Das Lavieren der Credit Suisse im Skandal um die Greensill-Fonds offenbart, dass an der Spitze der Bank ein Machtvakuum entstanden ist. Der künftige CS-Präsident António Horta-Osório steht vor einer Herkules-Aufgabe, die er sich wohl kaum so vorgestellt hat.

Als Severin Schwan vor gut zwei Jahren zum Schluss kam, dass der nächste Präsident des Verwaltungsrats der Credit Suisse (CS) zuvor eine Bank geführt haben musste, war Ulrich Körner aus dem Rennen für diesen Posten. Offensichtlich wollte Schwan in seiner Funktion als Vorsitzender des Nominationsausschusses der CS nicht denselben Fehler wiederholen, den die Bank schon einmal begangenen hatte: Nämlich, als sie 2010 einen Juristen ins Präsidentenamt hatte hieven wollen.

Damals war die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) schnurstracks eingeschritten und hatte verlangt, dass sich der designierte Urs Rohner mindestens ein Jahr im Verwaltungsrat zu bewähren hätte, bevor er zur Präsidentenwürde greifen könne. Ihm fehlte angeblich die erforderliche Bankerfahrung. Als Übergangspräsident sprang seinerzeit der 2012 verstorbene Hans-Ulrich Doerig ein, einer der fähigsten und loyalsten Manager, den die CS je hatte.

Leeres Versprechen

Dass der frühere CS- und später auch UBS-Kadermann Körner aufgrund von Schwans Entscheidung nicht zum Zug kam, war vor allem für Rohner peinlich. Denn dieser hatte Körner – zwar nur mündlich – versprochen, ihn als Nachfolger zu portieren.

Aus diesem Grund hatte Körner die UBS verlassen, wo er drauf und dran war, die Früchte seiner Arbeit als Leiter im Asset Management zu ernten. Denn die Sparte war auf die Erfolgsstrasse zurückgekehrt. Das war der Erfolg, auf den Körner lange genug hatte warten müssen, dermassen lange, dass ihm der Ruf vorausgeeilt war, ein Ankündigungsminister zu sein.

Mit Schwans Absage an Körner meldete sich Rohner im Findungsprozess um seinen Nachfolger vollends ab, so dass der Verwaltungsrat unter eher suboptimalen Voraussetzungen einen neuen Präsidenten suchen mussten. In der Regel unterstützt der scheidende Amtsinhaber die Bestrebungen des Aufsichtsgremiums.

Akzentuiertes Machtvakuum

Diese schwierige Konstellation erklärt denn auch, weshalb sich die Suche nach einem geeigneten Kandidaten dermassen in die Länge zog und erst knapp sechs Monate vor dem Amtswechsel in der Ernennung des Portugiesen António Horta-Osório, kurz auch AHO genannt, gipfelte.

Die Findungsprozess verlief dermassen diskret, dass selbst CEO Thomas Gottstein nie wirklich involviert war, wie er im vergangenen Jahr im kleinen Kreis einräumte. So hat sich – eher ungeplant – ein eigentliches Machtvakuum gebildet, das mit dem vor wenigen Wochen ausgebrochenen Greensill-Skandal recht eigentlich akzentuiert wurde.

Mischung aus Hilflosigkeit und Verärgerung

Anders lässt sich das Lavieren der CS in dieser überaus heiklen und vermutlich höchst kostspieligen Angelegenheit nicht deuten. Vom Verwaltungsrat ist in dieser Sache überhaupt nichts zu hören, während CEO Gottstein, nach langem Zögern, inzwischen in einer Mischung aus Hilfslosigkeit und Verärgerung den Investorinnen und Investoren sowie den Stakeholdern laufend neue Veränderungen und Umstrukturierungen innerhalb seiner Bank unterbreitet, die an seiner derzeitigen Überforderung keinen Zweifel lassen.

Zunächst hielt er an dem Bereich, das der internationalen Vermögensverwaltung (IWM) untergeordnet war, fest, dann rollten erste Köpfe; kurz darauf hiess es, das Asset Management werde künftig als eigenständige Sparte geführt, und neuerdings ist davon die Rede, die Sparte in einer eigenen Holding abseits der Bank zu führen.

Man muss Gottstein immerhin zugutehalten: Wer konnte schon ahnen, dass die CS ausgerechnet durch ein bislang marginales Geschäft wie die Lieferketten-Finanzierung dermassen in die Bredouille geraten könnte? Mittlerweile gehen die Schätzungen davon aus, dass die Schweizer Grossbank das Debakel im allerbesten Fall mit einem Abschreiber von 50 Millionen Franken abwickeln kann – im Super-Gau-Szenario beziffert sich der Ausfall dagegen auf bis zu 7 Milliarden Franken.

Ausschlaggebend wird sein, wie die CS gebeutelte Investoren und Kunden von Schadenersatzklagen abhalten oder ruhigstellen kann.

Fehlende Antwort

Vor diesem Hintergrund übernimmt Horta-Osório Ende April 2021 nach der Generalversammlung das Präsidium einer Bank, die vor Jahresfrist noch ganz anders ausschaute, und die sich nun in einer höchst labilen Verfassung befindet. Viele Top-Leute dürften nun primär damit beschäftigt sein, ihre Haut zu retten – allen voran die Risikochefin Lara Warner, die in der Gunst von Präsident Rohner stand.

Sie bleibt bis heute eine konzise Antwort schuldig, wann genau sie erstmals von den Unregelmässigkeiten in der Greensill-Angelegenheit erfahren, und wie sie darauf reagiert hat – oder eben nicht. Die CS liess unlängst verlauten, Warner hätte – «im Gegensatz zu bestimmten Berichten» – bis zum 22. Februar 2021 nicht gewusst, dass die Versicherung im Zusammenhang mit Greensill am 1. März 2021 ablaufen könnte. Im Gegensatz dazu erklärte Lex Greensill vergangene Woche selber laut Gerichtsdokumenten, dass er leitende Mitarbeitende der CS, darunter auch Warner, «in den Wochen» vor dem Insolvenzantrag am 8. März 2021 über den Versicherungsschutz der Fonds informiert hätte.

Hinterfragen und neu ausrichten

Es ist klar, dass Horta-Osório – im Gegensatz zum Juristen Rohner – das Mandat bei der CS übernommen hat, um die Bank zunächst kritisch zu hinterfragen und anschliessend strategisch neu auszurichten. Als bisheriger CEO der britischen Lloyds Bank, wo er immerhin einen Turnaround zustande brachte, ist er dazu befähigt.

Das wird auch dringend nötig sein, denn die erwähnten Revirements, die im Umfeld des Greensill-Skandals vollzogen wurden, gehorchen keiner nachhaltigen Logik, sondern sind Ad-hoc-Entscheide, um das Schlimmste abzuwenden. Oder anders formuliert: Es muss möglichst bald klar werden, was mit dem Asset Management geschieht.

Zum Verkauf herausputzen?

Unter diesen Prämissen ist Körner durchaus der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Zudem war die CS dem Manager etwas schuldig, nachdem sie ihn in der Rohner-Nachfolge unerwartet ins Leere hatte laufen lassen.

Aufgrund seiner Erfahrungen, die er im Windschatten des damaligen UBS-Chefs Oswald Grübel beim Turnaround der grössten Schweizer Bank 2009 gewann, bringt er nun sicherlich gute Voraussetzungen dafür mit, das Asset Management der CS wieder auf Kurs zu bringen – oder die Sparte für einen allfälligen Verkauf herauszuputzen – was durchaus eine Option ist, die Horta-Osório in seiner Generalüberholung der CS in Betracht ziehen muss. Verbleibt hingegen das Asset Management im Geschäftsmodell der Bank, braucht die CS über kurz oder lang einen jüngeren, dynamischeren CEO für diese Division.

Horta-Osórios grösste Blackbox zum Amtsantritt ist indessen Greensill, solange unklar ist, wie gross der Schaden ist, den die CS effektiv zu tragen hat. Im schlimmsten Fall könnte das sogar CEO Gottstein den Kopf kosten, ganz einfach, weil er der oberste operative Verantwortliche dieser Bank ist.

Valabler Lückenbüsser

Ähnlich erging es vor zehn Jahren dem damaligen UBS-Chef Oswald Grübel. Er übernahm die Verantwortung für die betrügerischen Spekulationen des UBS-Händlers Kweku Adoboli in London, obschon ihn damals keine direkte Schuld traf. Damit rettete er jedoch seine Reputation, was ihm bis heute zugute kommt.

Sollte Gottstein im weiteren Verlauf der Greensill-Affäre in Not geraten, wäre paradoxerweise Körner aufgrund seiner Erfahrung der naheliegende Lückenbüsser für diesen Job. Damit käme er über Umwegen doch noch zu seinem Ziel. Denn 2006 hatte er sich bereits als Nachfolger des abtretenden CS-Chefs Grübel empfohlen. Doch damals ging der Kelch an ihm vorbei. Man gab dem Amerikaner Brady Dougan den Vorzug. Der Rest ist Geschichte.

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