Jon Levy: «Das Momentum liegt derzeit klar bei Europa»

Trotz politischer Schlagzeilen rund um Trumps «Liberation Day» steckt die US-Wirtschaft in einem Abschwung. Ökonom Jon Levy erwartet eine moderate Rezession und sieht Europa dank Investitionsprogrammen und wachsendem Vertrauen im Vorteil.

Herr Levy, die US-Wirtschaft steht unter Druck. Was erwarten Sie für dieses Jahr?

Unser Basisszenario geht von einem moderaten Abschwung in den USA aus, da Zölle Investitionen und Lieferketten belasten.

Ist Donald Trumps «Liberation Day» der Grund dafür? 

Schon bevor US-Präsident den «Liberation Day» ausrief, gab es Anzeichen für eine wirtschaftliche Abkühlung und wachsende Sorgen über den wirtschaftspolitischen Kurs. Besonders die anhaltend hohe Inflation war Anlass zur Sorge.

«Jüngste Entwicklungen zeigen, dass eine etwas höhere Inflationsrate nicht zwangsläufig mit wirtschaftlichem Niedergang einhergeht.»

Muss die Inflation zwingend auf 2 Prozent sinken?

Unser wirtschaftliches Denken wird stark von der Vorstellung geprägt, dass Inflation erst dann als unter Kontrolle gilt, wenn sie unter 2 Prozent fällt. Doch das muss nicht zwangsläufig so sein. 

Ist eine höhere Inflation das neue Normal?

Jüngste Entwicklungen zeigen, dass eine etwas höhere Inflationsrate nicht zwangsläufig mit wirtschaftlichem Niedergang einhergeht. Vielmehr scheint eine Anpassung an eine moderat erhöhte Inflation möglich.

Inwiefern belastet der Handelskrieg die US-Wirtschaft zusätzlich?

Der von Trump initiierte Handelskrieg wirft die Frage auf, ob die US-Wirtschaft weiteren Belastungen ausgesetzt sein wird. Die Gefahr ist zweifellos real. Entscheidend wird sein, wie sich die Lage weiterentwickelt. Ein erstes Abkommen wurde bereits geschlossen, und die USA verhandeln mit zahlreichen weiteren Ländern. Auch mit China gibt es wieder Bewegung.

«Eine starke US-Wirtschaft ist auch für Europa vorteilhaft.»

Haben Sie die Reaktionen auf die höheren Zölle überrascht?

Die heftigen Reaktionen unmittelbar nach dem «Liberation Day» waren laut, aber nicht unerwartet. Zölle gehören zu Trumps politischem Repertoire. Zudem war nach den Boomjahren eine wirtschaftliche Abkühlung in den USA absehbar.

Kapitalströme verlagern sich nach Europa. Wie nachhaltig ist diese Entwicklung?

Schon vor dem «Liberation Day» verlagerten Investoren Kapital aus den USA nach Europa. Die Richtung hat sich gedreht: Europa erlebt aktuell eine Aufschwungphase. Ob dieser Trend anhält, bleibt abzuwarten. Der Dax zeigt sich jedenfalls robust. 

Sorgt die neue deutsche Regierung für zusätzlichen Schwung?

Die Lockerung der Schuldenbremse war ein wichtiges Signal. Die Erwartungen an die neue deutsche Regierung sind hoch – nun muss sie zeigen, ob sie diesen gerecht werden kann. Die jüngsten Wahlen haben zumindest politische Klarheit geschaffen. 

Kann man also behaupten, dass die Rahmenbedingungen für Europa derzeit besser sind als für die USA?

Eine differenzierte Betrachtung ist nötig: Eine starke US-Wirtschaft ist auch für Europa vorteilhaft. Derzeit liegt das Momentum jedoch klar bei Europa – dank ambitionierter Investitionsprogramme in Deutschland und auf EU-Ebene. Besonders im Infrastrukturbereich besteht grosser Nachholbedarf, wie der Draghi-Bericht eindrücklich unterstreicht.


Jon Levy ist globaler Stratege bei Loomis, Sayles & Company mit Schwerpunkt auf europäischen Märkten. Er verfügt über 18 Jahre Erfahrung in der Investmentbranche, unter anderem bei der Federal Reserve Bank of New York und der Bank of England.