Mit der Corona-Pandemie steigt die Bedeutung des Staates als ordnende Kraft. Diese neue Dominanz kommt zu einem Preis, den manche Gesellschaften in Asien zu zahlen bereit sind. Ist der Siegeszug des gelenkten Kapitalismus nun auch bei uns unaufhaltsam?

Anfang dieses Jahres, als das Coronavirus kaum mehr als eine dunkle Wolke am fernen Horizont war, tauchte in der öffentlichen Diskussion das Thema der sicheren Versorgung mit Medikamenten auf. Dies, nachdem im Zuge der Globalisierung der Wirtschaft die Produktion von Wirkstoffen, mit denen nur geringe Margen erzielt werden konnten, in Länder wie Indien und China verschoben worden war.

Nun, mit dem Unterbruch globaler Lieferketten, ist hierzulande die Versorgung mit Medikamenten deshalb nicht mehr uneingeschränkt sicher – oder zumindest in Frage gestellt.

Knappe Güter – sichere Landesversorgung

Um der Verknappung eines lebensnotwendigen Guts wie Medikamente in einer künftigen Krise entgegenzuwirken, haben Behörden und Politiker seither vermehrt die Thematik der «sicheren Landesversorgung» aufgegriffen. Diese Diskussion ist durchaus vergleichbar mit der «Too Big To Fail»-Thematik in der Finanzbranche.

Denn im Nachgang zur Finanzkrise vor gut zehn Jahren musste sich die Bankenwelt vom Staat vorschreiben lassen, wieviel Geld sie zurücklegen muss, um beim nächsten grossen Einbruch bestehen zu können. Zudem wurden damals auch strukturelle Bedingungen gestellt, insbesondere bezüglich des Inlandsgeschäfts der Grossbanken.

In Krisen reicht der Arm des Staates weit

Die grundlegende Frage, die schon damals aufgeworfen wurde, und die sich jetzt wieder stellt, hat mit der Rolle des Staates zu tun. Oder anders formuliert: Setzt sich der Staatskapitalismus nun vollends durch? Indizien dafür gibt es weltweit einige: Etwa, wenn US-Präsident Donald Trump einen grossen Autohersteller dazu verpflichtet, Beatmungsgeräte herzustellen. Oder was bedeutet es, wenn der Schweizer Staat bei Zehntausenden von Firmen für Kredite bürgt?

Oder wenn die schwedische Finanzministerin Magdalena Andersson verspricht, bei Grossfirmen allfällige Unterstützungspakete mit einem staatlichen Teilbesitz zu verbinden. Oder wenn Italien die seit Jahrzehnten schon angeschlagene Alitalia übernimmt.

Monopol der Geldschöpfung

Natürlich sind solche Massnahmen für sich betrachtet durchaus logisch erklärbar und als Teil einer gesellschaftlichen Antwort auf die Pandemie zu werten. Aber die Liste zeigt auch einen Trend auf: In der Krise erwarten die Menschen eine resolute Antwort des Staates – nicht nur in Bezug auf die Volksgesundheit, die Infrastruktur, die Ausbildung oder das Militär. Nein, der Staat soll auch die wirtschaftlichen Folgen lösen; natürlich dank seines Monopols in der Geldschöpfung, aber nicht nur.

Die (staatlich) gelenkte Wirtschaft ist eng verbunden mit der «gelenkten Demokratie» (sprich Diktatur). Tatsächlich hat sich die Welt daran gewöhnt, dass gewisse asiatische Länder mit einem solchen Modell einen beachtlichen Wohlstand erarbeitet haben. Das Modell ist sogar sehr erfolgreich. Das zeigt allein schon die Multi-Milliardenübernahme der Firma Syngenta durch einen chinesischen Konkurrenten.

Mit diesem Modell verfolgen manche Firmen auch strategische, vom Staat oder der Gesellschaft gesteckte Ziele. In Zeiten der Coronakrise kann dies zum Beispiel die Herstellung von Beatmungsgeräten sein.

App als Beweismittel fürs Gesundsein

Ein anderes Ziel ist die Datenhoheit, die manche Ländern nun beim Ausbau der 5G-Infrastruktur mit Vehemenz anfechten. Die Zusammenarbeit zwischen Tech-Giganten und den jeweiligen staatlichen Akteuren ist ausreichend verbrieft. Auch sie bieten wunderbar neue Methoden zur Bekämpfung einer Pandemie an – etwa, wenn sich jemand nur noch draussen bewegen kann, falls er per App beweisen kann, dass er gesund ist.

Die gelenkte Wirtschaft, die gelenkte Demokratie, beide praktizieren gewisse Methoden, die bei der Bekämpfung einer Krise durchaus helfen. Darum sind sie in einer komplizierten Welt für viele Menschen auch so attraktiv.

Versuchung nach mehr Eingriffen steigt

Die «alte» Welt, wenn so man sie so bezeichnen will, ist deshalb durch die Corona-Krise gleich doppelt unter Druck geraten. Das gestaltet die Eingrenzung der Pandemie umso schwieriger. Zwar haben Länder wie die Schweiz, Deutschland oder die USA die Mittel, um erfolgreich gegen das Virus zu kämpfen. Sie haben Spitäler hochgefahren und sogar das Militär eingesetzt. Sie werden auch Impfstoffe und Medikamente entwickeln. 

Aber vieles scheint trotzdem langsamer abzulaufen als bei den Staatskapitalisten. Die Versuchung, zu Mitteln zu greifen, die in unserer Kultur seit geraumer Zeit nicht mehr populär waren, ist deshalb gestiegen.

Massnahmen bleiben bestehen

Es erscheint relativ einfach, Eingriffe in die freie Gesellschaftsordnung vorzunehmen, selbst in der Schweiz. Diese Eingriffe entwickeln leider einen Hang, an uns kleben zu bleiben. Ein Beispiel: Erst kürzlich, also gut ein Jahrzehnt nach der Finanzkrise, hat die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) ihre Zügel wieder etwas gelockert und ein Kleinbanken-Regime erlassen, weil sie gemerkt hat, dass nicht die gleichen Regeln für alle Finanzinstitute gelten können.

Ein anderes, natürlich ungleich krasseres Beispiel dafür, wie schwer sich selbst Demokratien darin tun, harte Massnahmen zurückzunehmen, ist der Patriot Act der Vereinigten Staaten. Erlassen unter dem Druck der Anschläge von 9/11 geben sie den Behörden sehr weitreichende Rechte zum Eindringen in die Privatspäre. Diese Rechte wurden nie wieder aufgehoben.

Wenn sich nun in der Schweiz die demokratische Auseinandersetzung im Zusammenhang mit dem erhofften Herauffahren von Produktion und Leben zurückmeldet, ist das nur gut. Der Wettstreit um die besten Ideen wird dafür sorgen, dass dadurch auch die Rolle des Staates in der Wirtschaft hinterfragt wird – nach dem grössten staatlichen Eingriff seit dem Zweiten Weltkrieg.

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