Ein zehn Jahre zurückliegender Fall von sexueller Belästigung bei der Credit Suisse ist nochmals aufgearbeitet worden. Fazit: «Zero Tolerance» hat bei der Schweizer Grossbank seine Grenzen.

William Cohan ist einer der angesehensten Reporter in den USA und ein respektierter Wall-Street-Insider. Zwei Jahre lang recherchierte und schrieb er an dem 2018 bekannt gewordenen Fall einer sexuellen Belästigung bei der Credit Suisse (CS) in London, der nun von der «Foundation of Financial Journalism» veröffentlicht wurde.

Der Fall: Ein CS-Investmentbanker und Managing Director soll eine Mitarbeiterin in einer Bar nach der Arbeit sexuell belästigt haben. Die Mitarbeiterin hatte – ermutigt durch die MeToo-Bewegung – Anfang 2018 persönlich an den damaligen CS-CEO Tidjane Thiam geschrieben, frustriert über die mangelhafte Aufarbeitung des Vorfalls durch die Londoner Polizei und der CS.

Bezeichnend für die Banking-Kultur

Cohan nahm sich der Geschichte an. Zwei Jahre lang kämpfte er dabei auch mit Anwälten des Investmentbankers, welche dieser in drei verschiedenen Ländern engagiert hatte.

Der Vorfall von 2010 hatte acht Jahre danach in der britischen Presse aus zwei Gründen nochmals viel Publizität erlangt: Erstens ist er bezeichnend für die Kultur im Banking, wo Frauen bislang noch nicht den Mut gefunden haben, gegen den Sexismus ihrer Arbeitskollegen aufzubegehren, wie das in der Unterhaltungs- und Medienbranche geschehen ist.

Zweitens machte zu dieser Zeit ein mutmasslicher Vergewaltigungsfall bei der UBS in London Schlagzeilen. Auch waren eine junge Mitarbeiterin und ein Senior Banker involviert gewesen. Die UBS hat den Fall inzwischen in einem Vergleich beilegen können.

Entlassung ohne Angabe von Gründen

Das Opfer des CS-Bankers hatte wiederholt versucht, dass die damaligen Geschehnisse von der Polizei und der Bank genauer untersucht werden. Sie hatte die CS bereits 2010, wenige Monate nach dem Belästigungsvorfall in der Londoner Bar, verlassen. Der mutmassliche Täter war erst im August 2018 von der CS entlassen worden, nachdem CEO Thiam und Compliance-Chefin Lara Warner den Fall erneut untersucht hatten.

Die Entlassung des Investmentbankers war notabene ohne die Angabe von Gründen seitens der CS erfolgt: Aus diesem Grund durfte der Banker alle seine gesperrten Boni behalten.

Der CS Informationen vorenthalten

Dieser hatte in einem Gespräch mit dem Journalisten Cohan erzählt, dass er die CS-Mitarbeiterin an intimen Stellen betatscht hatte, dies aber einvernehmlich geschehen sei. Das hatte er auch in den Einvernahmen durch die Londoner Polizei gesagt. Befragt durch die CS, hatte er nur von Küssen gesprochen. Erst Compliance-Chefin Warner fiel diese Diskrepanz bei ihrer Überprüfung auf.

Die CS und CEO-Thiam hatten in der Folge viel Lob für die endlich erfolgte Aufarbeitung des Falles erhalten. Warner war zum Schluss gekommen, dass es sich in der Londoner Bar bei in der Tat nicht um eine einvernehmliche Flirterei zwischen den zwei CS-Mitarbeitern gehandelt habe, sondern um einen Verstoss durch den Investmentbanker.

Ankündigung: «Zero Tolerance»

Die CS entliess nicht nur ihn und einen Mitwisser, sie bot auch an, 100'000 Dollar in eine wohltätige Organisation zu zahlen, welche das Opfer wählen durfte. Ausserdem beförderte die CS Antoinette Poschung, die HR-Chefin, in die Geschäftsleitung. Künftig werde die CS eine «Zero Tolerance»-Haltung bei Vorkommnissen dieser Art an den Tag legen.

Doch in Cohans Artikel wird deutlich, dass die CS ihre eigenen Interessen und die des Opfers sorgsam gegeneinander abgewogen hat und «Zero Tolerance» eigenwillig auslegt. Denn der entlassene Investmentbanker ging als sogenannter «good leaver», das heisst, der Fall sexueller Belästigung erscheint nicht in seinen Personaldaten und er konnte den Anspruch auf seine gesperrten Boni durchsetzen. Dies, nachdem er juristisch gegen die CS vorgegangen war.

CS reagiert

Das Opfer äusserte sich gegenüber Cohan, die CS habe es einmal mehr vorgezogen, sich eben nicht gänzlich zu einem Fall sexueller Belästigung in der Bank zu bekennen. Die Frau lehnte das Spendenangebot der CS ab. Sie wolle nicht für einen offensichtlichen und oberflächlichen PR-Trick missbraucht werden.

Die CS schrieb in einem Statement an finews.ch, sie erwarte von ihren Mitarbeitern höchste Verhaltensstandards und behandle Vorwürfe in Bezug auf Belästigung oder Körperverletzung mit äusserster Ernsthaftigkeit. Die CS habe die Richtlinien und Prozesse nach der Berufung von Poschung ins Top-Management überprüft, um sicherzustellen, dass diese Art von Fällen gründlich und mit Sorgfalt behandelt würden.

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