Die Kurse von Aktien und Anleihen der Credit Suisse geben immer weiter nach. Heute absolviert Bankpräsident Axel Lehmann einen viel beachteten Auftritt in London. Ist er der richtige Mann, um die Negativspirale zu durchbrechen?

Vergangene Woche noch sprach Axel Lehmann an der Hochschule St. Gallen (HSG) anlässlich der feierlichen Eröffnung des Center for Financial Services Innovation (FSI-HSG). «Gut ausgebildete junge Menschen sind zentral für die Schweiz und die Credit Suisse», sagte der Präsident der Schweizer Grossbank, die als Partnerin des neuen Instituts den Aufbau mehrerer Professuren finanziert hat.

Obwohl Lehmann nicht direkt auf die Situation bei der Credit Suisse (CS) Bezug genommen habe, sei sein Auftritt so souverän und ruhig gewesen, dass man nur staunen konnte, berichtet ein Teilnehmer der Veranstaltung. «Das Publikum im Saal dürfte mit dem Eindruck nach Hause gegangen sein, dass es um die CS doch nicht so schlimm steht», sagt die Quelle.

Schräger Aufritt des Ex-Chefs

Am heutigen Donnerstag um zwölf Uhr Mittags muss Lehmann nun jenes Wunder von St. Gallen wiederholen. Dann tritt der 63-jährige Schweizer Banken- und Versicherungsexperte am Bankengipfel der britischen Zeitung «Financial Times» in London auf. Er wird sich dort den Fragen des Gastgebers und des Publikums stellen müssen – eine ideale Chance, um erneut Gelassenheit angesichts Lage «seiner» Bank zu demonstrieren. Die Breitenwirkung des Aufritts in den angelsächsischen Regionen dürfte beträchtlich sein.

Sinnigerweise war die CS an diesem Gipfel schon am (gestrigen) Mittwoch in aller Munde gewesen. Der frühere CEO Tidjane Thiam unternahm es dort etwa, sich in einem mehr als schrägen Auftritt von der Krise beim Geldinstituts reinzuwaschen. Debakel wie jenes um die Pleite der New Yorker Finanzfirma Archegos und um die zwangsgeschlossenen Greensill-Fonds seien nicht unter seiner Ägide geschehen, betonte Thiam.

Er selber hatte allerdings im Februar 2020 unter Druck als Bankchef abtreten müssen, nachdem der Skandal um die Bespitzelung von CS-Mitarbeitenden immer weitere Kreise gezogen hatte.

CDS-Spreads auf Rekordhöhen

Ebenfalls kam Colm Kelleher, Lehmanns Pendant bei der Erzrivalin UBS, an der Konferenz zu Wort. CS-Kunden würden proaktiv auf die UBS zukommen, berichtete er. Hingegen wolle die UBS nicht aktiv auf Kosten der Konkurrentin profitieren.

Derweil sind die Papiere der CS immer mehr in einen Abwärtsstrudel geraten. Im Vergleich zum Schlusskurs vom vergangenen Freitag hat der Aktienkurs seither mehr als 10 Prozent eingebüsst und die 3-Franken-Marke nicht mehr nach oben durchbrechen können. Die Anleihenkurse der CS kamen ebenfalls unter Druck und näherten sich den Tiefs vom vergangenen Oktober an. Dies, während die Ausfallversicherungen (CDS) für die Bonds der Bank neue Rekordwerte erklommen.

Es wird nun erwartet, dass Lehmann am heutigen Mittag in London zu diesen Verwerfungen Stellung nimmt.

«Wenn Blut im Wasser ist, kommen die Haie»

Auf ihn wartet am Gipfel ein kommunikatorisches «High Noon» («zwölf Uhr mittags»). Wie im Western-Klassiker aus dem Jahr 1952 wird die CS von den Investoren scheinbar im Stich gelassen. Dies, obschon die aktuellen Kursabgaben vor allem technisch bedingt sind. Mit dem Beginn des Bezugsrecht-Handels nach der Kapitalerhöhung von vergangener Woche war mit Druck auf den Aktienkurs zu rechnen.

Weil an der Ausübung der Bezugsrechte wiederum der Erfolg der Kapitalerhöhung und damit der Turnaround der Bank hängt, dürften auch die Anleihen-Investoren nervös geworden sein. Die Volatilität in den Kursen wiederum ist ein gefundenes Fressen für Spekulanten.

«Wenn Blut im Wasser ist, kommen die Haie», folgerte Kreditanalyst Guido Versondert von der Zürcher Research-Boutique Independent Credit View (I-CV) gegenüber finews.ch. Andere Marktbeobachter machen sich hingegen Sorgen, dass Kleinanleger aufgrund der jüngsten Historie der CS davon absehen könnten, neue Aktien zu beziehen.

Zielscheibe von Meme-Anlegern

Die Probleme der CS haben wie schon Anfang vergangenen Oktober eine Eigendynamik angenommen. Damals war die zweitgrösste Bank des Landes zur Zielscheibe von Meme-Anlegern geworden, die auf den Sozialen Medien Katastrophenmeldungen über das Institut verbreiteten. Diese Berichte waren zwar völlig unfundiert. Sie setzten das Management der CS jedoch unter Zugzwang. Wenige Tage später verkündete die Bank, eigene Schuldpapiere im Wert von rund 3 Milliarden frühzeitig zurückkaufen zu wollen.

Das führte dann zu einer Beruhigung – bis jetzt. Inzwischen handelt die Aktie nochmals 26 Prozent tiefer als zum Zeitpunkt des Oktober-Tiefs.

Einmals mehr ist auch die kommunikative Situation unberechenbar. Anders als im Oktober sind es nun aber vor allem angelsächsische Leitmedien wie «Forbes» oder die «Financial Times» sowie die Agenturen «Reuters» oder «Bloomberg», die atemlos über die Entwicklungen bei der Schweizer Bank berichten. Damit hat die Krise der CS auch in dieser Hinsicht eine globale Dimension erreicht.

Kontakt zur Wallstreet entscheidend

Ob dieser Entwicklung mit Gelassenheit und schweizerischer Gewissenhaftigkeit beizukommen ist, muss sich allerdings noch weisen. CS-Präsident Lehmann mag aufgrund seiner Karriere bei Schweizer Finanzkonzernen wie Zurich, der UBS und nun der CS hierzulande gut vernetzt sein. Doch um Druck von den Kursen der Bank zu nehmen, ist nun der Kontakt zu den Grossinvestoren und Profispekulanten in London und an der Wall Street wohl weit wichtiger. Der Auftritt an der Themse geht da in die richtige Richtung.

Dieser Vorlage sollten Präsident Lehmann und CEO Ulrich Körner – dieser ist Deutscher und Schweizer Staatsangehöriger – bald weitere Auftritte auf der internationalen Bühne folgen lassen. Ansonsten wird die neue «Swissness» an der Spitze zur Hypothek für das Geldhaus.