Die Credit Suisse ist auch wegen eigenmächtigen Bankern in die heutige Bredouille geraten. Drei Fälle dokumentieren diese Entgleisungen ganz genau – und zeigen, wie dringen ein Kulturwandel bei der Grossbank ist.

«Jeder Banker muss im Herzen ein Risikomanager sein»: Das ist das Mantra von António Horta-Osório, des neuen Präsidenten der Credit Suisse (CS). Wie er vergangenen Juli öffentlich erklärte, muss die Bank eine Kultur der persönlichen Verantwortung entwickeln.

Die Äusserungen des Bankpräsidenten stehen vor dem Hintergrund des Doppel-Debakels um die Pleite der New Yorker Finanzfirma Archegos Capital und um die Schliessung der CS-Greensill-Fonds. Horta-Osório hält dabei den Finger auf den wunden Punkt: Während die Bank die offensichtlich gewordenen Mängel im Umgang mit Risiken mit Hochdruck zu schliessen sucht, ist es letztlich die «Kultur der Verantwortung», die im Fall neuerlicher Lücken Schlimmeres verhindert.

«Unguided missile» und kriminellen Machenschaften

Doch der Präsident sagte es richtig – diese Kultur muss bei der CS erst entwickelt werden. Denn einige Fälle zeigten ein anderes Verhalten: (Ex)-CS-Banker, die Warnsignale und Weisungen wissentlich in den Wind schlugen und stattdessen ihr Geschäft durchzogen. Drei dieser Fälle sind aktuell und bestens dokumentiert – das Spektrum reicht von der «unguided missile» bis zu kriminellen Machenschaften.

finews.ch lässt sie nochmals Revue passieren, weil die Lehren daraus für die nächsten Monaten entscheidend sein werden. Es handelt sich um die Geschehnisse rund um Archegos Capital, um den Arbeitsstreit mit der Ex-CS-Bankerin Ellina Volkova sowie um die Betrugsaffäre um dem verstorbenen «Russen-Banker» Patrice Lescaudron.

Wie ein Rennwagen

Klar: es handelt sich um Negativbeispiele, die nicht für die Gesamtheit der gegen 49’000 CS-Mitarbeitenden stehen können. Dennoch bestimmen sie mit, wie die zweitgrösste Bank nach aussen hin wahrgenommen wird, und haben teils handfeste Folgen fürs Unternehmen. Weiter zeigt sich, dass die selbsternannte «Unternehmerbank» bei ihrem eigenen Credo ansetzen muss – denn falsch verstandenes Unternehmertum verleitet dazu, Leitplanken zu ignorieren.

Horta-Osório sagte es so: «Es ist wie ein Rennwagen. Fährt man ihn mit voller Geschwindigkeit auf einer Landstrasse, hat man sicher einen Unfall.»

1. Archegos: Investmentbanker am Limit

Halsbrecherisch unterwegs waren die Investmentbanker, die im Bereich Prime Brokerage die Aktienwetten von Archegos finanzierten. Dies dokumentiert der vergangenen Juli von der Bank veröffentlichte «Paul Weiss»-Bericht auf mehr als 170 Seiten, der seither auch von finews.ch wiederholt analysiert worden ist (etwa hier und hier).

Zurecht einen Fokus legt der Bericht auf das Missachten von Warnsignalen an der Kundenfront. Das operative Geschäft (und auch das Risikomanagement) hatten genügend Hinweise und Zeit, um einzuschreiten, bevor es vergangenen März zum katastrophalen Verlust von über 5 Milliarden Franken für die CS kam, urteilten die Autoren. Praktisch seit der Gründung von Archegos 2012 hatte die Geschäftsbeziehung mit der CS Bestand, und die Banker liessen sich durch nichts abschrecken: Nicht von der Tatsache, dass Archegos-Gründer Bill Hwang 2012 wegen Insider-Handels verurteilt wurde, und auch nicht, dass die Finanzfirma seit 2017 regelmässig von der Bank gesetzte Limiten riss.

Im Gegenteil. Ab 2019 wurde noch weniger Marge als Sicherheit von Archegos verlangt, was den Kunden dazu veranlasste, mehr Volumen bei der CS zu platzieren. Anfang 2020 wurde gar die Verlässlichkeit der Margensignale in Zweifel gezogen, weil es zu so vielen störenden Überschreitungen kam. Lieber verliess man sich auf Aussagen des Kunden. Der versicherte stets, alles sei in bester Ordnung, und Archegos tätige ähnliche Geschäfte mit der Konkurrenz. Erst im Februar 2021 wurde es der Kundenfront zu brenzlig. Sie versuchte, höhere Sicherheitsmargen einzuführen.

Doch Archegos reagierte schlicht nicht auf die Forderung – und die Investmentbanker lenkten wieder ein. Die CS erklärte sich letzten März bereit, für weitere zwei Jahre rund 13 Milliarden Dollar an Aktienpositionen zumeist zu bestehenden Margen zu finanzieren. Es sollte das letzte Entgegenkommen gewesen sein.

2. Arbeitsstreit in London: andersrum

Rein monetär viel günstiger ist die CS im Arbeitsstreit mit der Ex-Angestellten Ellina Volkova davongekommen. Das Urteil im Fall, der drei Jahre zurückgeht, ist in London Anfang Woche gefällt worden. Zuungunsten der Grossbank, wie auch finews.ch berichtete. Die Gerichtsunterlagen legen jedoch minutiös die Ereignisse offen, die der Trennung zwischen Bank und Bankerin vorangegangen sind. Das macht den obskuren Fall für die Frage nach der Risikokultur erhellend.

Im Sommer 2018 hatte Volkova ein «ungeeignetes» und Finanzprodukt verkauft, ohne zuvor die Erlaubnis des Compliance-Teams einzuholen. Die Bank machte im nachhinein das Geschäft rückgängig, was zu einem Verlust von 22’000 Schweizer Franken fürs Institut führte.

Schon zuvor hatte die gebürtige Russin offenbar gegen interne Regeln verstossen. Sie war von den Vorgesetzten deshalb unter Aufsicht gestellt worden. Dazu gehörte, dass sie nur unter Beisein eines Kollegen mit Kunden telefonieren durfte. Anders als im Falle Archegos waren die Weisungen von Risikomanagement und Vorgesetzten eindeutig.

Auch, als es um den Verkauf eines Produkts an einen superreichen russischen Kunden ging: der Handel verstiess gegen das Risikoprofil des Klienten, wie man der Bankerin beschied. Den Unterlagen zufolge zog sie den Deal dennoch und auf eigene Faust durch: Sie telefonierte dem Kunden und liess diesen die Transaktion bestätigen.

Als die Vorgesetzten dies einige Tage später realisierten, war die Konsternation gross. «Wow», schrieb ein Kader in einer E-Mail, «das bereitet mir noch mehr Sorgen. Sie hat nichts vom Verkauf erzählt, was zeigt, wie schlecht sie das Regelwerk versteht – zuerst ist die Eignung abklären, erst dann darf verkauft werden. Nicht andersrum. Seufz…»

Weil sich die Untersuchung des Vorfalls, der schliesslich die Kündigung nach sich zog, so lange hinzog, erklärte das Gericht nun die Entlassung für nicht gerechtfertigt. Allerdings anerkannte es auch, dass die Ex-Bankerin mit einem «Mangel an Transparenz, der Unehrlichkeit einschliesst» agiert habe.

3. Patrice Lescaudron: Starrummel

Definitiv im Bereich der kriminellen Machenschaften bewegte sich der ehemalige CS-Kundenberater Patrice Lescaudron in einem aufsehenerregenden Betrugsfall, der die Bank bis heute in Atem hält. Von 2011 an betreute der gebürtige Franzose von Genf aus Vermögen für den Georgischen Ex-Premier Bidzina Ivanishvili und weiteren Oligarchen. Doch dieser «Russen-Banker» zweigte dreistellige Millionenbeträge von diesen Vermögen ab. Dies teils in die eigene Tasche und in Strukturen, die er neben der Bank aufgebaut hatte. 2015 wurde er von der CS fristlos entlassen.

Lescaudron wurde in der Folge von einem Genfer Gericht 2018 wegen gewerbsmässigem Betrugs, schwerer Untreue, Misswirtschaft und Fälschung von Wertpapieren zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Vor einem Jahr nahm er sich tragischerweise das Leben. Doch der Fall Lescaudron ist damit nicht vom Tisch. Die Opfervereinigung «CS Victims» um Ivanishvili macht Schadenersatz-Forderungen von bis zu 1 Milliarde Dollar geltend – und will dieses Geld bei der CS holen, der sie mangelnde Kontrollen vorwirft.

Das Institut hat sich in der Vergangenheit stets auf den Standpunkt gestellt, ebenfalls von Lescaudron getäuscht worden zu sein. Er sei bei seinen strafbaren Handlungen von niemandem intern unterstützt worden. Im Herbst 2018 war die CS der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) gerügt worden, weil sie den Banker unzureichend kontrollierthabe.

Dem Opfer-Lager ist auch ein «geleakter» Prüfbericht zuzuordnen, der letzten Februar in Umlauf gebracht und ursprünglich im Jahr 2017 von der Schweizer Kanzlei Geissbühler Weber & Partner im Auftrag der Finma erstellt worden ist. Dieser zeichnet die Lescaudron-Affäre auf mehr als 250 Seiten minutiös nach, und verzeichnet Hunderte von Warnhinweisen, die im untersuchten Zeitraum von 2009 bis 2015 von der Bank nicht vollständig überprüft worden seien. Allerdings hält der Report auch fest, dass niemand sonst sich strafbar gemacht habe, und dass die CS im Nachhinein mit zwei Massnahmepaketen die Löcher erfolgreich gestopft habe.

Auch dieser Bericht malt das Bild eines Bankers, der sich wenig um Vorschriften scherte. Gegen den 2004 zur CS gestossenen ehemaligen Verkäufer von Drogerieartikeln wurde bei der CS zwischen 2008 und 2013 vier Disziplinarmassnahmen ergriffen, sein Lohn wurde teils gekürzt, und die Ernennung zu erlauchten Rang eines Managing Directors verwehrt. Seit 2011 war in der Bank bekannt, dass sich Lescaudron über Vorschriften hinwegsetzte, auf eigene Faust Transaktionen abschloss und Kundendokumente nicht sicher genug aufbewahrte. Hart durchgegriffen gegen ihn wurde nicht.

Der Bericht stellt dies in Zusammenhang mit dem Superstar-Status, den der Franzose bei den Kollegen in Genf damals genoss. In sieben Jahren verdiente der Russen-Banker 54 Millionen Franken für seine Arbeitgeber und war ab 2011 unter den drei Top-Performern innerhalb der Bank. Um ihn bei der CS zu halten, gingen sie seinen Übertretungen nicht nach und sahen von schweren Strafen ab, so die Prüfer. Massnahmen wie ein «ring fencing», die Lescaudron im Schach halten sollte, wurden von Vorgesetzten nicht richtig umgesetzt. Auch die Chefs setzten sich offenbar über Weisungen hinweg.

Lescaudron selber hegte wenig Zweifel an seinem Tun. In Selbsteinschätzungen erteilte er sich wiederholt Bestnoten, wie auch aus dem Report hervorgeht.

Fokus aufs Risikomanagement

An den Folgen dieser Entgleisungen nagt die Grossbank noch heute. Die CS Victims kreisen das Institut weltweit mit Klagen ein. Mithilfe des umtriebigen Schweizer Beraters und Lobbyisten Thomas Borer versuchen die geprellten Oligarchen seit vergangenem April, den Druck auf die Grossbank auch hierzulande zu steigern. Das Fall Archegos ist selbstredend Wasser auf diese Mühle.

In Reaktion auf Archegos und Greensill hat die CS derweil den Fokus vorerst auf die Erneuerung des Risikomanagements gelegt. «Credit Suisse hat am 29. Juli zum Paul-Weiss-Bericht öffentlich Stellung genommen und die konkreten Massnahmen zur Stärkung des Risikomanagements aufgezeigt. Mit der Umsetzung der Massnahmen wurde bereits begonnen», kommentierte ein Sprecher auf Anfrage. Interimistisch befasst sich Joachim Oechslin als Risikochef mit Aufgabe. Er soll bis nächsten Februar vom Goldman-Sachs-Banker David Wildermuth auf dem Posten abgelöst werden.

Kultur dauert ewas länger

Laut der Bank wurden unter Oechslin unter anderem Funktionen getrennt und Stellen neu besetzt, sowie rund 20 neue Jobs im Kreditrisiko-Bereich geschaffen. In Sachen Risikokultur hat sich das Institut indessen mehr Zeit ausgebeten. Schon installiert wurde ein neuer Risiko-Ausschuss in der Geschäftsleitung, da die Bank richtigerweise festhält, dass die Unternehmenskultur bei den Senior-Führungspositionen beginnt. Mit Blick auf die drei genannten Fälle bleibt für die CS zu hoffen, dass der Wandel rasch genug an der Front ankommt.

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