Die Schweizer Anbieter von Strukturierten Produkten haben im Corona-Crash wohl Dutzende Millionen Franken verloren, wie Recherchen zeigen. Doch die Verluste bleiben bis auf ganz wenige Ausnahmen im Dunkeln.

Wenn die hiesige Derivatebranche über den Corona-Crash berichtet, klingt das geradezu euphorisch. «Die hohe Volatilität an den Börsen belebte das Geschäft bei den Strukturierten Produkten und bescherte diesen im März einen absoluten Spitzenwert von 4’449 Millionen Franken», notierte die Schweizer Börse SIX in ihrem Markreport zum Umsatz im vergangenen März.

Die Anbieter von Hebel-, Kapitalschutz, Partizipations- und Renditeoptimierungs-Produkten haben, so könnte man meinen, auf der Höhe der Börsenturbulenzen den grossen Reibach gemacht. Allen voran die Schwergewichte am Platz, das waren im März nach Umsatz die Grossbank UBS, gefolgt von den Konkurrenten Vontobel, Zürcher Kantonalbank, Julius Bär, Raiffeisen, Credit Suisse und Leonteq.

Die Beichte von Leonteq

Doch das Gegenteil ist der Fall, wie intime Kenner der Schweizer Struki-Szene berichten. Jenen Insidern zufolge haben die Anbieter auf ihren Struki-Positionen erhebliche Verluste eingefahren, wobei die grössten Akteure auch das meiste Geld verloren. Bei der UBS, so eine Quelle, sollen die Verluste an die 100 Millionen Franken betragen.

Auf Anfrage wollte dies die Marktführerin nicht kommentieren. Die Branchen-Lobby, der Schweizerische Verband für Strukturierte Produkte (SVSP), zeigt sich auskunftsfreudiger: «Natürlich war auch die Struki-Branche von den Marktverwerfungen aufgrund von Covid-19 betroffen.» Die Branche habe aber noch nie gesehene Volatilitäten und Volumina grösstenteils problemlos gemeistert und die Liquidität sei gesichert gewesen: «Diesen Härtetest hat die Struki-Branche bestanden», so der Verband.

Nur eine Anbieterin hat über Verluste berichtet, und dies schon am 9. April. Damals quittierte die Derivate-Spezialistin Leonteq in einem «Geschäftsupdate» die Prognose fürs Jahr 2020. Die Finanzfirma, bei der «Strukis» das Kerngeschäft stellen, kündigte fürs erste Halbjahr 2020 stattdessen ein Ergebnis auf Breakeven-Niveau an.

Französische Riesen im Minus

Die Begründung: Leonteq erlitt Hedging-Verluste wegen des Ölpreis-Schocks und den unerwarteten Annullierungen bereits angekündigter Dividenden, welche die Cashflows der zu Absicherungszwecken gehaltenen Beteiligungen beeinträchtigten. Ausserdem verteuerten sich in einem zunehmend illiquiden Absicherungsmarkt die Hedging-Kosten für gefährdete Positionen, so Leonteq im Report.

Im nahen Ausland klang es ähnlich. Die französischen Grossbanken BNP Paribas und Société Générale vermeldeten letzten April Verlust von je gegen 200 Millionen Euro auf Aktien-Derivaten. Beide französischen Institute sind in der Schweiz Mitglieder des SVSP, allerdings auf Platz 10 und 14 im Umsatz-Ranking. Den Marktkennern zufolge gab es aber auch für die anderen Anbieter letzten März kein Entrinnen.

Dreifacher «Whammy»

Denn die Branche sei einem dreifachen «Whammy» von Verlusttreibern ausgesetzt gewesen. An den Aktienbörsen habe die Korrelation wie auch die Volatilität massiv zugenommen. Dies, während viele Unternehmen von den Derivate-Anbietern bereits eingepreiste Dividenden überraschend sistierten oder absagten.

«Gegen Volatilität kann man sich bis zu einem gewissen Grad absichern, gegen Dividendenausfälle auf Einzeltiteln nur unzureichend und gegen Korrelation gar nicht», berichtet ein Insider. In der Folge standen die Anbieter ziemlich nackt da, wenn sie nicht viel Geld für spezielle Absicherungen ausgeben wollten. Und weil die Banken auf den Derivaten so genannten Market-to-Market Bewertungsregeln unterliegen, konnten sie die Verluste nicht aussitzen und mussten die Positionen reduzieren.

Unglaubliches Glück

Doch seither hat die Struki-Branche schier unglaubliches Glück gehabt. Die konzertierten Aktionen von Staaten und Notenbanken bewirkten eine weltweite Börsenerholung. In der Schweiz stieg der Leitindex SMI seit Mitte vergangenen März um mehr als 23 Prozent an; auf Jahr 2020 besehen notiert der Zähler nur noch gut 4 Prozent im Minus. Ein eindrückliches Comeback, das die Derivate-Schmieden bestimmt zu nutzen wussten.

Laut den Branchenkennern sind die Scharten vom März mittlerweile beinahe ausgewetzt. Bis zum Abschluss des ersten Halbjahres Ende Juni könnte es gelingen, die Lücke ganz zu schliessen. Dies dürfte dazu führen, dass eine der grössten Verluststrähnen der Szene gegen aussen gar nie sichtbar wird. So liegt die Bank Vontobel wohl richtig, wenn sie zu finews.ch sagt: «Die Märkte waren herausfordernd, aber wir sind gut durch diese Zeit navigiert.»