Der Unternehmer und Avaloq-Mitgründer Francisco Fernandez ist in diesem denkwürdigen Jahr an einem Wendepunkt in seinem Leben angelangt. Grund genug für finews.ch sich mit ihm an seine Kindheit, seine Berufung, an die schwierigsten und schönsten Momente zu erinnern. Und warum er als Teenager einen Job als Toilettenputzer in der Fabrik annahm, wo seine Mutter arbeitete.


Herr Fernandez, Sie haben ein ziemlich bewegtes Jahr hinter sich.

Manche Leute sagen, 2020 sei eins zum Vergessen. Das finde ich nicht – es ein sehr wichtiges Jahr in meinem Leben.

Sie haben dieses Jahr Ihre Beteiligung an Avaloq dem japanischen Technologiekonzern NEC verkauft. Sie haben Avaloq seinerzeit als Startup mitgegründet – noch bevor Sie Frau und Kinder hatten.

Bevor ich meine Frau überhaupt kennengelernt habe, um genau zu sein. Insofern habe ich eine Familie hier bei Avaloq und dann noch meine «private» Familie – und natürlich fühle ich mich für beide verantwortlich. Der Verkauf von Avaloq ist ein Meilenstein in meinem Berufsleben wie auch die Geschichte des Unternehmens selbst.

Ihre siebenjährige Tochter soll geweint haben, als Sie ihr gesagt haben, Sie hätten Avaloq verkauft?

Ich war überrascht. Sie sagte, sie wolle das Unternehmen eines Tages übernehmen. Sie ist gut in Mathematik. Doch ich konnte ja nicht noch 20 Jahren warten!

Ursprünglich hätten Sie sich gewünscht, dass Ihre ältere Tochter das Unternehmen dereinst übernimmt. Auch das hat nicht geklappt.

Meine ältere Tochter hat sich für einen ganz anderen Weg entschieden (Laura Fernandez Gromova ist erste Solistin am Stanislavsky-Theater in Moskau). Ich habe am Anfang versucht, ihr das Unternehmen schmackhaft zu machen. Aber ich war chancenlos.

«Ich war schon als Kind so»

Es passte überhaupt nicht in ihre Pläne. Sie hätte sich nicht vorstellen können, in einem Büro zu sitzen und eine Firma zu «managen». Sie hat in ihrem Berufsleben genauso hohe Ambitionen, wie ich sie in meinem Geschäftsleben hatte.

Wenn Sie jetzt auf fast 30 Jahre zurückblicken, wann wussten Sie, dass Sie Unternehmer werden würden?

Oh, das reifte sehr, sehr früh (lacht), in den ersten paar Wochen.

Sie haben bei der BZ Bank von Martin Ebner gearbeitet.

Ja, dieser Mann hat mich mit seinen unternehmerischen Fähigkeiten und seiner Einstellung stets beeindruckt. Immer wollte er Dinge verändern und niemals den Status Quo akzeptieren. Und die andere Sache ist, dass man sich als Unternehmer gerne in Probleme verliebt, die man dann lösen will. Das inspiriert. Das ist die DNA eines Ingenieurs.

Ich war schon als Kind so: Ich konnte Stunden und Tage mit Lego verbringen, weil man sich damit ausdrücken konnte, neue Dinge zu bauen, die es noch nicht gab.

Wie war das als frischgebackener ETH-Absolvent für diesen schillernden Financier Martin Ebner zu arbeiten?

Wenn wir Mitarbeitenden uns über die Firma beschwerten, stellte er uns eine  relativ simple Frage: «Könnt Ihr es besser machen?» Und ich sagte: «Ja!» Also erwiderte Martin Ebner: «Okay, mach es. Setz Dein Geld ein, investiere es in die Firma und werde Unternehmer.»

«Ich setze mir neue Ziele, indem ich mich in neue Probleme verliebe»

Ich fand das natürlich toll! Ich brauchte weniger als 24 Stunden, um Ja zu sagen. Der Rest ist Geschichte.

Avaloq war fast 30 Jahre lang Ihr beruflicher Lebensmittelpunkt. Wie geht es jetzt weiter? Was ist nun Ihre Raison d'être?

Ich setze mir neue Ziele, indem ich mich in neue Probleme verliebe, die ich noch lösen möchte - und davon gibt es doch einige. Nehmen wir das Thema Wohnen: Nur wenige Privilegierte können sich ein eigenes Haus leisten. Um mit Wohneigentum auch noch Mieteinnahmen zu generieren, ist wohlhabenden und institutionellen Investoren vorbehalten.

Also geht es darum, Vermögenswerte zu demokratisieren, sie zugänglich zu machen, wie dies die Firma Crowdhouse mit der Fraktionierung von Wohneigentum, das so zu Miteigentum wird.

«Als ich sie kennenlernte, fragte ich sie einmal, ob sie wisse, was es bedeute, einen Unternehmer zu heiraten»

Ein anderes spannendes Thema ist die Nahrungskette, die man auf nachhaltigere Weise neu erfinden sollte. Das versuchen wir mit der Firma Innoterra. Letztlich geht es darum, Gutes zu tun und so ein Problem zu lösen und letztlich damit auch noch Geld zu verdienen.

Sie haben gut reden. Spätestens mit dem Verkauf Ihrer Beteiligung an Avaloq sind Sie enorm reich geworden. Fast 650 Millionen Dollar warten auf Sie!

Ein weiteres Problem! Was mich im Moment am meisten beschäftigt ist, wie ich dieses Geld sinnvoll einsetzen kann, indem ich einen guten Teil in weitere unternehmerische Aktivitäten investieren. Denn so bin ich. Die andere Frage ist, wie ich etwas Geld auf die Seite legen kann, um meine Familie abzusichern.

Was heisst das, die Familie absichern?

Als ich meine spätere Frau kennenlernte, fragte ich sie einmal, ob sie wisse, was es bedeute, einen Unternehmer zu heiraten. Als Ehefrau – eines Unternehmers – ist man oft allein und muss sein Leben und das der Familie «managen», während der Ehemann häufig abwesend ist. 

«Sie hat ja gesagt... also konnten wir heiraten»

Und das Zweite ist, dass Du darauf vorbereitet sein musst, dass wir von einem Tag auf den anderen Pleite gehen können, sagte ich meiner Frau. Willst Du wirklich bei mir bleiben? Bist Du darauf vorbereitet?

Und, was hat sie geantwortet?

Sie hat ja gesagt... also konnten wir heiraten (lacht)!

Sie sind gerade dabei, ein Family Office aufzubauen.

Mein ganzes Leben lang war ich «All-in». Mit anderen Worten, auf dem Papier war ich reich, aber der grösste Teil meines Vermögens war in das Unternehmen investiert. Erst jetzt kriege ich zum ersten Mal in meinem Leben «Bargeld». «All-in» kann man sein, wenn man in seinen 20ern oder 30ern ist, aber nicht wenn man auf die 60 zugeht.

«Ich glaube auch, dass ich ein paar Dinge besser machen kann als die Banken»

Deshalb will ich ein Family Office gründen – um mein Vermögen zu strukturieren. Ich habe schon seit ein paar Jahren meine vier Verticals: Fintech, Agritech, Immobilien und Esports. Ich werde also kein Problem haben, mein weiteres Geld in unternehmerische Aktivitäten einzusetzen.

Warum geben Sie es nicht einer Bank zur Verwaltung?

(lacht) Ich werde mit Banken zusammenarbeiten, aber nach 30 Jahren in der Finanzbranche denke ich, dass es ein paar Entscheidungen gibt, die ich selber treffen möchte. Und ich glaube auch, dass ich ein paar Dinge besser machen kann als die Banken.

Was waren die schwierigsten Momente bei Avaloq?

Einer war die globale Finanzkrise von 2008/09. Nach 20 Jahren Wachstum musste ich rund 110 Leute entlassen. Das war ein sehr schmerzhafter Moment. Wir haben uns vor die gesamte Avaloq-Belegschaft gestellt und die Situation sehr offen geschildert und gesagt, wir müssen etwa 110 Leute auswählen, die uns verlassen werden.

Was war die Reaktion?

Zu meinem Erstaunen haben die Leute applaudiert. Das war ein schon sehr seltsamer Moment: schmerzhaft und lohnend zugleich. Ich sagte den Managern, dass wir die Verantwortung dafür übernehmen müssen, allen Leuten bei der Jobsuche zu helfen.

«Es wird mein Leben auf jeden Fall stark verändern»

Wir sprachen mit Kunden und Partnern, und am Ende hatten wir eine grössere Nachfrage als wir Leute zu entlassen hatten. Wenn ich auf diese schmerzhafte Übung zurückblicke, dann muss ich sagen, dass wir damals einen ehrlichen und anständigen Job gemacht haben.

Was waren die schönsten Momente in den vergangenen 30 Jahren?

Der kürzliche Verkauf von Avaloq ist es definitiv nicht! Wahrscheinlich muss ich immer noch verdauen, was gerade geschehen ist. Es wird mein Leben auf jeden Fall stark verändern, auch wenn ich eine Rolle bei Avaloq behalte.

Ich würde sagen, die schönsten Momente in meinem Leben waren die Geburt meines ersten Kindes oder die Bekanntschaft meiner Frau. Es können auch kleine Dinge sein, wenn ich ein neues Musikstück studiert habe, bei dem man zunächst drei Monate lang leidet, bevor man endlich ein Stadium erreicht hat, bei dem man sagen kann: Jetzt beherrsche ich es.

Andere Momente tiefer Befriedigung sind, einem siebenjährigen Kind ein komplexes Problem zu erklären – und den Moment zu sehen, wenn es «Klick» macht. Wow!

Was waren in Ihrem Berufsleben die prägendsten Momente?

Ich erinnere mich, als wir die Privatbank Pictet als Kundin gewonnen haben. Die Entscheidungsfindung bei dem Unternehmen ist etwas ganz Besonderes: Die Partner sitzen an einem Tisch, und wenn einer nein sagt, dann machen sie es nicht!

«Fernandez, Du bist verrückt! Niemals wirst Du das schaffen, sagten sie»

Ich habe in diesem heiligen Raum «gepitcht». Meine Mitarbeitenden sassen hinter und neben mir. Viele Leute hatten uns zuvor versichert, das sei ein hoffnungsloses Unterfangen. Pictet sei so stolz auf ihre eigene IT. Die Bank werde es sicherlich nicht akzeptieren, dass da ein kleines Startup kommt und Pictet erklären wolle, wie man Software entwickle. «Fernandez, Du bist verrückt! Niemals wirst Du das schaffen,» sagten sie.

Ich wollte es einfach mal versuchen – und wir haben den Pitch gewonnen. Solche Momente sind überwältigend. Sie machen Dich für ein paar Stunden stolz. Und dann geht man wieder zur Tagesordnung über (lacht).

Sich gegen Widerstände durchzusetzen, scheint so etwas wie ein Lieblingsthema von Ihnen zu sein. Wer war Ihr härtester Gegner?

Ich habe immer die Legitimität des Wettbewerbs respektiert. Man sollte die Konkurrenz beobachten, respektieren und von ihr lernen und sogar die guten Dinge von ihr kopieren. Rafael Nadal ist ein guter Freund von Roger Federer, sie mögen sich, und sie lieben es, gegeneinander anzutreten.

«Meine Eltern haben keine Freundschaften mit Schweizern geschlossen»

Ich habe mich mit vielen meiner Konkurrenten zusammengesetzt und ein gutes Gespräch geführt oder ein gutes Abendessen genossen. Am nächsten Tag traten wir wieder gegeneinander an.

Bestimmt ist nicht alles so in Minne verlaufen.

Was ich als Konkurrenten im negativen Sinne bezeichnen würde, sind Menschen, denen ich in der Wirtschaft begegne, die Politik und Machtspiele ohne Substanz praktizieren. Und gerade in der Finanzbranche trifft man einige dieser Typen an. Natürlich ist das ein Stil, aber sicher nicht mein Stil. Ich versuche immer, die Konfrontation mit solchen Gegnern zu vermeiden.

Ihre Eltern sind 1955 aus Spanien ausgewandert. Wie sind sie in und mit der Schweiz zurechtgekommen?

Sie haben sich isoliert. Meine Eltern waren eine Einheit, und unsere Freunde waren Spanier und Italiener. Sie haben keine Freundschaften mit Schweizern geschlossen.

Ihr Vater ist verstorben, aber Ihre Mutter ist jetzt 87 und wohl enorm stolz auf Sie.

Ja, ich glaube schon. Für sie war Arbeit nie eine gute Erfahrung. Als ich 16 war, nahm ich in den Schulferien einen Job als Toilettenputzer in der Fabrik an, wo meine Mutter arbeitete. Ich wollte erfahren, wie sich das anfühlte. Das war die erniedrigendste Arbeit, die man sich vorstellen kann.

«Es war meiner Mutter furchtbar peinlich, dass ihr Sohn in der Fabrik auftauchte und Toiletten putzte»

Es war sehr hart. Ich fing um fünf Uhr morgens an, und um Viertel nach fünf schaute ich bereits auf die Uhr, um zu sehen, wann der Tag zu Ende ist. Und dann stellt man fest, dass man noch acht Stunden vor sich hat. Mit dieser Erfahrung fängt man bald einmal zu begreifen, dass es ein unschätzbares Privileg ist, sagen zu können: «Ich arbeite das, was ich am liebsten tue.

Was hat Ihre Mutter gesagt, als ihr Sohn im Teenageralter bei ihrer Arbeit auftauchte?

Es war ihr furchtbar peinlich, dass ihr Sohn in der Fabrik auftauchte und Toiletten putzte!

Und Ihr Vater?

Ich habe mich nie getraut, es ihm zu sagen. Ich sagte nur, dass ich einen Ferienjob bei der Viscosuisse habe.

Was ist der nützlichste Rat, den Ihnen Ihre Eltern mit auf den Weg gegeben haben?

Disziplin. Die ersten Jahre meines Klavierspiels waren wirklich kein Spass. Das Ganze war vielmehr eine Verpflichtung meinem Vater gegenüber. Ich musste täglich eine Stunde üben, jeden Tag, während meine Freunde draussen Fussball spielten.

«Ich kann nicht ohne Klavier sein, nicht einmal im Urlaub, sonst werde ich nervös»

Längst bin ich meinem Vater so dankbar, dass er mich durch diese Phase gepaukt hat. Ich möchte sie heute nicht missen.

Sie gelten als passionierter Pianist. Dabei hat man den Eindruck, dass Sie gar keine Zeit haben, einem solchen Hobby zu frönen.

Ich kann nicht ohne Klavier sein, nicht einmal im Urlaub, sonst werde ich nervös. Ich habe meine Klaviere überall verteilt: Es gibt ein Klavier hier bei Avaloq, eines bei Crowdhouse, bei meiner Mutter, in meinem Haus auf Mallorca.

Trotzdem haben Ihre Eltern Ihnen zu einem Mathematik- anstatt zu einem Musikstudium geraten. Warum?

Ich erinnere mich, wie ich mit meinem Vater mathematische Probleme und Rätsel gelöst habe. Das waren die intimsten Momente in meiner Kindheit. Daher kommt auch meine Liebe zur Mathematik und Technik.

Was ist Ihr Vermächtnis, nun, da Sie an einem Wendepunkt in Ihrem Leben stehen?

Ich denke, dass ich es geschafft habe, die Finanzbranche effizienter und weniger fehleranfällig zu machen, also robuster und mit mehr Potenzial. Das ist der Weg, den die Banken nun weitergehen müssen.


Francisco Fernandez ist Mitgründer von Avaloq, einer Schweizer Bankensoftware-Firma, die dieses Jahr von NEC für 2,05 Milliarden Franken übernommen wurde. Der 58-jährige schweizerisch-spanische Doppelbürger begann seine berufliche Karriere 1985 bei der BZ, einer Schweizer Bank- und Finanzgruppe im Besitz des Financiers Martin Ebner. Fernandez gründete Avaloq zusammen mit Ronald Strässler, nachdem er sich mit einem Management-Buyout sukzessive von der BZ-Gruppe getrennt hatte.

Fernandez ist verheiratet und Vater zweier Töchter im Alter von sieben und 23 Jahren. Das Schweizer Wirtschaftsmagazin «Bilanz» schätzt sein Vermögen auf 750 Millionen Franken. Im Jahr 2017 verkaufte er einen ersten Teil von Avaloq der US-Private-Equity-Firma Warburg Pincus und den Rest in diesem Jahr dem japanischen Technologiekonzern NEC. Als Teil dieser Transaktion trat Fernandez als Präsident des Verwaltungsrats zurück, bleibt aber dem Gremium erhalten. Obschon er seine Musikausbildung zugunsten eines IT-Studiums an der ETH Zürich abbrach, ist Fernandez bis heute ein passionierter Pianist geblieben.

 

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