Die Credit Suisse hat bezüglich Risikomanagement zu wenig Lehren aus der Finanzkrise gezogen, erklärt Risikospezialist Nir Kossovsky im Interview mit finews.ch. Eine allfällige Abspaltung der Asset-Management-Sparte hält er für einen Fehler.


Herr Kossovsky, der Greensill-Kollaps wirft ein schlechtes Licht auf das Risikomanagement der Credit Suisse (CS). Sind Sie davon überrascht? Immerhin musste auch die CS nach der Finankrise ihr Risikomanagement regulatorischen Anforderungen anpassen und entsprechend ausbauen.

Es ist für die CS ungünstig, dass sie ihre Prozesse im Risikomanagement nach der Finanzkrise im Jahr 2008 nicht so organisiert hat, dass Reputationsrisiken umgangen oder zumindest abgemildert werden können. Das Reputationsrisiko ist eine von insgesamt acht statutorischen Gefahren im Versicherungsgeschäft.

«Es ist nicht auszuschliessen, dass einzelne Individuen absichtlich interne Kontrollen umgangen haben»

Begegnen sollte man ihr in einem Unternehmen durch eine Kombination verschiedener Massnahmen: Das Sammeln von Informationen, eine Risikomanagement-Triage, Kommunikation und Rückstellungen für Risiken. Und es braucht ein dafür eigens gebildetes Komitee im Verwaltungsrat.

Beobachten wir bei der CS gerade ein systemisches Versagen oder das Fehlverhalten einzelner Personen?

Es ist nicht auszuschliessen, dass einzelne Individuen absichtlich interne Kontrollen umgangen haben. Immerhin haben wir es bei den Supply Chain Finance Fonds mit Anlagen zu tun, die schlussendlich nicht das enthielten, was Kunden, Investoren und Regulatoren erwartet hatten.

«In der Regel lösen Reputationskrisen finanzielle Verluste aus»

Im Prinzip handelt es sich um dasselbe Thema, das 2008 beinahe zum Kollaps des Finanzsystems geführt hat. Damals war es ein systemisches Versagen in den Finanzinstituten.

Sie haben im CS-Greensill-Fall eigene Nachforschungen angestellt. Wo liegen die Hauptprobleme innerhalb der Bank?

In unserer Beratungstätigkeit finden wir die Wurzeln einer Krise typischerweise im Silo-Denken in den Unternehmen, in der Führung und in den Verantwortlichkeiten. Solche Hindernisse lassen sich innerhalb einer Organisation aber abbauen, zum Beispiel mit einer gut ausgebildeten Reputationsrisiko Governance und entsprechenden Managementstrukturen.

Bei der CS folgt nun eine Kaskade der Schäden: Finanziell, juristisch und bezüglich Reputation. Ist dieser Kollaps vergleichbar mit dem Subprime-Kollaps?

In der Regel lösen Reputationskrisen finanzielle Verluste aus: Kunden und Investoren sind enttäuscht, Juristen und Regulatoren ziehen ins Feld, Gelder fliessen ab, Mitarbeitende verlieren die Motivation, Gläubiger erhöhen die Kapitalkosten, die Aktie wird an der Börse abgestraft usw. Ich würde nicht einen direkten Vergleich zum Subprime-Kollaps ziehen, aber gewisse Muster wiederholen sich. Im Fall der CS ist das Ausmass begrenzt.

Wie stand es um die Reputation der CS vor dem Greensill-Fall?

Wir bauen grundsätzlich auf einen klaren quantitativen Ansatz, um dies zu bemessen, sodass wir einerseits Reputationsrisiken versichern und andererseits in Aktienportfolios eine Arbitrage auf Basis einer «Reputationsprämie» vornehmen können.

«Nach 2018 sank der Reputationswert der CS ab»

Innerhalb der letzten Woche ist die CS auf unserer Reputations-Rangliste mit insgesamt 134 Banken von Platz 77 auf Platz 84 abgerutscht. Derzeit sind unsere Bewertungsmassstäbe etwas beeinträchtigt, sodass der Reputationswert der CS stärker schwankt – was ein klares Zeichen einer Krise ist. Allerdings war die Reputation der CS schon in den letzten Jahren volatiler gewesen. Ihren besten Wert hatte sie im Januar 2018 erreicht, danach sank sie langsam ab.

Sie sagen, die CS hätte das Greensill-Debakel verhindern oder zumindest eingrenzen können. Wie genau?

Das Reputationsrisiko stellt die grösste Bedrohung für den Nachhaltigkeits- oder ESG-Wert eines Unternehmens dar. Doch versuchen gerade auch Unternehmen mit einem ESG-Fokus ihre Reputation durch Marketingausgaben zu verteidigen. Das ist naiv. Stattdessen sollten sie in die Governance und ins Risikomanagement investieren.

Was heisst das nun in Bezug auf die CS?

Die CS würde eine voll integrierte Reputations-Einheit benötigen, um eine konzernübergreifende Strategie implementieren zu können. Diese Einheit müsste auf das Informationsmanagement und die Analyse fokussieren. Sie müsste dem Management klar aufzeigen, dass es zwischen den Erwartungen der Stakeholder und der operationellen Realität grosse Diskrepanzen gibt – das nennen wir Reputationsrisiko.

«Um den Reputationswert wieder herzustellen braucht es vier Schritte»

Stakeholder würden eine hohe Akzeptanz gegenüber einem Reputations-Risikomanagement und dessen Wert zeigen, wenn dieses durch Drittparteien bewertet und testiert und auch versichert würde.

Und das schnelle Heilmittel sind personelle Konsequenzen, indem Top-Manager oder der CEO zurücktreten müssten?

Um den Reputationswert wieder herzustellen braucht es vier Schritte: Das CS-Management muss Verantwortung für das Versagen übernehmen und sich entschuldigen, die Erwartungen der Stakeholder nicht erfüllt zu haben. Die Führung der Bank muss dann identifizieren, wo die Risikomanagement-Prozessse versagt haben und dies transparent machen.

«Das ist eine ungewöhnliche Strategie»

Sie muss den Beweis erbringen, dass sie diese Prozess angepasst und ein Managementprogramm gestartet hat, um eine Reputationsrisiko Governance zu implementieren. Diese Schritte werden helfen, den Schaden einzugrenzen.

Also keine personellen Konsequenzen mehr?

Doch. Aber die CS müsste sich nur von Individuen trennen, wenn diese in enger Verbindung mit den Prozessen standen, die nicht funktioniert haben. Der Grund dafür ist, dass ihre weitere Präsenz im Unternehmen die Authentizität einer frisch installierten Reputationsrisiko Governance bei den Stakeholdern in Frage stellen würde.

Die CS verfolgt offenbar die Taktik, das Problem zu isolieren, indem sie das Asset Management abspalten will. Was halten Sie davon?

Das ist eine ungewöhnliche Strategie in einem Markt, in dem institutionelle Investoren hohen Wert auf ESG-Konformität legen. Der Trend in der Finanzindustrie geht in die andere Richtung: Gerade die US-Banken wie Morgan Stanley oder J.P. Morgan wollen ihr Asset Management ausbauen.

«Die CS könnte davon profitieren, wenn sie strukturelle und organisatorische Veränderungen vornehmen würde»

Sie wollen sich gegenüber den Investoren als risikoaverse Asset Manager präsentieren und nicht mehr als Hoch-Risiko-Banker.

Auch dabei handelt es sich um ein Reputations-Risikomanagement und wenn dies authentisch ist, schlägt es sich in einer höheren Bewertung nieder. Ich glaube, die CS könnte davon profitieren, wenn sie strukturelle und organisatorische Veränderungen vornehmen würde, um ihr Risikoprofil zu senken.


Nir Kossovsky ist CEO des in Pittsburgh ansässigen Unternehmens Steel City Re, das Versicherungsleistungen für Reputationsrisiken erbringt. Er gilt als einer der führenden Experten im Bereich der Messungen von Reputationswerten und entsprechende Versicherungslösungen.

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