Mit einer Kriegskasse von mehreren Hundert Millionen Franken wäre EFG International bereit für Übernahmen. Doch da gibt es ein Problem, wie Giorgio Pradelli im Interview erläutert. Der CEO der weltweit tätigen Privatbank hat mit finews.ch ausserdem über den Zwang zu Skalen, Kundenberater von Grossbanken und über Verwaltungsrat Boris Collardi gesprochen.


Herr Pradelli, wenn EFG International ein Auto wäre: Was wäre die Privatbank für eines?



(lacht) Ein Tesla vielleicht? Es ist ja so, dass es nicht viele neue Automarken gibt, und wir sind in knapp 30 Jahren seit der Gründung zu einer der grossen fünf Privatbanken am Finanzplatz avanciert. Innovation und Digitalisierung sind für uns Prioritäten. Vor allem aber ist unser Kundenservice erstklassig.



Die Frage rührt daher, dass EFG zurzeit einen heissen Reifen fährt. Bankpräsident Alexander Classen sagte unlängst öffentlich, dass nur wenig Zeit bleibe, um Kundenberater von der übernommenen Credit Suisse abzuwerben. Das hat ziemliche Wellen geworfen in der Branche.



Unsere Strategie des profitablen Wachstums besteht seit 2019. Insofern ist das Engagement von neuen Client Relationship Officers oder kurz CROs, wie Kundenberater bei uns genannt werden, nichts Neues. Wachstum ist in unserer DNA, und es ist primär organisch. Was im März passiert ist – nicht nur mit der Credit Suisse, sondern auch wegen der Bankenkrise in den USA – war wie ein Startschuss am Markt für Talente.



Im ersten Halbjahr 2023 hat EFG bereits 75 CRO eingestellt, ein Drittel davon sind von der Credit Suisse gekommen. Stossen noch weitere Kräfte von der Grossbank zu Ihnen?



Wir rekrutieren weiterhin, aber setzen uns dabei nicht unter Druck – und wir fokussieren auch nicht auf einzelne Konkurrenten.

«Es ist wahrscheinlich, dass wir auf das Jahresende hin bei über 100 Neueinstellungen sein werden»

Wir streben im Rahmen der Strategie bis ins Jahr 2025 jährlich 50 bis 70 Neuanstellungen an. So gesehen haben wird unser Soll in diesem Jahr schon überschritten.



Dann lehnen Sie sich jetzt zurück?



Natürlich nicht. Es ist wahrscheinlich, dass wir auf das Jahresende hin bei über 100 Neueinstellungen sein werden. Wichtig ist: Für uns ist die Qualität wichtiger als die Anzahl.



Um bei den Credit-Suisse-Kräften zu bleiben: Diese bringen ja die Kultur eines Grosskonzerns mit, während die Kundenberater von EFG sehr unternehmerisch wirtschaften müssen. Wie passt das zusammen?

Es ist richtig, dass unsere CROs in gewissen kommerziellen Fragen eine hohe Autonomie geniessen – es gibt etwa keine Segmentierung der Kundinnen und Kunden in der Bank – und sie werden gemäss eines transparenten Schlüssels am Erfolg beteiligt. Aber sie sind fest in die Compliance und die Ziele des Unternehmens mit eingebunden.



Aber was heisst das in Bezug auf die Tauglichkeit von Grossbankern?

Wer bereit ist, selber anzupacken und die Beziehung zur Kundschaft langfristig aus- und aufzubauen, ist bei uns richtig. Da ist es sekundär, wo er oder sie zuletzt tätig waren.

«Unsere goldene Regel lautet, dass unsere Erträge doppelt so schnell wachsen wie die Kosten»

Ich selber arbeitete einst für die Deutsche Bank, auch viele CROs waren zuvor bei einer Grossbank. Sie schätzen es nun, für ein Unternehmen zu wirken, das sich ausschliesslich auf das Private Banking konzentriert.

Ihre CROs können sich auf mehr Lohn freuen, hat doch EFG mit 47 Prozent Gewinnsteigerung ein äusserst erfolgreiches erstes Halbjahr 2023 hinter sich. Ist auch das zweite Semester rekordverdächtig?

Wir sind sehr zufrieden mit der Leistung im ersten Halbjahr 2023. Diese war allerdings auch den steigenden Zinsen zu verdanken. Unsere Marge liegt mit 100 Basispunkten deutlich über dem Zielwert von 85. Die Treiber der ersten Jahreshälfte sind für uns auch weiterhin intakt. Deshalb sind wir zuversichtlich, dass wir bei Wachstum und Profitabilität bis zum Jahresende eine gute Leistung erbringen werden.



Sie waren früher Finanzchef von EFG, Effizienz ist für Sie als CEO ein wichtiges Anliegen geblieben. Aber im vergangenen Semester sind auch die Kosten zweistellig geklettert. Ist das nachhaltig?



Das ist eine gute Frage. Wir haben einen Grossteil der Investitionen für 2023 schon im ersten Halbjahr 2023 abgebucht. In der zweiten Jahreshälfte werden wir weniger investieren, was sich auch auf die Kosten auswirkt. Unsere Goldene Regel lautet, dass unsere Erträge doppelt so schnell wachsen wie die Kosten. Das haben wir mit 20 Prozent Ertragssteigerung und einem 11 Prozent höheren Aufwand ziemlich genau hinbekommen. Im Mittel liegt das Ertragswachstum in der Finanzindustrie aber eher bei 6 oder 7 Prozent. Insofern müssen wir sicherstellen, dass die operative Seite sehr effizient bleibt.



Wie?



Wir haben angekündigt, ab 2025 das Sparziel nochmals um 50 Prozent auf 60 Millionen Franken pro Jahr zu erhöhen. Unsere Plattform muss alljährlich effizienter werden, damit wir in Personal, Infrastruktur und letztlich Skalen investieren können.



A propos Skalen: im Private Banking entsteht mit der kombinierten UBS ein 5-Billionen-Dollar-Gigant. Die Zürcher Konkurrentin Julius Bär will bis 2030 rund 1’000 Milliarden Franken Vermögen verwalten. Hat im Metier wegen der Übernahme der Credit Suisse ein neues Rennen um Grösse begonnen?



Skalen sind tatsächlich wichtig. Dies, weil die Kosten, um unser Geschäft zu betreiben, kontinuierlich steigen. Dies insbesondere, wenn eine Bank international tätig und in verschiedenen Jurisdiktionen vor Ort ist. Talente werden teurer, und die Inflation trifft uns auch.



Je grösser also das Volumen gemessen an diesen Fixkosten ist, desto besser?



Früher hat EFG die ‹Economy of flexibility› – gegeben durch die Nähe zum Kunden – höher gewichtet als die ‹Economy of Scale›. Heutzutage lässt sich dank Technologie eine gute Flexibilität erreichen, auch wenn der Fokus nun ebenfalls auf den Skalen liegt.

«Seit der Coronakrise herrscht Stillstand bei der Konsolidierung»

Bereits die Übernahme von BSI haben wir aus dieser Überlegung heraus getätigt. Nun haben wir vor, jedes Jahr bis zu 10 Milliarden Franken an neuen Vermögen organisch hinzuzufügen.



Aber EFG könnte auch nochmals eine Bank übernehmen, oder? Sie dürfen dafür rund 400 Millionen Franken einsetzen.



Richtig. Das Management-Team hat gezeigt, dass es akquirieren und integrieren kann. Das Problem der vergangenen vier Jahre bestand aber darin, dass kaum Ziele vorhanden waren. Zudem lassen sich Übernahmen nicht planen, im Gegensatz zu organischem Wachstum. Deshalb haben wir uns in jüngster Zeit auf letzteres verlegt. Wir sind aber weiterhin offen für Zukäufe.



Gibt es jetzt wieder mehr Ziele?



Es hat eine Phase der Konsolidierung gegeben. Seit der Coronakrise herrscht aber Stillstand.



Wo würde EFG zukaufen wollen?

Die Schweiz ist für uns sehr wichtig. Wir wollen dort zukaufen, wo wir bereits sind – also auch in Grossbritannien, Luxemburg oder in Asien. Es muss aber kulturell passend sein und eine Investmentrendite von 10 Prozent über drei Jahre einspielen.



Sie könnten auch übernommen werden – das ewige Gerücht lautet: Julius Bär kauft EFG.



Seit elf Jahren bin ich nun bei EFG International, und fast jedes Jahr kursiert ein solches Gerücht.

«Boris Collardi hilft uns mit allen strategischen Themen in der Region»

Doch seither habe ich immer nur Akquisitionen gemacht. Auch unsere Eigentümer haben sich hinter unsere Wachstumsstrategie gestellt. Um ehrlich zu sein, solche Meldungen sind für uns nur ‹Noise›.



Mit Boris Collardi hat die Bank einen Ex-Julius-Bär-Chef im Verwaltungsrat. Da liegen solche Gerüchte doch nahe...



Ich kenne Boris seit vielen Jahren. Er ist jemand, der das Geschäft auswendig kennt und die Suche nach Wachstumsmöglichkeiten in den Genen hat. Zudem verfügt er über ein riesiges Netzwerk. Er unterstützt uns sehr als Sparringpartner, zumal in Asien. Dort ist er auch Präsident des Asien-Pazifik Advisory Boards.



Hilft er Ihnen, Übernahmeziele in Asien zu finden?



Wir sind sehr an einem Zukauf in Asien-Pazifik interessiert, nachdem wir bereits im Jahr 2019 mit Shaw & Partners eine Akquisition in Australien getätigt haben. Boris hilft uns mit allen strategischen Themen in der Region.



Boris Collardi wie auch Präsident Alexander Classen sind beides ehemalige Bankenchefs. Besteht da nicht die Gefahr, dass sie Ihnen als CEO ständig ins operative Geschäft hineinreden?



In der Schweiz ist die Rollenverteilung zwischen Management und Verwaltungsrat klar geregelt. Das funktioniert für mich sehr gut, das Management kann von der langen Erfahrung der beiden viel profitieren. Wir arbeiten als Team hervorragend zusammen.



Wenn man die Gewinne von Schweizer Banken betrachtet, erhält man das Gefühl, dass gerade eine Bonanza vorherrscht. Als Veteran in dem Business: Erleben wir eine Phase, wie sie es niemals zuvor gegeben hat?

Ich bin seit 32 Jahren im Banking tätig, habe aber das Gefühl, ich beginne immer wieder von vorne!



Wie meinen Sie das?

Es gibt für mich stets etwas Neues zu lernen. Ich beobachte, dass es nicht allen Banken gleich gut geht, wie wir in den USA und der Schweiz jüngst gesehen haben. Strategische Fehlentscheidungen rächen sich weiterhin.

«Wenn die Geschäfte gut gehen, dann nimmt man erhöhtes Adrenalin in Kauf»

Was ich aber bisher noch nie gesehen habe, war eine Zinswende in dieser Form: Wir erlebten den schnellsten Zinsanstieg seit dem Zweiten Weltkrieg. Und steigende Zinsen sind sicher besser als Negativzinsen für die Banken.



Also doch eine Bonanza?



Nicht für alle Marktteilnehmer. Die Märkte sind weiterhin fragil, und die geopolitische Situation ist aus meiner Sicht so komplex wie selten in den vergangenen 30 Jahren. Umso wichtiger ist das Gefühl von Sicherheit. Es hat sich für uns und unsere Kunden bezahlt gemacht, dass wir unsere Bilanz als ‹Festung› verstehen und immer viel Liquidität vorhalten. Ich bin weiterhin besorgt, dass die Zinswende in der Realwirtschaft noch für Probleme sorgen könnte. Wir bleiben sehr wachsam.



Also drücken Sie gleichzeitig aufs Gas und auf die Bremse. Erlebt man als CEO in einem solchen Umfeld so viel Stress wie nie?



Was ich immer wieder beobachten konnte: Es gibt eine Wechselwirkung zwischen der Performance der Mannschaft und ihrer Motivation. Wenn die Geschäfte gut gehen, dann nimmt man erhöhtes Adrenalin in Kauf. Ist die Performance aber schlecht, demotiviert und stresst dies die Mitarbeitenden und auch einen selber mehr als alles andere. Im Moment (klopft auf den Tisch) erleben wir positiven Stress. Darum will ich auch nicht hören, dass wir den Gipfel bereits erreicht haben.



Warum?



Weil es dann nur noch abwärts geht! Das ist schlecht für die Motivation. Ich sage lieber: Es liegen noch zahlreiche Gipfel vor uns. Sinnigerweise habe ich die Frage nach dem Stress auch Boris Herrmann gestellt, dem Skipper des Segelrenn-Teams Malizia, bei dem EFG einer der Hauptsponsoren ist.



Was sagte der Skipper?



Er muss Risiko und Performance ganz genau abwägen. Denn wenn er einen zu riskanten Kurs fährt und eine Havarie erleidet, ist das Rennen für sein Schiff gelaufen. Boris erklärte deshalb, er habe stets zwei Herzen in der Brust: Eines schlage fürs Gewinnen, das andere wäge stets die Risiken ab. Gemeinsam, sagte er, würden ihn die beiden Herzen vorantreiben. Dieses Bild nutzen wir nun auch bei EFG.



Sie sind selber Segelfan. Wollten Sie nie eine Auszeit nehmen, um Boris Herrmann zu begleiten?



Um Himmels Willen, das sind Profis. Ich bin als Segler nur ein Amateur. Ich beschränke mich lieber darauf, EFG professionell zu führen.


Piergiorgio Pradelli ist seit Anfang 2018 CEO von EFG International sowie von EFG Bank, und hält weitere wichtige Funktionen innerhalb der Bankengruppe. Vor seiner Ernennung zum Bankchef war er ab 2014 stellvertretender CEO und ab Juni 2012 Finanzchef von EFG. Zum Unternehmen stiess er bereits 2003 und nahm in der Folge verschiedene Aufgaben wahr; so spielte er eine wichtige Rolle beim Börsengang der Bank im Jahr 2005. Seine Karriere begann der 56-jährige gebürtige Turiner bei der Deutschen Bank, wo er von 1991 bis 2003 diverse leitende Positionen in Frankfurt und London innehatte.

 

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