatz Zürich nicht nur 92'000 Personen Arbeit bietet, sondern auch ein Viertel zur Wertschöpfung des Kantons Zürich beiträgt. So gesehen ist die Finanzbranche der «grösste Joker», den Zürich zu bieten hat, lautete der einhellige Tenor, sowohl linker als auch bürgerlicher Politikerinnen sowie der Finanzbranche, angeführt von Herbert Scheidt, Präsident der Schweizerischen Bankiervereinigung.

Stadt der kurzen Wege

Selbst die sozialdemokratische Stadtpräsidentin Zürichs, Corinne Mauch (Bild oben, auf der Bühne links), zeigte sich erstaunlich konziliant in Bezug auf die Anliegen der Branche und lobte dabei die im Gegensatz zu London oder New York sehr «kurzen Wege» in der Stadt, was den Dialog zweifelsohne vereinfache.

Dass Innovation gefördert werden müsse, um die Attraktivität des Zürcher Finanzplatzes international zu steigern, darüber waren sich die Anwesenden einig. Bloss, was braucht es dazu? Der Staat müsse verstärkt zum «Enabler» werden, damit sich die Wirtschaft nach der Krise rasch weiterentwickeln könne, erklärte Monika Bütler (Bild unten), Ökonomin und Hochschulprofessorin. Damit meinte sie, dass der Staat für vorteilhafte Rahmenbedingungen sorgen müsse.

Tiefe Einkommenssteuern wichtig für Spitzenleute

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(Bild: fuw-forum)

Interessanterweise wies Bütler darauf hin, dass für die Innovationskraft eines Landes oder einer Region weniger die viel zitierte Unternehmenssteuer zentral sei. «Die Einkommenssteuer hat eine viel grössere Wirkung auf die Innovation eines Landes, erklärte Bütler, weil diese Steuer entscheidend sei, ob sich Fachleute aus dem Ausland hierzulande niederliessen – und so zur Innovation beitragen. Gar nicht vorteilhaft sei auch die (hohe) Besteuerung von Zweitverdiensten. Das halte vor allem viele fachlich hochqualifizierte Frauen davon ab, nach einer Auszeit beruflich wieder tätig zu werden.

Vor diesem Hintergrund stellte UBS-Schweiz-Chefin Sabine Keller-Busse, fest, dass sich der «War for Talents» in einen «War for Experience» gewandelt habe, was es umso wichtiger mache, über ein attraktives Steuersystem zu verfügen.

Digitale CVs eingeführt

Ein weiterer wichtiger Innovationsfaktor ist der Umgang mit der Digitalisierung, wie sich am Mittwoch weiter zeigte. Die Adaption von allem Digitalen habe in der Coronakrise einen Quantensprung vollzogen, sagte Keller-Busse. Technologie sei nun Teil von allem.

Unter diesen Prämissen habe die UBS für alle ihre Mitarbeitenden einen sogenannten digitalen CV eingeführt, der es ihnen online ermögliche, Lehrmodule zu belegen, um mehr über die Digitalisierung und deren Anwendungsmöglichkeiten zu erfahren – «bis hin zum Coding», wie Keller-Busse betonte. Vereinfacht gesagt meinte sie damit das Programmieren, was etwa in Singapur bereits an den Schulen gelehrt würde. «Wir müssen unsere (Aus- und Weiterbildungs-)Formate überdenken, folgerte die UBS-Kaderfrau.

Mit Unsicherheiten leben

Singapur erwähnte auch Vontobel-Chef Zeno Staub, als es um die Frage ging, welche Auswirkungen das gekippte Rahmenabkommen mit der EU auf die Schweiz haben werde. Er forderte die Schweiz oder zumindest die Schweizer Wirtschaft auf, sich von der «eurozentristischen Fixierung» endlich zu lösen und verstärkt global zu denken. «Wir sollten uns nicht mit Brescia oder Lille messen, sondern mit Singapur, Hongkong und New York», erklärte Staub.

Ohne Rahmenabkommen müssten die Schweizerinnen und Schweizer lernen, mit der damit verbundenen Unsicherheit zu leben, insbesondere angesichts der Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit einzelnen Abkommen mit der EU, ergänzte Keller-Busse. Allerdings verwies sie auch darauf, dass die Schweiz schon immer eine grosse Flexibilität an den Tag legte, sich mit der EU zu einigen. Zuletzt sei dies beim Wegfall der EU-Börsenäquivalenz der Fall gewesen, als die Schweiz eine eigene Lösung gefunden habe, so dass keine Einbussen zu verzeichnen waren.

Wie lange?

Über den Tellerrand hinaus zu denken, war insofern ein zentrales Thema an dieser Veranstaltung, weil es als Neustart für den Zürcher Finanzplatz gedeutet werden kann. So viel öffentliche Einigkeit zwischen Politik und Wirtschaft wie am Mittwoch gab es tatsächlich schon lange nicht mehr zu sehen und zu hören. Ob diese auch dann noch fortbestehen wird, wenn der Courant normal wieder eingetreten ist, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.

 

 

 

 

Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.26%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
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  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
    14.93%
  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.27%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.78%
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