Das Schweizer Problem ist ein ganz anderes! Unsere Zinsen müssen unter denjenigen unserer Nachbarn liegen, weil unsere Währung der Welt als sicherer Hafen dient. Der Franken ist wie eine Versicherung und der Preis dafür die Zinsdifferenz. Wer den Franken kauft, erhält weniger Zinsen als für andere Währungen. Wenn diese aber keine Zinsen mehr bezahlen, müssen wir in der Schweiz zwingend Negativzinsen haben.

Wenn wir also von Negativzinsen sprechen, müssen wir zwischen der Schweiz und dem Rest der Welt unterscheiden.

Aber die Banken sagen, dass der Franken gar nicht mehr überbewertet sei und deshalb die Negativzinsen aufgehoben werden sollten.

Ich habe kürzlich den Chef der Bankiervereinigung gefragt, ob er ernsthaft glaube, dass es keinen Einfluss auf den Franken hätte, wenn die SNB ihre Zinsen über diejenigen der EZB anheben würde. Darauf gab er mir keine Antwort.

Aber selbstverständlich hätte es einen Einfluss. Es reicht eben nicht zu sagen, dass der Franken nicht mehr überbewertet ist. Die Frage lautet: Wäre der Franken überbewertet, wenn die SNB eine solche Strategie verfolgen würde? Und die Antwort darauf ist: Ja, das wäre er. Man muss also sehr vorsichtig sein mit der Kritik an den Negativzinsen in der Schweiz. Wir haben keine andere Wahl.

Fürchten Sie um die Unabhängigkeit der SNB, weil mit der Kritik an den Negativzinsen auch der politische Druck auf die Bank steigt?

Die Unabhängigkeit der Zentralbank gibt es deshalb, weil sie ihr erlaubt, Dinge zu tun, die unangenehm sind. Wenn Zentralbanken immer tun würden, was die Leute wollten, bräuchten wir die Unabhängigkeit nicht. Zinspolitik schafft zwangsläufig Gewinner und Verlierer.

«Die Pensionskassen brauchen einen Sündenbock»

Die Kritik der Banken ist getrieben von ihrem Eigeninteresse. Sie haben eine mächtige Lobby und diese wurde aktiv, weil die Banken wegen den Negativzinsen weniger verdienen. Dies bedeutet aber nicht, dass die Zinspolitik der SNB falsch ist.

Die Pensionskassen sind aber auch sehr beunruhigt über die Negativzinsen.

Das Problem der Pensionskassen sind die tiefen Zinsen und nicht die Negativzinsen. Sie brauchen ganz einfach einen Sündenbock. Grundsätzlich sollten sie es schaffen, keine grösseren Beträge an Strafzinsen bezahlen zu müssen.

Was für die Pensionskassen den wirklichen Unterschied ausmacht, sind die Tiefzinsen, da sie nicht mehr 4, 5 oder 6 Prozent garantierte Rendite erzielen können.

Könnte nicht die SNB die Erlöse aus den Strafzinsen den Pensionskassen überweisen?

Das Vermischen von politischen und monetären Fragen kann explosiv sein. Wenn die Pensionskassen Probleme haben, sollten sie sich an die Regierung wenden und nicht an die SNB.

Die Gewerkschaften verlangen nun, dass ein Teil des riesigen Gewinns der SNB an die AHV überwiesen wird, um diese für die Zukunft abzusichern. Eine gute Idee?

Diese Gewinne gibt es lediglich auf dem Papier, als Buchgewinne. Solange diese nicht realisiert werden, kann man sie auch nicht verteilen. Die SNB hat mit den Euros, welche sie gekauft hat, um den Franken zu schwächen, Wertschriften erstanden. Diese sind gegenwärtig hoch bewertet, weil die Aktienmärkte so gut gelaufen sind.

«Helikoptergeld ist ein verrückter Hype»

Sollte die SNB diese Vermögenswerte aber verkaufen, würde sie dafür Euro und Dollar erhalten. Um diese in der Schweiz verteilen zu können, müsste sie wiederum Franken kaufen und erreichte damit das Gegenteil des Ziels ihrer Geldpolitik – der Franken würde steigen. Was die Gewerkschaften wollen, kann man so nicht machen. Im gegenwärtigen Umfeld können die Profite der SNB nicht realisiert werden.

Wie halten Sie von der Idee von Helikoptergeld, um die Nachfrage zu stimulieren?

Was für ein verrückter Hype! Man diskutiert Helikoptergeld, als ob wir solches bräuchten, was komplett absurd ist. Diese Idee könnte bei einer sehr ernsthaften Krise umgesetzt werden, im Sinne eines entschlossenen makro-ökonomischen Stimulanz. Dies wäre aber eine fiskalische Massnahme, und nicht eine, welche von den monetären Behörden ausgehen könnte.

«Steuersenkungen sind ein guter Weg, um die Wirtschaft zu stimulieren»

Helikoptergeld bedeutet letztlich nichts anderes, als Schulden auf Kosten von künftigen Generationen zu machen. Geht es uns heute wirklich so schlecht, dass wir alles Geld für uns sofort brauchen und den Nachkommen nichts zurücklassen wollen? Mit dem Klimawandel vor Augen brauchen unsere Kinder vielleicht das Geld noch viel eher als wir.

Was könnte man sonst tun?

Die Schweizer Regierung hat in den letzten Jahren ihre Schulden soweit reduziert, dass sie über genügend Optionen verfügt, die Bevölkerung mit zusätzlichem Geld zu versorgen. Es mag zwar nicht die beste Option sein, aber ein Beispiel wäre sicher eine Steuersenkung. Diese wäre ein guter Weg, um die Wirtschaft zu stimulieren, falls es nötig sein sollte.


Jean-Pierre Danthine ist Wirtschaftsprofessor an der EPFL in Lausanne und ehemaliger Vize-Präsident der Schweizerischen Nationalbank (er übergab seine Position 2015 an Andréa Mächler). Der belgisch-schweizerische Doppelbürger studierte an der Katholischen Universität Löwen und doktorierte anschliessend an der Carnegie Mellon University. Der 69-jährige Ökonom war von 2005 bis 2009 Direktor des Swiss Finance Institute. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

 

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