Die Schwächen der Finanzaufsicht treten so deutlich zutage wie selten zuvor. Die Defizite sind vom Gesetzgeber gewollt – doch Bankenplatz, Staat und Investoren kommt dies am Ende teuer zu stehen.

Von wegen Berner Langsamkeit. Vergangenen Dienstag setzte Postfinance-Chef Hansruedi Köng zum PR-Konter an, noch bevor der eigentliche Sachverhalt publik war: Heute stehe die Staatsbank viel besser da, gerade im Sinne der Notfallabsicherung, erklärte Köng der Schweizer Börsenzeitung «Finanz und Wirtschaft» (Artikel bezahlpflichtig).

Am Mittwoch Vormittag wurde dann klar, was der Chef der in der Bundeshauptstadt beheimateten Post-Tochter gemeint hatte. Die Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) war im Rahmen ihres jährlichen Resolution-Berichts zum Schluss gelangt, Postfinance verfüge über keinen plausiblen Plan, um einen Notfallplan im Krisenfall umzusetzen. Dies im Gegensatz zu den vier anderen hiesigen Grossbanken, welche die Finma derselben Logik des Schweizer Notfallsplans unterzogen hatte.

Nichts Ungewöhnliches

Natürlich war Postfinance über den Inhalt des anstehenden Berichts vorinformiert. Kommunikativ in die Vorlage zu gehen und wesentliche Punkte des Inhalts zu verraten, war also ein bewusster Akt.

Bei der Postbank will man in der Indiskretion auf Anfrage von finews.ch nichts Ungewöhnliches erkennen. Die Börsenzeitung habe Köng schon vor Wochen wegen des Interviews angefragt, so ein Sprecher des Institut. «Wir haben angeboten, nach der Sondersession des Parlaments für ein Gespräch bereit zu stehen.» Zu diesem Anlass seien verschiedene Themen rund um die Fusion von CS und UBS und den Finanzplatz diskutiert worden, darunter auch aktuelle wie die Regulation, sagt der Sprecher. Tatsächlich hat auch die Raiffeisen-Gruppe schon anlässlich ihrer Bilanzkonferenz vom März auf die Finma-Notfallpläne Bezug genommen.

Sportlich nehmen

Dennoch: man stelle sich dieses Verhalten gegenüber der amerikanischen Börsenaufsicht SEC vor oder schon nur gegenüber der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin). Ein solches Vorpreschen wäre gewiss nicht ohne geharnischte Reaktion geblieben – wenn auch hinter den Kulissen. «Bezüglich der Frage nach allfälligen Konsequenzen bitte ich Sie, sich an die Finma zu wenden», heisst es dazu bei der Postfinance.

Doch die Finma äussert sich nicht zu einzelnen beaufsichtigten Unternehmen. Ja, sie darf dies gar nicht – ausser bei besonderem aufsichtsrechtlichem Interesse. Dem Vernehmen nach nimmt die Behörde die Aktion sportlich. Dies, obwohl Finma-Direktor Urban Angehrn am vergangenen Mittwoch unmissverständlich erklärte, dass gerade die Ereignisse rund um die Rettung der Credit Suisse (CS) zeigten, «wie wichtig konkrete Vorbereitungen für Krisenfälle sind».

Verhältnismässigkeit eingeklagt

Postfinance-Chef Köng kommentierte zu diesen Vorbereitungen mit spöttischem Unterton, das Urteil der der Finma sei «ein wenig veraltet». Der aktuelle Resolution-Bericht stützt sich auf Zahlen von 2021.

Tatsächlich müssen die Finanzaufseher dieser Tage ein dicke Haut entwickeln. Wie auch finews.ch berichtete, klagt die amerikanische Anwaltskanzlei Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan gegen die Finma. Dies, nachdem die Finanzaufseher zur Sicherung der Übernahme der CS durch die UBS Pflichtwandelanleihen (AT1) der Grossbank im Umfang von 15,8 Milliarden Franken abschreiben liessen. Zu den geprellten AT1-Investoren, welche die Verhältnismässigkeit des Finma-Entscheids anzweifeln, zählt auch die Migros-Pensionskasse (MPK). Das ist eines der grössten Vorsorgewerke des Landes.

«In erster Linie den Versicherten verpflichtet»

«In erster Linie sind wir unseren Versicherten verpflichtet», begründet MPK-Geschäftsführer Christoph Ryter. «Ich denke, dass es zum normalen Prozess in unserer Rechtsordnung gehört, dass Verfügungen angefochten werden können, wenn Betroffene den Eindruck haben, dass die verfügende Behörde fragwürdige Entscheide getroffen hat.»

Auch das ist so noch nie dagewesen. Die MPK untersteht zwar nicht der Finma, ist aber mit Sicherheit ein gewichtiger Akteur am Finanzplatz. Die Aufsicht zu verklagen – auch wenn dies mit der treuhänderischen Verantwortung gegenüber den Versicherten begründet wird – sendet ein verstörendes Signal. Mit der ordnenden Kraft am hiesigen Finanzplatz kann man sich offenbar anlegen, als wäre sie eine Partei wie alle anderen auch.

Bussen gefordert

Die Schwächen der Finma treten dieser Tage so deutlich hervor wie selten. Nicht von ungefähr forderte Finma-Präsidentin Marlene Amstad unmittelbar im Nachgang der CS-Rettung griffigere Instrumente für ihre Behörde. So etwa die Möglichkeit, Bussen zu verteilen und Zwangsmassnahmen gegen fehlbare Manager zu verhängen. Ebenfalls beklagte sie, die Aufsicht sei in der Kommunikation der Fälle eingeschränkt. Dies, während Beaufsichtigte munter aus noch nicht veröffentlichten Berichten der Finma zitieren.

Die im Vergleich zu ausländischen Pendants relative Zahnlosigkeit der Behörde ist vom Schweizer Gesetzgeber so gewollt. Doch das bleibt nicht ohne Folgen, wie nun am Beispiel der CS offensichtlich wird.

Auffällig renitent

Zu den Hauptursachen für den Untergang der Grossbank gehört zweifelsohne die Vertrauenskrise, in welche die CS geraten ist. Geschuldet ist diese einer langen Reihe von Skandalen. Allein die Finma hat in den vergangenen Jahren sechs Enforcement-Verfahren gegen das Institut öffentlich gemacht. Diese Verfahren sind mithin das schärfste Instrument im Werkzeugkasten er Aufsicht. Wie Finma-Präsidentin Amstad ausführte, wurden darüber hinaus noch weitere Enforcements gegen die Grossbank geführt, die aber nie publik wurden.

Gegenüber den Verfahren zeigte sich die CS auffällig renitent, zumal unter der Ägide des Ex-Präsidenten Urs Rohner.

Wichtiges Recht

So musst die Finma beim Institut die Einhaltung des Aufsichtsrechts mehrmals mittels Verfügungen durchsetzen, was in der Praxis selten ist, wie Amstad ausführte. Erinnerlich ist, das Thomas Werlen – der Anwalt, der sinnigerweise für die Kanzlei Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan nun AT1-Investoren gegen die Finma vertritt – CS-Präsident Rohner nicht genehm war. Werlen sollte auf Geheiss der Finma die «Spygate»-Affäre um bespitzelte Mitarbeitende bei der Grossbank aufarbeiten. Mit dem Einwand gegen den Anwalt zog die CS bis vor Bundesgericht.

Die Gesetze und Vordnungen, auf die sich die Aufsicht in ihrer Tätigkeit beruft, sind allgemeingültig gefasst. Das macht sie zuweilen interpretationsbefürftig. Das konzediert auch die Finma; der Gang vor die Instanzen wird deshalb als wichtiges Recht angesehen. Doch nicht alle Akteure nehmen dieses Recht mit Augenmass in Anspruch. Die CS, schon damals eine Problembank, verzögerte 2021 lieber ein Aufsichtsverfahren, als an der eigenen (Risiko-)Kultur zu arbeiten. Auch diese Episode hat das Geldhaus nun am 19. März eingeholt.

Die Lasten tragen der Staat, die Nationalbank und die Mitarbeitenden und Investoren von CS und UBS.

Gang vor die nächste Instanz geprüft

Gegen die Finma durch die Instanzen gegangen ist in den vergangen Jahren auch die Postfinance. Streitpunkt ist auch in diesem Fall die Risikovorsorge der Bank. Stark vereinfacht geht es um den zusätzlichen Betrag, welchen die Post-Tochter aus Sicht der Finma vorhalten muss, um Zinsänderungs-Risiken in ihrer Bilanz abzusichern. Die Rede ist von 270 Millionen Franken an Eigenmitteln; die Postbank hat gegen die von der Aufsicht verfügte Erhöhung Beschwerde eingelegt. Dies unter anderem mit der Begründung, dass der Berechnungsgrundlage der Finma die Rechtsgrundlage fehle und diese im Widerspruch stehe zu internationalen Standards.

Die Beschwerde wurde bereits vom Bundesverwaltungsgericht und vom Bundesgericht behandelt. In der neuesten Wendung, in der Postfinance unter anderen bemängelte, die Verfügung sei von der Geschäftsleitung der Finma getroffen worden und nicht von deren Verwaltungsrat, hat nun wiederum das Bundesverwaltungsgericht im April sämtliche Beschwerden der Postbank abgeschmettert. Letztere prüft nun, ob sie das Urteil erneut weiterzieht.

Seilziehen seit 2018

Zwischenzeitlich bleiben die von der Finma monierten Risiken ungedeckt – wie schon in den Jahren zuvor. Wie ein Blick in vergangene Urteile zeigt, wurde das erste Verdikt des Bundesverwaltungsgerichts zur Postfinance-Beschwerde im März 2018 gefällt. Damals war das Geschäftsmodell von Postfinance aufgrunde der Negtivzinsen bereits in Schieflage geraten. Für die Post-Tochter, die immer weniger verdiente, wurde es schwierig, die für ein Krisenszenario für nötig befunden Mittel zu äufnen. Das ging soweit, dass sich der Bund bei der (inzwischen gescheiterten) Revision des Postorganisationsgesetzes verpflichtet hätte, im Notfall bis zu 1,7 Milliarden Franken Kapital in Postfiance einzuschiessen.

Angesichts der Tatsache, dass der Bund der UBS inzwischen mit mindestens 9 Milliarden Franken für Verluste mit der CS garantiert, muss das jeder Steuerzahlerin und jedem Steuerzahler einen kalten Schauer über den Rücken jagen.

Wünsche gehen in Erfüllung

Gegen die Aufsicht prozessieren statt Risiken rasch zu beseitigen: solcherlei Vorgehen könnte der von der CS-Rettung aufgeschreckten Öffentlichkeit künftig in den falschen Hals gehen. Regulation, das lehrt die Vergangenheit, kommt in Wellen. Sie ist stets eine Reaktion auf gerade erlebte Krisenlage. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass das Parlament in den nächsten Jahren die Wünsche von Finma-Präsidentin Amstad wenigstens zu Teilen erfüllen wird.

Dies wird zulasten der anderen gut 230 Banken in der Schweiz gehen, die sich zumeist an die Regeln halten und mit der Aufsicht kooperieren – und zulasten der Kunden, an die der erhöhte Regulierungsaufwand bei den Bankgebühren weitergereicht wird. Sehr viel günstiger wäre es gewesen, von Anfang an einen starken Wachhund zu haben, dem niemand auf der Nase herumzutanzen wagt.

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