Die Bundesrätin und die Diversität: Ein Blick in den Spiegel

Elisabeth Baume-Schneider zeigt sich enttäuscht darüber, wie rasch Unternehmen ihre Diversitätsprogramme zurückgefahren haben. Dass ein Mitglied der Landesregierung diesen Vorwurf erhebt, entbehrt allerdings nicht einer gewissen Ironie – besonders wenn man an die vielen für den Schweizer Finanzplatz wichtigen Fälle denkt, bei denen der Bundesrat sein Fähnlein nach dem Wind aus dem Westen ausgerichtet hat.

Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider zeigt sich besorgt über die Auswirkungen demokratischer Entscheide auf den Sprachgebrauch. «Die Wahl des US-Präsidenten hat etwa zu einer gewissen Enthemmung der Sprache geführt», hält sie in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» fest.

Mit den Machtwechseln in den USA und anderswo werde der Wert einer diversen Gesellschaft infrage gestellt, erklärt die Vorsteherin des Eidgenössischen Departements des Inneren (EDI). «Wir müssen jetzt wachsam sein, dass es nicht auch in der Schweiz zu Rückschritten kommt.»

«Plötzlich weniger offen für Diversität»

Zudem zeigte sich Baume-Schneider beunruhigt über Unternehmen, «die sich plötzlich weniger offen für Diversität zeigen». Es sei überraschend und enttäuschend gewesen, wie schnell die Diversitätsprogramme eingestellt worden seien.

In der Tat haben nach dem Regierungswechsel in den USA auch hierzulande einige grosse Unternehmen, darunter Banken und Versicherungen, ihre  Programme zur Förderung der Vielfalt (Diversity), der Gleichstellung (Equity) und des Einbezugs (Inclusion) ihrer Belegschaft – auch unter dem Kürzel DEI bekannt – zurückgefahren.

Diversität versus Meritokratie?

Man kann das bedauern, wie es die Bundesrätin tut. Sie begreift die Unternehmen als «ein soziales Ökosystem, das Teil der gesamten Gesellschaft ist, die deshalb eine Verantwortung tragen». Sie dürfte damit auch den vielen Akteurinnen und Akteuren, die im Segment der nachhaltigen Anlagen wirken, aus dem Herzen sprechen. Diese vertreten oft mit viel innerer Überzeugung (aber relativ wenig belastbarer Evidenz) die These, wonach mehr Diversität namentlich in den Leitungsgremien die Leistung und damit auch den Wert eines Unternehmens verbessert.

Unabhängig davon, ob es wirklich Aufgabe von Unternehmen ist, die Diversität voranzutreiben oder ob sie sich nicht doch eher am Leistungsprinzip und damit an der Meritokratie orientieren sollen; die Verblüffung der Bundesrätin darüber, wie rasch die bis vor kurzem vor allem von Banken und Versicherungen ins Schaufenster gestellten Programme zurückgestutzt werden, kann man durchaus teilen.

Multis dürfen nicht allzu wählerisch sein

Auf der anderen Seite zeichnen sich erfolgreiche international tätige Unternehmen genau dadurch aus, dass sie sich rasch an Veränderungen, auch im regulatorischen Umfeld, anpassen. Multis, um für einmal kurz nach dem Arbeitersonntag diesen etwas klassenkämpferisch angehauchten Begriff zu verwenden, können sich gar keine besondere Prinzipientreue leisten, zumal wenn es um so wichtige Märkte wie die USA geht.

Ganz abgesehen davon, ob sie ihre DEI-Programme seinerzeit mit innerem Feuer lanciert haben oder einfach aus dem Grund, nicht negativ auffallen zu wollen: Das Umfeld hat sich gewandelt, und die Unternehmen wandeln sich mit.

Wer im Glashaus sitzt…

Dieses wenig heroische, aber durchaus pragmatische Verhalten sollte auch einem Mitglied der Landesregierung nicht ganz fremd sein. Die Liste der Entscheide, die der Bundesrat in den letzten Jahrzehnten auf Druck der USA fällen (zu glauben) musste, ist ziemlich lang, speziell im Bankensektor.

Stichworte dazu sind etwa der Disput um die nachrichtenlosen Vermögen im Zweiten Weltkrieg (mit den Goldverkäufen der Nationalbank als «Kollateralschaden»), die Lieferung von UBS-Kundendaten an die US-Steuerbehörden und damit die Preisgabe des Bankgeheimnisses für ausländische Kunden, der Untergang der Bank Wegelin, die kostspieligen Vergleiche im Zusammenhang mit der Regelung des US-Steuerstreits (samt der entsprechenden problematischen Empfehlung des damaligen Finma-Direktors Patrick Raaflaub an die Banken), die Zusammenarbeit bei der Umsetzung der Steuergesetzgebung Fatca usw.

Das Fähnlein im Wind – oder den Strauss ausfechten?

Dazu kommen Fälle, in denen amerikanischer Druck auf die Schweiz zumindest vermutet werden kann, wie bei der Übernahme der Sanktionen gegen Russland oder bei der Rettung der Credit Suisse.

Mit anderen Worten: Nicht nur die Unternehmensleitungen richten ihr Fähnlein nach dem Wind. Die Kunst, sowohl für Manager als auch für Politiker, besteht allerdings nicht nur darin, sich rechtzeitig anzupassen. Manchmal kann es aus übergeordneten Gründen auch notwendig sein, einen Streit durchzufechten, selbst gegen eine mächtige Gegnerin wie die USA. Für die meisten Manager ist klar: Die DEI-Programme gehören definitiv nicht in diese Kategorie.