Vor dem Zürcher Bezirksgericht beginnt am Dienstag der Banker-Prozess des Jahrzehnts. finews.ch hat Antworten auf neun drängende Fragen, die sich dort stellen.


1. Beginnt in Zürich ein Schauprozess?

Mit den Schauprozessen, wie sie in Diktaturen stattfinden, hat der Strafprozess vor dem Zürcher Bezirksgericht nichts gemein. Dennoch wird ein enormes öffentliches Interesse erwartet, weshalb für die am Dienstag beginnenden Verhandlungen extra das Volkshaus in der Zürcher Innenstadt angemietet wurde. Das Gericht hat nun kurz vor Beginn die Medienpräsenz beschränkt.

Zu verantworten haben sich dort neben dem ehemaligen Chef von Raiffeisen Schweiz, Pierin Vincenz, dessen langjähriger Vertrauter und früherer Aduno-CEO Beat Stocker (Bild unten) sowie fünf weitere Personen. Gegen zwei zusätzliche Personen hat die Staatsanwaltschaft Strafbefehle erlassen; sie sind nicht Teil der Verhandlungen.

Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen Vincenz und Stocker umfassen ungetreue Geschäftsbesorgung, gewerbsmässiger Betrug und Urkundenfälschung sowie passive Bestechung. Anderen Beschuldigten wirft die Anklage Gehilfenschaft und unlauteren Wettbewerb vor. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe; für sie alle gilt die Unschuldsvermutung. Ebenfalls steht der Gang durch die Instanzen offen.

2. Was hat es mit den Schattenbeteiligungen auf sich?

Gemäss der Anklageschrift haben Vincenz und Stocker bei den Akquisitionen der Firmen Commtrain Card Solutions, der Genève Crédit & Leasing (GCL) und der Eurokaution durch Aduno (der heutigen Viseca) sowie beim Kauf von Investnet und der beabsichtigten Akquisition der Gesellschaft Arena Thun durch Raiffeisen ihnen nicht gebührende Vorteile gefordert, sprich in die eigene Tasche gewirtschaftet. Die höchst komplexen Geschäfte spannten sich den Vorwürfen zufolge bis nach Liechtenstein und Luxemburg und von 2006 bis ins Jahr 2017.

Stocker 500

(Bild: Linkedin)

3. Warum sammelten die Ermittler Rechnungen aus Strip-Lokalen?

Über die Schattenbeteiligung hinaus legen die Staatsanwälte den beiden Hauptbeschuldigten Vincenz und Stocker unberechtigte Spesenbezüge bei Aduno respektive bei Raiffeisen zur Last, was zusätzlich zum Vorwurf der Veruntreuung führte. Im Fall von Vincenz sammelten die Ankläger Spesenbezüge im Umfang von Hunderttausenden von Franken, die bei Reisen und Auslandsaufenthalten, in Hotels und Restaurants, aber auch bei Besuchen in Strip-Lokalen anfielen. Der Staatsanwaltschaft zufolge galten die verrechneten Ausgaben privaten Zwecken.

Medienberichten zufolge soll Vincenz trotz Millionensalär bei Raiffeisen zudem chronisch knapp bei Kasse gewesen sein. Sein Vertrauter Stocker soll ihm dabei grosszügig ausgeholfen haben: Vincenz musste einer persönlichen Bekannten eine Vergleichszahlung von 1,5 Millionen Franken leisten, nachdem es im Juli 2014 in einer Suite des Zürcher Hotels Park Hyatt zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung gekommen war. Die Renovation der Suite bezahlte Raiffeisen, wie aus Gerichtsdokumenten hervorgeht. Für den Vergleich soll Stocker Vincenz 1 Million Franken geliehen haben.

4. Welches Strafmass fordert die Anklage?

Die Ankläger fordern im Fall von Vincenz neben der Abschöpfung von Privatvermögen in der Höhe von mehr als 8,9 Millionen Franken eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren, abzüglich der 106 Tage, die der heute 65-Jährige im Jahr 2018 in Untersuchungshaft verbrachte. Im Fall von Stocker ist der geforderte Vermögenseinzug noch höher, nämlich gut 16 Millionen Franken. Die Staatsanwaltschaft beantragt für ihn ebenfalls sechs Jahre Gefängnis unter Einrechnung der Untersuchungshaft.

Für die übrigen Beschuldigten werden Haft zwischen zweieinhalb und zwei Jahren beantragt, wobei ein Teil jeweils nur bedingt anzutreten ist. Weiter sollen nach dem Willen der Ermittler Geldstrafen verhängt werden.

5. Welche Privatkläger treten auf?

Der Zahlungsspezialist Aduno (die heutige Viseca) hatte im Dezember 2017 den Stein in der Affäre Vincenz ins Rollen gebracht. Damals hatte das Unternehmen auf Geheiss des Verwaltungsrats hin Strafanzeige gegen seinen ehemaligen Präsidenten Vincenz und Ex-CEO Stocker eingereicht.

Der Vorwurf lautete damals auf ungetreue Geschäftsbesorgung. Dies in Zusammenhang mit den Übernahmen von Firmen wie Commtrain, Eurokaution und GCL. Zuvor hatte die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) ein Verfahren gegen Vincenz eingestellt.

Anfang 2018 klagte dann auch Raiffeisen Schweiz gegen den früheren CEO Vincenz. Die Gruppe ist im Prozess mit einer Straf- und Zivilklage vertreten. Ebenfalls tritt die frühere Aduno-Tochter Cashgate als Privatklägerin auf mit Blick auf den GCL-Kauf, in den sowohl Aduno wie auch Raiffeisen involviert waren.

6. Welche alten Gegner stehen sich vor Gericht gegenüber?

Marc Jean-Richard-dit-Bressel (Bild unten) ist nach vier Jahren der Ermittlungen und Verzögerungen fast am Ziel. Der Chefankläger von der Staatsanwaltschaft III für Wirtschaftsdelikte des Kantons Zürich kann den Beschuldigten im Fall Raiffeisen endlich den Prozess machen. Dabei ist auch der persönliche Einsatz enorm.

Medienberichte beschreiben den Staatsanwalt als «brillant» bis «verkopft»; er trifft vor dem Bezirksgericht auf Lorenz Erni von der Kanzlei Erni Caputo, der als einer der besten Strafverteidiger des Landes gilt und Vincenz vertritt.

Dit Bressel 500

(Bild: Keystone)

Jean-Richard-dit-Bressel und Erni haben eine gemeinsame Geschichte. Im Jahr 2003 klagte der Staatsanwalt Martin Ebner vor dem nämlichen Zürcher Bezirksgericht wegen Insiderhandels an – und drang damit in den wesentlichen Punkten nicht durch. Der Verteidiger des Financiers: Rechtsanwalt Erni. Im Jahr 2005 wurde Jean-Richard-dit-Bressel vorzeitig von einer Anklage wegen Insiderhandels gegen den Banker Thomas Matter abgezogen. Dies, weil im Befangenheit vorgeworfen wurde. Auf der Gegenseite erneut – Erni. Nun treffen die beiden alten Gegner im Volkshaus ein drittes Mal aufeinander. Eins ist von vornherein klar: Es kann nur einen Sieger geben.

7. Wie klafft das Auftreten der Hauptbeschuldigten im Vorfeld des Prozesses auseinander?

«Was ich in den letzten Wochen erlebt habe, wünsche ich niemandem»: Das persönliche Communiqué von Vincenz anlässlich seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft im Juni 2018 ist im Wesentlichen die letzte persönliche Wortmeldung des Ex-Bankers im Vorfeld des Prozesses gewesen. Seither übt er sich in eisernem Schweigen, was ganz der Taktik seines Anwalts Erni entspricht. Auch gegenüber den Ermittlern zeigte sich Vincenz wortkarg, wie von der «NZZ am Sonntag» (Artikel bezahlpflichtig) auszugsweise rapportierte Verhörprotokolle zeigen. «Das weiss ich auch nicht» und «das würde ich als meine Privatsache bezeichnen», werden die einsilbigen Antworten Vincenz’ zitiert.

Umso erstaunlicher das Interview, das Stocker demselben Blatt Anfang Januar gab. Darin wehrte sich der Ex-Aduno-Chef gegen Hauptvorwürfe der Staatsanwaltschaft und betonte, «stets im Interesse meines Arbeitgebers» gehandelt zu haben. Der Vorstoss hat bei manchen Beobachtern Befremden ausgelöst – stand hinter dem Gang vors Publikum die Absicht, Volkes Stimme hinter sich zu scharen? Beantworten lässt sich das nicht. Aber es ist denkbar, dass der Vorstoss beim Gericht eher negativ aufgefallen sein könnte.

8. Könnte sich eine Taktik der Verteidigung noch rächen?

Die Zürcher Staatsanwaltschaft stand Anfang 2019 in ihrer Untersuchung gegen Vincenz sowie weitere Beschuldigte vor einem Problem: Sie konnte zahlreiche beschlagnahmte Akten, Festplatten und Mobiltelefone nicht auswerten. Dies, weil die mutmasslichen Beweismittel auf Antrag der Beschuldigten versiegelt worden waren. Die Ermittler mussten darauf mühsam auf dem Gerichtsweg die Entsieglung verfügen lassen – wären sie damit zu langsam vorwärts gekommen, hätte bei einigen Vorwürfen die Verjährung gedroht.

Die Taktik vermochte die Ankläger letztlich nicht aufzuhalten. Mehr noch: die Kosten für die Entsieglungs-Aktion von gegen 70’000 Franken könnten nun noch den Beschuldigten aufgebrummt werden.

9. Wird der Fall Vincenz bei Raiffeisen weiter nachwirken?

Es ist Vincenz auch heute nicht abzusprechen, das er in seiner Zeit als CEO von 1999 bis 2018 die ländlich geprägten Raiffeisen-Banken nach vorne zur respektierten Grossbanken-Gruppe katapultierte. Der Raiffeisen-Chef zimmerte ein Imperium, das auf seinem Höhepunkt unter anderem das Fondshaus TCMG, die Privatbank Notenstein, Beteiligungen am Versicherer Helvetia und am Zürcher Derivate-Spezialisten Leonteq umfasste. Bereits vor seinem Abgang begann dieses Portfolio von Firmen und Standbeinen aber zu bröckeln. Die Anschuldigungen gegen Vincenz haben die Gruppe in der Folge in eine innere Krise gestürzt, die einen kompletten Management-Wechsel bei Raiffeisen Schweiz und drei neue Präsidenten in drei Jahren erforderte – und eine Erneuerung der Organisation.

Dass die Genossenschaftsbanken in den letzten vier Jahren so stark mit sich selber beschäftigt war und den meisten Standbeinen und Allianzen aus der Ära Vincenz verlustig ging, wird noch über Jahren nachwirken. Mittlerweile wird der Marktführer auch im Kerngeschäft mit Hypotheken von Startups wie Moneypark angegriffen. Zukunftsweisende Angebote wie das Wohn-Ökosystem Liiva mit dem Versicherer Mobiliar sind lanciert. Doch bis diese sich rechnen, wird noch einige Zeit vergehen.

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