Die Nebenwirkungen der Sanktionen gegen Russland & Co. bringen Banken und Behörden ans Limit und behindern das Finanzsystem. finews.ch hat mit einem ehemaligen Kadermann der UBS gesprochen, der an einem Ausweg aus dem Compliance-Alptraum arbeitet.

Die Durchsetzung der Sanktionen gegen Russland und Belarus bringt die Behörden ans Limit. Wie das in der Schweiz mit der Aufgabe betraute Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) am Donnerstag berichtete, mussten dazu extra Stellen geschaffen werden. Und noch sitzen die Bundesangestellten auf einem Berg abzuarbeitender Meldungen. Solche sind seit Beginn des Sanktionsregimes zu Tausenden eingegangen.

«Die Überprüfung bedeutet für das Seco einen hohen Zeit- und Ressourcen-Aufwand», berichteten die Verantwortlichen.

Compliance am Anschlag

Seitens der Banken, die bei russischen Einlagen von mehr als 100’000 Franken Meldung machen müssen, ist die Lage keineswegs entspannter. Das Risiko, wegen Russen-Geldern international an den Pranger gestellt zu werden, will kaum jemand eingehen. Gleichzeitig läuft die Compliance am Anschlag, wie aus der Branche zu hören ist – und wie auch Ralph Kreis (Bild unten) gegenüber finews.ch bestätigt.

«Mit dem Ukraine-Krieg und den vom Westen verhängten Sanktionen ist die Liste der sanktionierten russischen Personen und Organisationen nochmals massiv angeschwollen, von rund 2’700 auf inzwischen 12’700 Einträge über die wichtigsten Listen hinweg», erklärt der Fachmann. Für die Compliance-Teams der Banken habe dies besonders zu Anfang eine Arbeitslast bedeutet, die sie kaum bewältigen konnten.

Kreis 500
(Bild: Alix Partners)

Kreis weiss, wovon er spricht. Als langjähriger Kader der Grossbank UBS kennt er das Business von innen. Für die Beratungsfirmen Boston Consulting Group (BCG) und Alix Partners hat er die Branche eng begleitet. Nun ist er Finanzchef und stellvertretender CEO des Startups GSS, das nächstes Jahr seine Arbeit aufnehmen will – und das den Banken im Umgang mit Sanktionen ganz wesentliche Erleichterung verspricht.

Geht alles nach Plan, erhält die Branche mit GSS eine erste Industrielösung zur Automatisierung der Sanktion-Checks.

Besorgte Stabilitätswächter

Mit den Sanktionen gegen Russland und Belarus hat die Problematik auch ausserhalb der Schweiz massiv an Dringlichkeit gewonnen. Die Belastungen, denen das Finanzsystem durch die mittlerweile zahlreichen Regimes ausgesetzt ist, haben mittlerweile auch das einflussreiche Financial Stability Board (FSB) bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel auf den Plan gerufen.

Die Problematik lässt sich eindrücklich anhand von Zahlen illustrieren. Schätzungen gehen davon aus, dass allein die international tätigen Grossbanken gegen 20 bis 40 Milliarden Transaktionen pro Jahr auf Sanktions-Verstösse überprüfen müssen. Geht man von einer Alert-Rate (Quote der Alarmmeldungen des Systems) vom im Median 5 Prozent aus, muss bei 1 bis 2 Milliarden Transaktionen manuell nachgeprüft werden, ob eine sanktionierte Partei involviert ist.

Sind Parteien aus exponierten Sprachregionen wie dem Nahen Osten involviert, kann die Alert-Rate auf 15 Prozent steigen.

Zu 99 Prozent Fehlalarm

Wird ausserdem bedacht, dass es sich bei 99 Prozent der Alerts um «False positives» handelt, also um einen Fehlalarm, dann lässt sich abschätzen, wie enorm der zusätzliche Aufwand ist, der sich dadurch für das Finanzsystem ergibt – und wie frustrierend. Nicht selten muten die Alarmmeldungen, welche die Lampen der Compliance-Abteilungen blinken lassen, geradezu lächerlich an.

So verbirgt sich im Taucher «Scuba-diver» schon mal das von den USA sanktionierte «Cuba», im Vornamen Miranda der Iran. Und Shiraz ist eine Weintraubensorte, aber eben auch eine Stadt im Mullah-Staat am Persischen Golf.

Massive Verzögerungen

Doch für die Banken und ihre Kunden ist das nicht zum Lachen, im Gegenteil. Die Sanktionsvorschriften befehlen, dass jede einzelne Transaktion von jedem involvierten Finanzakteur und unabhängig von der Höhe der Summe zu prüfen ist – und erst ausgelöst werden darf, wenn der Befund feststeht. Unbekannte, aber verdächtige Parteien, müssen per «Request of information» bei Gegenparteien mühsam ausfindig gemacht werden.

«Es wird angenommen, dass sich wegen den Sanktionen jede vierte Transaktion um mehr als 24 Stunden verzögert», berichtet Kreis aus der Praxis.

Nächstes Jahr «live»

An den Sanktionsregimes dürfen die Finanzakteure nicht rütteln. Aber sie können versuchen, die Last der Umsetzung auf mehr Schultern zu verteilen – die Problemstellung ruft geradezu nach einer Industrielösung. Laut Kreis hat man dies schon vor Jahren erkannt. Damals sei es aufgrund der fehlenden Technologie aber noch gar nicht möglich gewesen, eine den Anforderungen genügende Industrielösung zu entwickeln.

Mit der Verbreitung von Cloud-Lösungen und Maschinellem Lernen sind diese Hürden aber inzwischen gefallen. Dies macht sich das Regtech GSS zunutze. Vor zwei Jahren sind drei internationale Banken an die Beratungsfirma Alix Partners herangetreten, um eine Machbarkeitsstudie durchzuführen, sagt der Manager des Jungunternehmens. Inzwischen arbeitet das Alix-Spinoff GSS zusammen mit mehreren Banken an einem «Proof of Concept», der nächstes Jahr «live» gehen soll.

Smarte Maschinen

Dabei übernimmt das Startup die automatisierbaren Sanktions-Checks und das Abgleichen der Transaktionen mit den aktuellen Sanktionslisten. Geplant ist, dass die Institute diesen Arbeitsschritt vollumfänglich an GSS auslagern und ihre internen Systeme abschalten. Das Elegante an der Plattform: Je mehr Nutzer sie gewinnt und je mehr Transaktionen eingespiesen werden, desto mehr lernen die smarten Maschinen – und desto besser können «False positives» aussortiert werden.

«Einerseits bietet GSS eine Plattform für das Abgleichen von Sanktionslisten nach dem neuesten Stand der Technik. Anderseits haben wir mit den Banken Standards entwickelt, welches Resultat sie von diesem Abgleich erwarten», sagt Kreis. Mittlerweile sind GSS diesbezüglich in Gesprächen mit über 30 Instituten.

Wenig Konkurrenz

Schon vor dem offiziellen Start ist das Unternehmen stark gewachsen. Nach Angaben von Kreis arbeiten dort rund 130 interne und externe Kräfte. Der Hauptsitz befindet sich in London. In den kommenden Jahren sind weitere Standorte in den relevanten Finanzzentren geplant. Die Vorzeichen dazu stehen günstig: Glaubt man dem stellvertretenden CEO, hat GSS nicht einmal direkte Konkurrenten, abgesehen vom TSS-Service des Finanzdaten-Netzwerks Swift – und natürlich den Compliance-Abteilungen der Banken selber.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.02%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.74%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.38%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.47%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.39%
pixel