Sie dachte, im «Maschinenraum» der Credit Suisse würde sie niemand bemerken. Doch dann sagten ihr die Leute, Du trägst eine sehr grosse Verantwortung. Da wurde Joanne Hannaford klar, dass sie die erste Technologiechefin seit Jahren ist, die auch in der Konzernleitung sitzt, wie sie im Interview mit finews.ch erklärt.


Frau Hannaford, warum haben Sie einen Job bei der Credit Suisse angenommen?

Darauf gibt es zwei Antworten. Die erste ist die offensichtliche. Als Technologie-Expertin aus Grossbritannien wollte ich in Europa arbeiten. Eine der attraktivsten Stellen in Europa, die zu dem Zeitpunkt aufgeschrieben war, bot die Credit Suisse (CS). Das war für mich eine einzigartige Gelegenheit.

Und ich dachte, im «Maschinenraum» der CS würde mich ohnehin niemand bemerken. Nachdem ich den Job angenommen hatte, sagten mir aber einige Leute, Joanne, Du trägst nun eine sehr grosse Verantwortung. Und da wurde mir auch klar, dass ich der erste Chief Technology and Operations Officer (CTOO) bin, der seit Jahren in der Konezrnleitung der CS sitzt.

«Ich habe meine ganze Karriere bei Goldman Sachs zwischen London und New York verbracht»

Noch bevor ich meinen neuen Job begonnen hatte, rief mich Thomas Gottstein (der frühere CEO der CS) nach dem Ausbruch des Archegos-Falls an und fragte mich, ob ich den Job noch immer wolle, und ich habe gesagt: Mehr denn je.

Warum?

Das ist alles eine Frage der Einstellung. Ich denke, dass die Technologie in einem Unternehmen einen enormen Einfluss hat, auf die Art und Weise, wie die  Menschen arbeiten, wie innovativ und agil sie sind, was ja letztlich die Firmenkultur ausmacht. 

Das war die erste Antwort. Was ist die andere?

Die ist eher persönlich. Ich wollte in der Schweiz leben, Deutsch lernen und mich selbst ein wenig herausfordern.

Und wie?

Ich habe meine ganze Karriere bei Goldman Sachs zwischen London und New York verbracht. Ich lernte ein sehr amerikanisches Umfeld kennen, bis ich mich für die CS entschied und feststellte, dass dort ein ganz anderes Selbstverständnis existiert. Ich glaube, dass ich der CS wirklich helfen kann.

Haben Sie sich nie hinterfragt, als die CS schwierige Zeiten durchlebte?

Es mag verrückt klingen, aber nein. Es gibt viel zu tun bei der CS, und ich sehe dies als Chance für eine viel stärkere Bank, die auf einem reichen Erbe von mehr als 160 Jahren aufbaut. In jedem Unternehmen gibt es schwierige Momente. Aber wir haben das Team und die Strategie, um die Bank zu stärken.

Wenn Sie sich die Konzernleitung jetzt ansehen, dann besteht sie aus Leuten, die echte Spezialisten sind, weil sie diese Arbeit seit Jahrzehnten machen. Es wäre verrückt, wenn mir jemand sagen würde, mach keine Technologie mehr, such Dir einen anderen Job.

«Plötzlich klicken alle Teile»

Ausserdem hat die CS ein aussergewöhnliches Geschäftsmodell. Sie ist die zweitgrösste Vermögensverwalterin der Welt ausserhalb der USA. Ich stelle mir die CS wie einen Rubik's Cube vor. Plötzlich klicken alle Teile. Die Strategie, die wir kürzlich vorgestellt haben, ist umfassend. Wir haben schon so viel Arbeit hineingesteckt. Nun müssen wir beweisen, dass wir sie auch umsetzen können.

Die Credit Suisse beschäftigt in Singapur mehrere hundert Ingenieure, die weltweit Lösungen und Tools für die Bank entwickeln. Warum ist das so?

Ja, es ist ein grossartiges Team in Singapur, das Lösungen vor allem für die weltweite Vermögensverwaltung (Wealth Management) entwickelt. Die asiatische Klientel steht der Technologie sehr offen gegenüber. Das müssen wir uns zunutze machen und global ausrollen.

Warum ist das so?

Die Kunden in Asien sind sehr aufgeschlossen. Ausserdem hat die CS ihre Dienstleistungen vom Retailbanking bis zum Wealth Management digital kombiniert, so dass heute CSX (ein digitales Tool) zur Verfügung steht. Das haben nur sehr wenige Banken geschafft.

Singapur bietet das nötige Know-how, um dieses Angebot weiterzuentwickeln. Für uns war es immer klar, dass unsere Plattform über die Grenzen der Schweiz hinausgeht. Eine der Erkenntnisse der Pandemie ist, dass wir in dieser Zeit eine ganze Reihe digitaler Produkte entwickeln und lancieren konnten.

Braucht denn jeder Geschäftsbereich der CS eine eigene Plattform?

Nein, in der Regel ist es besser, eine gemeinsame Best-in-class-Plattform zu haben, die Skalierbarkeit bietet. Man muss sie so gut machen, dass man mehr Geschäfte auf sie laden kann. Und das führt zur Kardinalfrage, wie man Kosten reduzieren und gleichzeitig innovativ bleiben kann.

Wie unterscheidet sich eine Bank wie Goldman Sachs, bei der Sie vorher gearbeitet haben, von der CS?

Wir bewegen uns von Anwendungen über Plattformen hin zu Dienstleistungen und APIs. In einem Handelsgeschäft wie bei Goldman Sachs hingegen arbeitet mehr eher mit APIs. Die Infrastruktur der CS ist anders, da wir unterschiedliche Produkte mit individuellen Anforderungen sowohl im Wealth Management als auch im Handel haben. Wir investieren jetzt in eine einheitliche Datenstruktur.

«Als Finanzinstitut ist es vielleicht gar nicht erstrebenswert, überall der Vorreiter zu sein»

Insgesamt ist dies eine Chance, da wir kontinuierlich überlegen, wie wir Mehrwert für unsere Kunden schaffen und ihnen bessere Produkte anbieten können.

Ist die Cloud das nächste grosse Ding in der Bankenwelt?

Ich glaube nicht, dass es darum geht, was das nächste grosse Ding ist. Meiner Meinung nach geht es eher darum, die besten Elemente aus allen Technologiebereichen zu nutzen, um die besten Lösungen zu schaffen. Als Finanzinstitut ist es vielleicht gar nicht erstrebenswert, überall der Vorreiter zu sein. Natürlich wollen wir auch nicht die Letzten sein – eher Zweiter oder Dritter.

Die Entwicklung des Internets (der Technologie) hat viel mit Vertrauen zu tun, und das gilt insbesondere für die Cloud. Wenn man die Schweiz als Beispiel nimmt, denkt man an den Schutz der Privatsphäre, an Vertrauen und Exzellenz. In diesem Zusammenhang bin ich sehr daran interessiert, wie sich unser Angebot kommerziell differenzieren lässt. Wir müssen uns immer mehr Gedanken darüber machen, welche Software in der Cloud steckt, und nicht nur über den Transfer von Daten im grossen Stil.

Was halten Sie von Metaverse?

Es ist schon erstaunlich, diese Welt der Bilder. Deshalb denke ich, dass man das Metaverse ernst nehmen muss, auch wenn es noch in den Kinderschuhen steckt. Die CS wird jedoch nicht die erste Anbieterin auf diesem Gebiet sein.

Andere Banken erobern bereits das Metaverse.

In der Tat haben auch wir mit Tests begonnen. Wir haben zum Beispiel einen internen Wettbewerb organisiert, bei dem es darum ging, eine Credit-Suisse-Präsenz im Metaverse zu erstellen. Aber das steckt noch in der Experimentierphase. Es steht im Zusammenhang mit unserem Bestreben, Innovation von innerhalb der Bank aufzugreifen. Jede Stimme zählt. Ich ermutige die Mitarbeitenden, mir ihre Ideen zu schicken. Das fördert die Innovation.

Entwickelt die Credit Suisse auch Dienstleistungen für digitale Vermögenswerte?

In der Schweizer Bank haben wir festgestellt, dass die Wealth-Management-Kunden erwarten, dass wir digitale Vermögenswerte verwahren können und den Zugang zu solchen Dienstleistungen anbieten. Ja, wir arbeiten aktiv daran.

«Ich habe mein ganzes Berufsleben lang programmiert»

Das Erstaunliche an der Schweiz ist, dass einige der besten Tech-Firmen hier angesiedelt sind. Die Tiefe ihres Fachwissens ist einzigartig, zumal mit der ETH Zürich eine der besten Universitäten ausserhalb des MIT hier ist. Und wir (die Credit Suisse und die ETH Zürich) haben denselben Gründer, Alfred Escher.

Wie sind Sie in den Technologiesektor eingestiegen, der doch eher eine männerdominierte Welt ist?

Wenn ich an meine Anfänge zurückdenke, galt die Computertechnologie bis 1985 nicht als etwas, das Männern vorbehalten war. Jeder konnte in dieser Branche arbeiten. Mein Mathematikprofessor gründete sogar einen Programmierkurs, an dem ich jeweils über Mittag teilnahm. Danach habe ich mein ganzes Berufsleben lang programmiert.

Mein erster Job war bei Merrill Lynch, wo die IT-Abteilung zu etwa 60 Prozent aus Frauen bestand. Das hat sich erst in den vergangenen 15 Jahren so stark geändert. Aber keiner fragt, warum.

Waren Sie besonders gut in Mathematik?

Nein, durchschnittlich. Aber darauf haben die Firmen damals gar nicht geachtet, sondern auf Leute, die gut in Philosophie waren.

Warum das?

Weil Philosophie sehr logisch ist. Ich war OK in Mathematik, aber besser in Theologie und Philosophie!

Wie kann eine Bank Künstliche Intelligenz (KI) nutzen?

Man muss sie verantwortungsvoll einsetzen, vor allem bei Finanzdienstleistungen. Wir müssen sehr sorgfältig mit Datensätzen umgehen, und zwar bei allen Aktionen, die über eine Maschine erfolgen und sicherstellen, wer letztlich diese Aktien durchführt.

«Es gibt weltweit nur wenige Robo-Advisors, die erfolgreich sind»

Das grosse Dilemma der KI im Finanzbereich ist der Determinismus. Damit meine ich, dass KI zwar Vorschläge machen kann, aber ein Mensch diese Vorschläge immer noch überprüfen muss. Ob wir jemals an den Punkt gelangen werden, an dem die KI völlig autonom und selbstbestimmend wird, ist schwer abzuschätzen.

Deshalb arbeiten Robo-Advisors am besten mit einem Hybridmodell.

Es gibt weltweit nur wenige Robo-Advisors, die erfolgreich sind, und zwar wegen der gerade genannten Probleme. Ausserdem erwarten die Regulierungsbehörden, dass Finanzinstitute, einschliesslich Robo-Advisors, beschreiben können, wie etwas funktioniert. Und genau das ist die grosse Herausforderung mit der KI. Letztlich hängt die Definition von KI davon ab, wer wirklich die Entscheidung trifft.

Was sind Ihre nächsten Schritte mit der Credit Suisse?

Wir sind dabei, eine Reihe von Plattformen zu definieren, beruhend auf den Bedürfnissen, die wir identifizieren. Wir formalisieren sie. Das ist ein Meilenstein. Ich glaube, wir sind die einzige Bank in Europa, die dies auf eine derart konsequente Art und Weise tut.

In jedem Geschäftsbereich untersuchen wir die Architektur und bestimmen so, welche Plattform erforderlich ist. Darüber hinaus arbeiten wir intensiv an einer neuen Cloud-Strategie. Vermutlich werden wir am Ende eine eigene Cloud-Plattform haben, welche die besten Elemente aus allen Bereichen vereint.


Joanne Hannaford ist Britin und stammt aus London. Seit diesem Jahr ist sie Chief Technology & Operations Officer (CTOO) der Credit Suisse (CS). Zuvor arbeitete sie 25 Jahre in verschiedenen Funktionen bei der US-Bank Goldman Sachs, zuletzt im Range einer Partnerin. In den 1990er-Jahren studierte sie Informatik an der Universität Anglia Ruskin in Grossbritannien und machte ihren Bachelor in Informatik an der Universität Staffordshire ebenfalls in Grossbritannien. Danach arbeitete sie zunächst bei Merrill Lynch, später ein Jahr bei der UBS und sowie bei NatWest Bank.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
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