In knapp einer Woche beginnt in Zürich der Strafprozess gegen Pierin Vincenz und sechs weitere Beschuldigte. Noch einmal wird dort vorgeführt, wie der einstige CEO die Machtverhältnisse bei den Raiffeisen-Banken auf den Kopf stellte.

Die Anekdote soll sich so vor Jahren zugetragen haben. Damals wirkte Pierin Vincenz als viel beachteter CEO von Raiffeisen Schweiz und liess die Konkurrenz gerne die geballte Macht der über 200 Genossenschaftsbanken spüren.

Das wurmte einen anderen Bankchef, und der soll Vincenz beim gemeinsamen Bier ein Dreieck auf eine Serviette gezeichnet haben: «Sie her, in meiner Bank, da bin ich hier oben an der Spitze», erklärte er dem Bündner Banker. Dann drehte er die Serviette, so dass das Dreieck auf dem Kopf stand, mit der Spitze nach unten: «Bei Raiffeisen, da bist du eigentlich zuunterst.»

Das sass, denn der ungenannte Banken-CEO hatte natürlich recht. Raiffeisen Schweiz funktionierte schon damals als Zuliefererin und Service-Gesellschaft der Raiffeisen-Banken, und der Form nach gaben deren Delegierte dort den Ton an.

Ein Imperium gezimmert

Bekanntermassen ist es Vincenz aber in seiner Zeit als Chef von Raiffeisen Schweiz gelungen, das Dreieck umzudrehen: Von 1999 bis 2015 führte er die Grossbanken-Gruppe mit uneingeschränktem Einfluss und zimmerte ein Imperium, das auf seinem Höhepunkt unter anderem das Fondshaus TCMG, die Privatbank Notenstein, Beteiligungen am Versicherer Helvetia und am Zürcher Derivate-Spezialisten Leonteq umfasste. Jeder dieser Wachstumsschritte trug jeweils dazu bei, seine Macht zu zementieren.

Am Raiffeisen-Prozess, der am Zürcher Bezirksgericht am kommenden Dienstag beginnt, wird jene Zeit des imperialen Einflusses nochmals ausführlich zu Sprache kommen.

Vincenz, sein langjähriger Vertrauter Beat Stocker sowie fünf weitere Personen müssen sich dort den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft stellen. Die Beschuldigten bestreiten die Anschuldigungen; für sie alle gilt die Unschuldsvermutung.

Haft gefordert

Im Strafprozess, bei dem Raiffeisen Schweiz als Privatklägerin auftritt, bezichtigt die Zürcher Staatsanwaltschaft den Ex-Banker unter anderem des gewerbsmässigen Betrugs, der Veruntreuung und der ungetreuen Geschäftsbesorgung.

Dies in Zusammenhang mit Schattenbeteiligungen, welche Vincenz und andere Beschuldigte bei Firmenübernahmen zwischen 2006 und 2017 mutmasslich aufgebaut hatten; zudem soll Vincenz Restaurant- und Cabaret-Besuche sowie Reisen im Umfang von Hunderttausenden Franken als Spesen verrechnet haben. Diese Ausgaben waren laut Anklage aber nicht geschäftsmässig begründet.

Die Ankläger fordern neben millionenschweren Rückerstattungen eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren, abzüglich der 106 Tage, die der heute 65-Jährige im Jahr 2018 in Untersuchungshaft verbrachte.

Diskreter Beleg

Die Gerichtsunterlagen sind dabei auch ein Zeugnis jenes enormen Einflusses, den Vincenz bei den Raiffeisenbanken ausübte. Folgt man der Anklage, ist es ihm zuweilen durch blosses Wort gelungen, Vorgesetzte in eine andere Richtung schauen zu lassen, und Untergebene auszubremsen. Auf die Vorwürfe im Detail angesprochen, wollte sich die Verteidigung von Vincenz nicht gegenüber finews.ch äussern.

Frappant sind dazu die Schilderungen der Anklage zu den Cabaret-Besuchen Vincenz’, die dieser seiner Arbeitgeberin Raiffeisen Schweiz in Rechnung stellte und die der damalige Raiffeisen-Präsident Johannes Rüegg-Stürm zu genehmigen hatte.

Ein Besuch im Februar 2014 im Strip-Club «King’s Club» im Zürcher Bankenviertel soll Vincenz mit dem Hinweis auf ein Geschäftsessen eingereicht haben; die Kreditkarten-Quittung vermerkte die Ausgabe in der Höhe von 2’800 Franken diskret als «Börse - Restaurationsb., Zürich».

Nachtessen im Strip-Club

Auf Basis dieser Angaben und auf das Wort seinen langjährigen CEO ging Rüegg-Stürm davon aus, dass es sich tatsächlich um ein Nachtessen gehandelt habe – und setzte seine Unterschrift unter die Rückerstattung.

Die Zeitung «NZZ am Sonntag» (Artikel bezahlpflichtig) zitierte jüngst aus Einvernahme-Protokollen, wie Rüegg-Stürm die Vorgänge im Nachhinein beurteilte: «Das sind keine geschäftsbedingten Auslagen. Das hat nichts mit Repräsentationsspesen, Vernetzung, Aufbau von Markenwert zu tun.»

Aufstand der Delegierten

Rüegg-Stürm war im Jahr 2018 unter Eindruck der Vincenz-Affäre gezwungen, als Präsident zurückzutreten. Was folgte, war ein eigentlicher Aufstand der Delegierten mit dem erklärten Ziel, Raiffeisen Schweiz wieder in seine Schranken zu verweisen. Unter dem im selben Jahr neu gewählten Raiffeisen-Schweiz-Präsidenten Guy Lachappelle wurde die Zentrale am roten Raiffeisenplatz in St. Gallen auch personell zurückgestutzt und Dienste zurück in die Region verlagert.

Noch letztes Jahr verselbstständigten sich auf Geheiss der Delegierten sechs Banken, die zuvor als Filialen von Raiffeisen Schweiz fungiert hatten.

Nicht mehr erwünscht

In der nämlichen St. Galler Zentrale wirkte 2011 auch ein Experte für Firmenübernahmen, der den geplanten Einstieg von Raiffeisen Schweiz bei der Beteiligungsfirma Investment zu beurteilen hatte – eine jener Firmen, bei der Vincenz laut Anklage eine Schattenposition aufgebaut haben und mutmasslich in die eigene Tasche gewirtschaftet haben soll.

Der Experte äusserte allerdings Zweifel an der Bewertungsmethode und am Vorgehen von Raiffeisen Schweiz – worauf sein CEO Vincenz bedeutet haben soll, man solle es jetzt einfach einmal so probieren.

In den folgenden Jahren kamen dem Experten bei Bewertungsrechnungen erneut Zweifel, und forderte im Rahmen von Verhandlungen über den Kauf von verbleibenden Minderheitsanteilen von Investnet im Jahr 2014 Korrekturen; diesmal geriet er laut der Anklage persönlich mit Vincenz aneinander, worauf der CEO erklärte, der Fachmann für Bewertungen sei nicht mehr im Handlungsteam erwünscht. Auch dem wurde von den Beteiligten in der Folge entsprochen.

Ein Denkzettel

Mit dem stillen Gehorsam ist es mittlerweile bei der Raiffeisen-Gruppe weitgehend vorbei. Bei der Überwindung der Spätfolgen der Vincenz-Affäre – der als «Aufräumer» bestellte Lachappelle stolperte über eine Liebesaffäre und trat im vergangenen Sommer überstürzt zurück – haben die Genossenschaftsbanker zwar einen weiteren Rückschlag erlitten.

Bei der Wahl des Lachappelle-Nachfolgers Thomas Müller zeigten sie sich jedoch letzten Dezember aufmüpfig: Am Ende des Wahlprozesses erhielt Müller nur 76 Prozent der Stimmen der Vertreterinnen und Vertreter der Raiffeisenbanken. Ein Denkzettel der Delegierten und ein Zeichen, dass sie die Medienberichte über Finanzaffären bei Müllers früheren Karrierestationen durchaus wahrgenommen hatten.

Der Zürcher Prozess von nächster Woche wird nun wohl das Seinige dazu beitragen, das Dreieck der Macht bei Raiffeisen in der vorgesehenen Position zu verankern.

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