Der Schweizer Finanzplatz ist ein eigentliches Relikt aus dem Kalten Krieg. Mit dem Ukraine-Krieg kommt dieses Bild aber in Bewegung, und viele Bankkundinnen und -kunden aus dem Ausland fragen sich nun verunsichert: wie steht es mit der Neutralität der Schweiz? Eine Bestandesaufnahme.

Es ist ein Thema, über das die Banken nicht gerne sprechen. Dabei geht es um nichts weniger als die Reputation des Schweizer Finanzplatzes. Seit die Schweiz die EU-Sanktionen gegen Russland unerwartet rasch übernommen hat, wächst die Besorgnis vieler ausländischer Kundinnen und Kunden, die hierzulande eine Kontobeziehung haben. Sie fühlen sich verunsichert und befürchten, dass der Bundesrat künftig auch gegen andere Staaten Sanktionen verhängen könnte.

Tatsächlich hat die Schweiz mit der vollen Übernahme ausländischer Sanktionen gegen Russland ihre politische Neutralität – wie wir sie bisher gekannt haben – aufgegeben. Auch das ist eine Zeitenwende, um einen in jüngster Zeit arg strapazierten Begriff ebenfalls noch zu bemühen. Allerdings geht es hier nicht darum, eine Debatte über die Schweizer Neutralitäts-Politik zu führen, sondern einzig um die Frage, ob ausländische Kundinnen und Kunden, die bislang ihr Geld vertrauensvoll in unser Land gebracht haben, es auch in Zukunft tun werden.

Besorgte Lateinamerikaner

Zweifel sind angebracht. «Natürlich sind ausländische Kundinnen und Kunden nun verunsichert», bestätigt Patrick Stauber, Group CEO von Marcuard Heritage, einem grossen Schweizer Vermögensverwalter, der global tätig ist. Rückfragen kämen nicht nur aus Osteuropa, sondern auch von lateinamerikanischen Kundinnen und Kunden.

Gerade für diese Klientel war die Schweiz in der Vergangenheit der «sichere Hafen» par excellence; nicht, um Steuern zu hinterziehen, sondern um einen Teil des eigenen Vermögens in einem sicheren, stabilen Land zu wissen, wo auch die finanzielle Privatsphäre noch geachtet wird. Gerade diese Perzeption könnte in Zukunft leiden.

Alternativen zum Schweizer Finanzplatz

Zur Schweiz gibt es im aktuellen Kontext auch mindestens zwei valable Alternativen: Zum einen die USA, wo sowohl ein gut ausgebautes Finanzsystem existiert als auch der Rechtsrahmen und die politische Sicherheit gegeben sind. Vor allem jüngere Kundinnen und Kunden aus Lateinamerika, deren Eltern noch vollständig auf die Schweiz setzten, orientieren sich zunehmend nach Miami.

Insofern ist es kein Wunder, dass beispielsweise die Schweizer Privatbank Julius Bär periodisch eine Präsenz auf diesem US-Finanzplatz prüft, wie Julius-Bär-CEO Philipp Rickenbacher unlängst auch in einem Interview mit finews.ch einräumte.

Effizientes Finanzsystem in der Wüste

Zum andern dürfte die Finanzdrehscheibe Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten profitieren, wie auch die britische Wirtschaftszeitung «Financial Times» (Artikel hinter Paywall) kürzlich feststellte. Diese Destination verfügt ebenfalls über ein effizientes Finanzsystem und gilt aufgrund des zwar autokratischen, aber für dortige Verhältnisse eher aufgeschlossenen Regimes als zuverlässig. Gute Flugverbindungen, keinerlei politische Instabilitäten sowie eine für vermögende Menschen vielseitige Ferien- und Freizeit-Infrastruktur tragen zusätzlich zur Attraktivität des Standorts bei.

Zwar haben die Schweizer Werte, die den hiesigen Finanzplatz auszeichnen, nach wie vor ihre Berechtigung. Doch es kommen inzwischen weitere Qualitäten hinzu.

Cyber-Krieg als neue Bedrohung

Eine zentrale Herausforderung in diesem Kontext ist die Datensicherheit – gerade vor dem Hintergrund der jüngst von einem internationalen Journalistennetzwerk veröffentlichten «Suisse Secrets»-Papiere. Dabei geht es weniger um die Frage, ob die Credit Suisse (CS) über Jahrzehnte zweifelhafte Kundinnen und Kunden bedient hat, als vielmehr, wie es überhaupt möglich war, dass der CS Tausende von vertraulichen Kundendaten entwendet werden konnten.

Und da der Krieg in der Ukraine auch ein heftig ausgefochtener Cyber-Krieg ist, dürfte vor allem die Frage nach der hiesigen Datensicherheit über die künftige Reputation des Schweizer Finanzplatzes entscheiden.

Falsche Vorgehensweise

Dass sich viele ausländische Kundinnen und Kunden in diesen Tagen verunsichert bei ihren Banken melden, hängt ebenfalls mit der dramatischen Entwicklung an den Finanzmärkten zusammen. Viele Aktienkurse sind bereits seit Anfang 2022 regelrecht eingebrochen. Doch für einen Wiedereinstieg ist die geopolitische Situation noch allzu fragil oder gar konfus.

«Der Krieg in der Ukraine ist nicht zu Ende, und eine Ausweitung der Sanktionen ist jederzeit möglich. Jetzt zu kaufen, um dann bei neuerlichen Turbulenzen wieder zu verkaufen, ist die falsche Vorgehensweise. Sie warten besser, bis sich die Lage transparenter abschätzen lässt als heute und nehmen in Kauf, einen Teil der Erholung an den Aktienmärkten zu verpassen», bringt es Thomas Stucki, Investmentchef bei der St. Galler Kantonalbank, auf den Punkt.

Immer unpolitisch

«Die Kundenbetreuung ist in Zeiten fallender Börsenkurse umso wichtiger», stellt ein Sprecher der Privatbank Pictet fest. Unsere Kundenberater sind mit ihrem Kunden jetzt intensiv im Kontakt für die Besprechung ihrer Portfolios und für ein allfälliges «Rebalancing». Und sie (die Kundenberater) seien in den Kundengesprächen immer unpolitisch, betont der Sprecher. Wichtig sei, wie sich der Schweizer Staat in Zukunft verhalte, und wie sich die Situation weiterentwickle.

Obschon es nicht das erste Mal ist, dass der Bundesrat Sanktionen verfügt hat, haben die jüngsten Massnahmen noch kaum je so hohe Wellen im In- und Ausland geschlagen.

Prinzipien der Neutralität klären

Tatsächlich sind die anhaltend bedrohlichen Kriegsereignisse noch immer für viele Menschen unfassbar. Selbst der frühere Privatbankier und heutige «Nebelspalter-Präsident» Konrad Hummler kommt in seiner Einschätzung vom vergangenen Wochenende überraschend zum Schluss: «Inwieweit in diesem Zusammenhang die Prinzipien der Neutralität noch sinnvoll bleiben können, muss geklärt werden.»

Der Schweizer Finanzplatz ist ein Relikt aus dem Kalten Krieg. Aus einer Zeit, in der die Schweiz eine Sonderrolle spielte – neutral, sicher und selbstbewusst. Alle diese Tugenden haben sich spätestens im Kontext der russischen Invasion fast über Nacht relativiert. Sie sind zwar immer noch gültig, doch neue Werte und Denkweisen sind hinzugekommen.

Bundesrat entscheidet

Diese Erfahrung machte man in diesen Tagen unter anderem bei der Zürcher Privatbank Julius Bär. «Am meisten Fragen kamen noch vor der Verhängung der Sanktionen», erklärt ein Sprecher des Hauses.

Die Kundinnen und Kunden wollten wissen, wann sich Julius Bär den Sanktionen anschliessen würde. Dies im Sinne der westlichen Solidarität mit der Ukraine. Dabei sind es nicht die Banken, die Sanktionen beschliessen. Solche Massnahmen beruhen auf Beschlüssen des Bundesrats», so der Sprecher weiter. 

Segen und Flucht zugleich

Dass solche Sanktionen Segen und Fluch zugleich sind, wissen die Schweizer Banken am besten. Mit der ihnen eigenen Gewissenhaftigkeit werden sie ihre Kundenstämme mit den Sanktionslisten abgleichen und damit einmal mehr eine internationale Vorreiterrolle spielen.

Allerdings ist dies auch ein Balanceakt, bei dem sie am Ende des Tages fast nur verlieren können. Egal, ob ihnen ein sanktionierter Kunde entgeht, oder sie allzu übereilt einen letztlich unbescholtenen Russen sanktionieren, in beiden Fällen droht am Ende ein Reputationsproblem.

 

 

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